# taz.de -- Debatte Analyse rechter Einstellungen: Das Manko der Mitte-Studie
       
       > Die Mitte-Studie sollte antidemokratische Tendenzen aufspüren. Doch sie
       > schadet dem Kampf gegen Verschwörungstheoretiker.
       
 (IMG) Bild: Der ganze Himmel voll mit Chemtrails! 😱😱😱
       
       Gibt es geheime Organisationen, die großen Einfluss auf die Politik
       ausüben? Wer sich für politisch aufgeklärt hält, wird diese Frage mit Nein
       beantworten. Aber was ist dann mit der Internet Research Agency? Das ist
       eine „Trollfabrik“, die in einem dreistöckigen Gebäude in Sankt Petersburg
       ihren Sitz hat. Diese Organisation hat im Geheimen vor letzten US-Wahlen
       systematisch Fake News verbreitet. Und es spricht einiges dafür, dass sie
       damit deren Ausgang stark beeinflusst hat. Eine solche Einflussnahme nennt
       sich „staatlich geförderte Internet-Propaganda“ und wird von vielen
       Staaten, darunter auch den USA und China, praktiziert.
       
       Doch wenn das so ist, müsste die obige Frage mit Ja beantwortet werden. Und
       damit würde man sich gleich auch dem Vorwurf aussetzen, einem
       Verschwörungsmythos anzuhängen. Zumindest deutet das die neueste
       „Mitte-Studie“ stark an. Sie wird von der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem
       Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der
       Universität Bielefeld erstellt und untersucht seit 2006 antidemokratische
       Einstellungen in der deutschen Bevölkerung.
       
       Der Frage nach den geheimen Organisationen mit politischem Einfluss
       stimmten 45,7 Prozent der Deutschen zu. „Deutschland trägt Aluhut“,
       erklärte der Deutschlandfunk daraufhin. Diese Zuspitzung ist jedoch
       irreführend, denn die Annahme, dass geheime Organisationen politisch
       Einfluss nehmen, macht noch keinen Verschwörungstheoretiker. Sonst wäre
       auch Verschwörungstheoretiker, wer davon ausgeht, dass es die
       Watergate-Affäre 1972 gab. Oder dass der letzte Irakkrieg mit einer
       organisierten Lüge gerechtfertigt wurde, nämlich der, dass Beweise für
       Massenvernichtungswaffen existierten. Die Fragestellung der Mitte-Studie
       legt einen falschen Ansatz nahe: Entweder glaubst du an Verschwörungen,
       dann glaubst du bestimmt auch daran, dass Aluhüte Gedankenmanipulation
       verhindern. Oder du glaubst, es gebe keine einflussreichen, organisierten
       Lügen, dann bist du vernünftig.
       
       Die Macher der Studie haben damit dem Kampf gegen die Verbreitung
       wahnhafter Verschwörungstheorien einen Bärendienst erwiesen. Dabei ist
       dieser Kampf wichtig. Nicht nur verstellen wahnhafte Verschwörungstheorien
       den Blick auf reale Zusammenhänge. Sie geben außerdem Fanatikern, Hetzern
       und nicht zuletzt auch Attentätern weltweit, darunter dem Mörder von
       Christchurch, eine Grundlage für ihre Wahnvorstellungen. Die antisemitische
       Verschwörungstheorie, dass das „internationale Finanzjudentum“ die
       Geschicke der Welt mit teuflischer Gemeinheit hinter den Kulissen lenkt,
       stand und steht beispielsweise im Zentrum nationalsozialistischer
       Weltanschauung.
       
       ## Mal die Illuminati, mal die Rothschilds
       
       Bekämpfen lassen sich solche destruktiven Vorstellungswelten aber nur, wenn
       differenziert wird. Wahnhafte Verschwörungstheoretiker unterscheiden sich
       grundsätzlich von Leuten, die bloß meinen, es gebe geheime Machenschaften
       der Mächtigen. Für Verschwörungstheoretiker ist alles geplant. Migrations-
       und Fluchtbewegungen sind für sie der geplante „große Austausch“. Und zwar
       mit dem Ziel, die weiße, christliche Bevölkerung auszutauschen durch
       größtenteils muslimische Menschen aus Nahost und Afrika. Auch Krebs, Aids,
       Terroranschläge, die Oktoberrevolution und alle Kriege sind angeblich von
       bösartigen Akteuren geplant worden. Diese Akteure haben verschiedene Namen:
       Mal sind es die Illuminati, mal der New World Order oder, ganz klassisch,
       Juden wie die Rothschilds oder der Milliardär George Soros.
       
       Da Verschwörungstheoretiker sich ein geschlossenes Weltbild zurechtbasteln,
       sind sie immun gegen Fakten. Alles hängt zusammen, so fanden
       Verschwörungstheoretiker in einer Geste von Beyoncé beim Superbowl 2013 die
       „Merkelraute“, die sie mit ihren Händen formte – angeblich das
       Erkennungszeichen der Illuminati.
       
       Für Verschwörungstheoretiker ist alles anders, als es scheint. Nur sie
       selbst durchschauen das gewaltige Lügengebäude. Beispiel „Impflüge“: Danach
       sind Impfungen extrem schädlich und würden nur aus Geldgier betrieben. Wäre
       das wahr, würde ein umfassender Apparat mit Tausenden bis Hunderttausenden
       Mitwissern benötigt. Sowohl die Presse als auch der Justiz- und
       Gesundheitsapparat müssten unter einer Decke stecken, um eine so gewaltige
       Lüge über lange Zeit zu bewerkstelligen. Die Menschen, die diesen
       Lügenapparat ermöglichen, werden von dunklen Kräften auf unfassbar schlaue
       Weise manipuliert. Klingt nach Science-Fiction, denn man bräuchte
       mindestens die „Gedächtnislöscher“ aus den Men-in-Black-Filmen. Oder eben
       die technischen Möglichkeiten von Außerirdischen.
       
       In seinem herausragenden Buch „Nichts ist, wie es scheint“ erklärt der
       Forscher Michael Butter, dass Verschwörungstheoretiker davon ausgingen,
       Menschen könnten ihre Intentionen eins zu eins in die Tat umsetzen, und
       zwar über einen langen Zeitraum. Die Gesellschaft sei aber so komplex, dass
       einzelne Gruppen dazu nicht in der Lage sind.
       
       Um fair zu sein: [1][Die Mitte-Studie ist überwiegend gut gemacht und
       aufschlussreich]. Auch stimmt, was Mitautorin Beate Küpper auf kritische
       Nachfrage im Interview mit dem „heute-journal“ sagt: Die Fragen müssten im
       Zusammenspiel mit anderen Fragen betrachtet werden. Wer dem Satz zu den
       geheimen Organisationen zustimmt, wird in der Studie nicht als ausgemachter
       Verschwörungstheoretiker bezeichnet.
       
       Dennoch bekommen gerade einzelne Fragen wie die nach den geheimen
       Organisationen besonders viel Aufmerksamkeit. Vielfach wurde dramatisch
       zitiert – und das ist schlecht. Gerade wenn die Ergebnisse aufrütteln
       sollen, müssen sie unbedingt auf Seriosität achten und die Fragen präziser
       stellen. Es geht darum, Verschwörungstheorien zu entlarven und deutlich zu
       machen, wie politisches Handeln funktioniert. Dieses Ziel hat die
       Mitte-Studie knapp verfehlt.
       
       29 Apr 2019
       
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