# taz.de -- EU-Reaktionen auf Brexit-Abstimmung: Der Kontrollverlust droht
       
       > Deal or no deal? In den EU-Gremien fallen die Reaktionen auf das erneute
       > Ablehnen des Brexit-Vertrags verschieden aus. Die Zeit wird knapp.
       
 (IMG) Bild: Lieber Großbritannien allein als in der EU: dieser Demonstrant wäre wohl für einen harten Brexit
       
       Brüssel taz | Die EU-Kommission hat kühl auf das erneute – und womöglich
       endgültige – [1][Scheitern des Brexit-Deals im britischen Unterhaus]
       reagiert. Am Tag nach der Niederlage der britischen Premierministerin
       Theresa May war der Frust in Brüssel mit Händen zu greifen. Gleichzeitig
       versuchten die EU-Verantwortlichen aber, Optionen offen zu halten, um einen
       harten Brexit – ohne Vertrag – zu verhindern.
       
       „Es ist vorbei“, sagte Chefunterhändler Michel Barnier. Die Verhandlungen
       seien beendet, neue werde es nicht geben. „Die Antworten müssen nun aus
       London kommen, nicht aus Brüssel“, erklärte der Sprecher von
       Kommissionschef Jean-Claude Juncker. „Und nun lassen Sie uns über andere
       Themen sprechen“, fügte er hinzu. „Wir haben genug vom Brexit-Theater“, so
       die frostige Botschaft aus Brüssel.
       
       Hitziger fielen die Reaktionen im Europaparlament in Straßburg aus. „Die
       Brexiters haben immer gefordert: ‚Take back control‘ – ,Übernehmt wieder
       die Kontrolle'. Stattdessen gerät der Brexit jetzt selbst außer Kontrolle“,
       warnte der Verhandlungsführer des Parlaments, Guy Verhofstadt. Das
       britische Unterhaus müsse sich nun endlich um eine parteiübergreifende
       Lösung bemühen – so wie das im Europaparlament üblich ist.
       
       Sozialdemokraten und Konservative setzten sich für eine zweite
       Volksabstimmung in Großbritannien ein. „Es wäre der logische nächste
       Schritt, die Menschen erneut zu fragen“, sagte der Spitzenkandidat der
       Europäischen Volkspartei für die Europawahl, Manfred Weber (CSU). Ähnlich
       äußerte sich der SPD-Politiker Udo Bullmann. Allerdings hat May ein neues
       Referendum bisher ausgeschlossen.
       
       ## Der größte Trumpf der EU hat nicht gezogen
       
       In Brüssel bereitet man sich denn auch auf zwei andere Szenarien vor: Eine
       Verschiebung des Austritts über den offiziellen Brexit-Termin am 29. März
       hinaus – oder einen ungeordneten Austritt ohne Vertrag mit der EU. Über den
       so genannten „No deal“ wollte das britische Unterhaus [2][schon am
       Mittwochabend abstimmen], eine Vertagung des EU-Austritts steht am
       Donnerstag auf der Tagesordnung.
       
       Die EU will die Entscheidungen des britischen Parlaments abwarten und erst
       danach das weitere Vorgehen klären. Ihr bleibt auch nichts anderes übrig:
       Auf die Entwicklung in London hat sie keinen Einfluß mehr. Der größte
       Trumpf – der mit May ausgehandelte Austrittsvertrag – hat nicht gezogen,
       jetzt gibt es eigentlich nur noch schlechte Optionen. Es sei denn, der
       Vertrag käme doch noch einmal ins Spiel.
       
       Darauf hofft offenbar Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Nun sei die
       britische Seite in der Pflicht, zu sagen, ob es einen Austritt ohne
       Abkommen geben werde, erklärte die Kanzlerin am Mittwoch in Berlin. Merkel
       betonte aber, dass ein geordneter Austritt weiter das Ziel der EU bleibe.
       „Aber durch den gestrigen Tag sind die Optionen natürlich geringer
       geworden“, räumte sie ein.
       
       Beim nächsten EU-Gipfel in der kommenden Woche wollen die Staats- und
       Regierungschefs deshalb nicht erneut über den Austrittsvertrag sprechen.
       Merkel und die anderen EU-Chefs bereiten sich vielmehr auf eine Verzögerung
       des Austritts vor. Mit etwas mehr Zeit, so die Hoffnung, könne es May
       vielleicht doch noch gelingen, den Brexit-Deal zu retten. Allerdings nur
       unter bestimmten Bedingungen.
       
       ## Niemand will, dass die Briten an der Europawahl teilnehmen
       
       Zunächst einmal müsse der Antrag auf Verlängerung aus London kommen, heißt
       es in Brüssel. Die Europäer wollen auf keinen Fall den Eindruck erwecken,
       sie spielten auf Zeit oder wollten den Brexit wegdrücken. Außerdem soll die
       Verlängerung spätestens im Juni enden. Käme der Austritt später, so müßten
       die Briten noch einmal an der Europawahl Ende Mai teilnehmen – und das will
       niemand.
       
       Einige Politiker formulieren aber noch weitere Bedingungen. Und da wird es
       tricky. Die EU sei „nicht abgeneigt“, das Austrittsdatum zu verschieben,
       sagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Allerdings müsse dann auch
       etwas „Greifbares dahinter stehen“. Die EU erwarte eine „klare Linie, bevor
       wir überhaupt über eine mögliche Verlängerung entscheiden“, so
       Verhandlungsführer Barnier.
       
       Doch wie könnte eine „klare Linie“ aussehen? Muss sich May erneut zum –
       gerade gescheiterten – Austrittsvertrag bekennen? Soll sie doch noch ein
       zweites Referendum ausrufen, oder wären gar Neuwahlen gefordert? Dafür
       bräuchte Großbritannien mehr Zeit als die nun vorgesehenen zwei Monate. Der
       EU-Gipfel will die Verlängerung zum „Hauptthema“ machen, sagt ein Diplomat
       in Brüssel. Eine klare Linie hat die EU bisher jedoch selbst nicht.
       
       Das gilt auch für [3][den „No deal“], also den britischen Austritt ohne
       Abkommen. Die EU-Kommission hat zwar bereits vieles bis ins Detail
       vorbereitet, sogar für den Flugverkehr und die Finanzmärkte gibt es schon
       Notfallpläne. Doch viele EU-Staaten sind immer noch nicht auf den „Worst
       Case“ vorbereitet. Offiziell haben sie alles im Griff. In Wahrheit droht
       aber der Kontrollverlust – und das nicht nur in London.
       
       13 Mar 2019
       
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