# taz.de -- Missbrauchskommission legt Bericht vor: Intensives Schweigen
       
       > Die Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs hat eine erste
       > Bilanz gezogen. Klar ist: Betroffene erhalten zu wenig Unterstützung.
       
 (IMG) Bild: Betroffenen fällt es meist bis an ihr Lebensende schwer, über den Missbrauch zu reden
       
       Berlin taz | „Jedes Mal, wenn ich nach dem Missbrauch gehen durfte, gab er
       mir einen geknickten Fünf-Euro-Schein.“ So erzählt es Leonie. Leonie ist
       eine von rund 1.700 Frauen und Männern, die in ihrer Kindheit oder Jugend
       sexuelle Gewalt erlebt haben und sich seit 2016 an Menschen gewandt haben,
       denen sie – mitunter zum ersten Mal – Geschichten wie diese erzählen
       konnten.
       
       Die Personen, denen sie nach Jahrzehnten ihre Biografie anvertrauten,
       gehören zur Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, die
       sich vor drei Jahren gegründet hat. Seitdem versucht die ExpertInnengruppe
       aus Familien- und SexualforscherInnen, JuristInnen und Betroffenen hinter
       die Strukturen zu schauen, die sexuelle Gewalt in der Familie, in
       kirchlichen Einrichtungen, in Heimen und Sportvereinen ermöglichen. Am
       Mittwoch stellte die Kommission in Berlin eine erste Bilanz vor.
       
       Und die ist bitter: Knapp 1.400 Betroffene meldeten sich für eine
       sogenannte Anhörung, erklärten sich also bereit, zu berichten, was ihnen
       als Kind und Jugendlicher widerfahren ist. Rund 900 dieser „Anhörungen“
       wurden mündlich durchgeführt, in Gesprächen und Telefonaten, etwa 300 Opfer
       teilten sich in Briefen oder per Mail mit. Die Dinge, die sie darin
       erzählen, klingen so ähnlich wie die Sätze von Leonie: „Ich lag dabei auf
       einer Tapetenstreichunterlage.“
       
       Die erschreckendste Erkenntnis der Kommission: Schweigen. „Die zentrale
       Frage lautet nicht: Warum sprechen die Opfer so spät?“, sagt
       Kommissionsvorsitzende Sabine Andresen, Professorin für Sozialpädagogik und
       Familienforschung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. „Die Frage
       muss lauten: Warum hat das Umfeld so lange und so intensiv geschwiegen?“ Im
       übrigen, schiebt sie hinterher, hätten die meisten Opfer schon früh
       gesprochen. Leonie: „Mit 13 schrieb ich meiner Mutter Briefe darüber, was
       mein Vater mit mir macht und dass ich es nicht mehr aushalte. … Sie glaubte
       mir nicht.“
       
       ## Übergriffe in der DDR noch stärker tabuisiert
       
       13.683 Kinder wurden laut Kriminalstatistik allein 2018 Opfer sexueller
       Gewalt, ein Jahr zuvor waren es 12.850 Mädchen und Jungen, 1.600 von ihnen
       waren jünger als sechs Jahre. Es muss davon ausgegangen werden, dass diese
       Zahlen viel zu gering sind, Dunkelfeldforschungen gehen davon aus, dass
       jede und jeder Achte in Deutschland mindestens einmal in der Kindheit und
       der Jugend sexuelle Gewalt erlebt hat.
       
       Mehr als die Hälfte der Übergriffe fand dem Kommissionsbericht zufolge in
       der Familie statt, 83 Prozent der Betroffenen waren Frauen. Missbrauch gab
       es in beiden deutschen Staaten, wobei die [1][Übergriffe in der DDR noch
       stärker tabuisiert] wurden als in der alten Bundesrepublik. „Das passte
       nicht in die heile sozialistische Gesellschaft“, sagte am Mittwoch
       Kommissionsmitglied und frühere SPD-Frauenministerin Christine Bergmann.
       
       Betroffenen fällt es meist bis an ihr Lebensende schwer, darüber zu reden.
       Auf weitaus größere Hürden beim Umgang mit dem Thema stoßen sie in der
       Gesellschaft. Krankenkassen verweigern ihnen vielfach die nötigen
       finanziellen und sachlichen Mittel, um ihre Traumata aufzuarbeiten und in
       den Arbeitsmarkt zurückkehren zu können, beklagt Kommissionsmitglied Peer
       Briken.
       
       ## „Beim Kinderschutz ist Deutschland in der Krise“
       
       Auch die Beweispflichten und Prozeduren, die Opfer durchlaufen müssten,
       wenn sie Leistungen über das Opferentschädigungsgesetz beantragten, sind in
       den Augen des Direktors des Instituts für Sexualforschung und Forensische
       Psychiatrie am Klinikum Hamburg-Eppendorf, mehr als hinderlich. Auch dort
       würde ihnen häufig nicht geglaubt. „Die Frage der Glaubwürdigkeit zieht
       sich durch das ganze Leben der Opfer“, sagte Briken.
       
       „Beim Kinderschutz ist Deutschland in der Krise“, fügte der
       Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung Johannes-Wilhelm Rörig an:
       Kinderschutz sei kein „Gedöns“, sondern „harte Kriminalitätsbekämpfung“.
       Rörig kündigte eine „Sensibilisierungskampagne“ ab 2020 an, mit der die
       Gesellschaft stärker auf das Thema aufmerksam gemacht werden soll.
       Finanzminister Olaf Scholz, SPD, müsse dafür 5 Millionen Euro
       bereitstellen.
       
       In ihrer nächsten Laufzeit will die Kommission Strukturen und
       Missbrauchsfälle in Sportorganisationen und -vereinen untersuchen. Der
       „Sportbereich“ sei bisher vernachlässigt worden, sagte Kommissionsmitglied
       und Juristin Brigitte Tilmann. Ebenso wie Übergriffe auf Menschen mit
       Behinderung und die Vorgänge der pädosexuellen Bewegung in Berlin ab den
       1970er Jahren.
       
       3 Apr 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schmollack
       
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