# taz.de -- Neue Richtlinie zu §175-Entschädigung: Großes Leid, kleine Geste
       
       > Ohne Verurteilung keine Entschädigung, galt bisher für Opfer des
       > schwulenfeindlichen Paragraphen 175. Nun werden auch andere Folgen
       > berücksichtigt.
       
 (IMG) Bild: Nun sollen auch Personen entschädigt werden, die „außergewöhnlich negative Beeinträchtigungen“ erlitten haben
       
       Am 10.März 1994 wurde der [1][§175] endgültig aus dem Strafgesetzbuch
       gestrichen. Jahrzehntelang war der Paragraph Grundlage für die
       strafrechtliche Verfolgung Homosexueller in der Bundesrepublik. Nun, 25
       Jahre später, können Betroffene auf mehr Gerechtigkeit hoffen. Am gestrigen
       Mittwoch hat das Bundesjustizministerium angekündigt, den Anspruch auf
       Entschädigung zu erweitern.
       
       Die neue Richtlinie sieht vor, auch Personen zu entschädigen, gegen die ein
       Ermittlungsverfahren eröffnet wurde oder die durch die Verfolgung
       „außergewöhnlich negative Beeinträchtigungen“ erlitten haben. Zum Beispiel,
       wenn sie ihren Job verloren haben. „Auch ihre Leben hat Paragraf 175 schwer
       belastet. Es ist wichtig, dass wir Solidarität und Anerkennung zeigen“,
       erklärt Justizministerin Katarina Barley (SPD).
       
       Diese Richtlinie schließt eine wichtige Lücke im Umgang mit den
       Betroffenen.
       
       Als nämlich 2017 das Gesetz zur „strafrechtlichen Rehabilitierung der nach
       dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen
       verurteilten Personen“, kurz StrRehaHomG, in Kraft getreten war, galt :
       Ohne Strafmakel, keine Entschädigung. So konnten nur Männer auf eine
       Entschädigung hoffen, wenn sie auf Grundlage von § 175 StGB rechtskräftig
       verurteilt worden waren.
       
       ## Der Fall Wolfgang Lauinger
       
       Wie realitätsfern diese Einschränkung war, zeigt der Fall Wolfgang
       Lauinger. Er war einer der Betroffenen der berüchtigten [2][„Frankfurter
       Homosexuellenprozesse“] 1950/51. Sein Antrag auf Entschädigung wurde Ende
       2017 abgelehnt, weil er damals ‚nur‘ in Untersuchungshaft saß und
       freigesprochen wurde. Welche weiteren – negativen – Auswirkungen dieser
       öffentlichkeitswirksame Prozess auf das Leben Lauingers hatte, war für die
       Entscheidung irrelevant. Einige Wochen nach dieser Entscheidung starb
       Lauinger, ohne jemals für sein Leid entschädigt worden zu sein.
       
       Markus Ulrich vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD) schätzt, dass allein
       in der Bundesrepublik seit 1949 rund 100.000 Verfahren gegen Männer wegen
       Homosexualität nach §175 StGB geführt wurden. Zehntausende mehr haben durch
       die staatliche Verfolgung berufliche, soziale und gesundheitliche Nachteile
       erfahren.
       
       Diese werden durch die Richtlinie endlich wahrgenommen, wenngleich der
       finanzielle Ausgleich mager ausfällt. Männer, die wegen ihrer
       Homosexualität in Untersuchungshaft saßen, sollen 1.500 Euro für jedes
       angefangene Jahr erhalten. Zudem soll es 500 Euro Entschädigung für jedes
       eingeleitete Ermittlungsverfahren geben. Im Falle einer „außergewöhnlich
       negativen Beeinträchtigung“ sind einmalig 1.500 Euro vorgesehen.
       
       Ist das genug für das Leid, für das Unrecht, das geschehen ist? Nein.
       
       ## Skandal Altersarmut
       
       Außerdem wird ein großes Problem der Opfer, die Altersarmut, durch diese
       Zahlungen nicht gelöst. Viele Homosexuelle haben durch die staatliche
       Verfolgung ihren Job verloren oder konnten nicht die Karriere machen, die
       sie eigentlich hätten machen können. Es wäre daher angemessen gewesen, die
       Auszahlung der Entschädigung als Rente zu ermöglichen, um die
       Versorgungslücke zu schließen. Das Bundesjustizministerium ist sich dessen
       wohl bewusst und betont, dass die Geldleistungen vor allem als symbolischer
       Akt der Anerkennung zu verstehen seien.
       
       Trotzdem ist diese Richtlinie ein wichtiger Schritt. Sie zeugt zumindest
       von einem Problembewusstsein, dass ein diskriminierendes Gesetz für Opfer
       nicht erst dann Leid bedeutet, wenn sie verurteilt werden; und dass ein
       diskriminierendes Gesetz in alle Bereiche des Lebens der Betroffenen
       hineinwirkt und ein Rechtsstaat auch dafür Verantwortung übernehmen muss.
       Auch dass die Nachjustierung des [3][StrRehaHomG] von einer breiten
       parteiübergreifenden Basis, von Union bis Linke, getragen wurde, ist ein
       gutes Zeichen.
       
       Es bleibt nun abzuwarten, ob die Opfer für ihr Leid tatsächlich zeitnah und
       unbürokratisch entschädigt werden, wie die Richtlinie verspricht. Viel Zeit
       bleibt nicht mehr.
       
       14 Mar 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://lexetius.com/StGB/175a
 (DIR) [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Frankfurter_Homosexuellenprozesse
 (DIR) [3] https://www.gesetze-im-internet.de/strrehahomg/BJNR244310017.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Laila Oudray
       
       ## TAGS
       
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