# taz.de -- Berlinale „The Kindness Of Strangers“: Seid nett zueinander, verdammt!
       
       > Die dänische Regisseurin Lone Scherfig plädiert in „The Kindness of
       > Strangers“ für die Solidarität unter Außenseitern.
       
 (IMG) Bild: Auch körperhaltungstechnisch verklemmt: John Peter (Jay Baruchel, r.) mit Clara (Zoe Kazan)
       
       Clara flieht vor ihrem gewalttätigen Mann. Die beiden Söhne nimmt sie mit,
       denn auch sie sind vor dem Polizisten mit Prügelneigung nicht sicher.
       Nachts packt sie die Kinder ins Auto, um mit ihnen einen „Ausflug“ zu
       machen, von Buffalo nach New York. Da waren sie noch nie, denn der Vater
       hatte immer gesagt: „Wir mögen New York nicht.“
       
       Einmal dort angekommen, gefällt es Clara (Zoe Kazan) jedoch in New York
       genauso gut wie den Söhnen Anthony und Jude. Sie haben zwar kein Geld, das
       Nötige suchen sie jedoch zusammen. Clara ist da erstaunlich erfinderisch
       für die Gattin eines Ordnungshüters.
       
       Die dänische Regisseurin Lone Scherfig interessiert sich für persönliche
       Schicksale, wofür sie in früheren Filmen bevorzugt historische Stoffe aus
       England nutzte („An Education“ (2009), „The Riot Club“ (2014), „Ihre beste
       Stunde“ (2016)). Mit „The Kindness of Strangers“, der am Donnerstag die
       Berlinale eröffnete, ist sie im New York der Gegenwart unterwegs, lässt
       ihre Kleinfamilie minus Vater in Manhattan Unterschlupf suchen, erst beim
       Schwiegervater, der sich verweigert, danach im Auto in versteckten
       Hinterhöfen, dann, als das Auto abgeschleppt worden ist, wo auch immer.
       
       Lone Scherfig verschaltet in „The Kindness of Strangers“ die Geschichten
       mehrerer Außenseiter. Neben Clara ist da Marc (Tahar Rahim), der gerade
       vorzeitig aus dem Knast gekommen ist. Dank der Idee seines engagierten
       Anwalts John Peter (Jay Baruchel), die Entlassung in einem russischen
       Restaurant mit miserabler Küche zu feiern, wird er schon bald in ebendiesem
       Laden angestellt, um dessen Speisenkarte aufzubessern.
       
       ## Treffen bei der Essenausgabe
       
       Marc begleitet John Peter wiederum zu einer Selbsthilfegruppe in einer
       Kirche, die von der Krankenschwester Alice (Andrea Riseborough) geleitet
       wird. Und Alice begegnet bald dem in so ziemlich allen Lebensdingen
       unbegabten Jeff (Caleb Landry Jones), der nach mehreren erfolglosen
       Versuchen im Berufsleben durch Zufall neben Alice bei der Essenausgabe für
       Obdachlose hilft.
       
       Keine Figur bleibt dabei für die Belange der übrigen ohne Berührung. Was
       ein bisschen reißbretthaft konstruiert daherkommt: Alice wird irgendwann
       dafür Sorge tragen, dass einer der Söhne Claras, der auf ihrer
       Krankenstation gelandet ist, nicht in die Hände des Vaters fällt, der
       selbstverständlich längst die Verfolgung der Ausreißer aufgenommen hat. Und
       auch John Peters rechtliche Expertise wird schließlich für Clara bedeutsam.
       
       Diese überdeutliche Konstruktion, wo kein Handlungsstrang einfach so
       weggeworfen wird, steht klar im Dienste der Geschichte, die Scherfig
       erzählen will. Eben wie Fremde, die sonst nichts verbindet, füreinander
       Verantwortung übernehmen und freundlich zueinander sein können, wie der
       genau so gemeinte Filmtitel ankündigt. Das gelingt Scherfig durch die Wahl
       von hinreichend sperrigen Charakteren, die zwar erwartbar im Verlauf des
       Films interagieren, aber nicht ständig erwartbare Dinge tun.
       
       ## Gefühlige Musik
       
       Gefühle spielen selbstverständlich auch eine große Rolle, besonders Zoe
       Kazan muss als Clara viel weinen. Gegenakzente setzen die Nebenfiguren wie
       der bis hin zur Kopfhaltung verklemmte John Peter, von Jay Baruchel mit
       schrulligem Humor verkörpert, die so empfindsame wie sorgfältig in ihre
       Helferinnenrolle eingepanzerte Alice von Andrea Riseborough oder der
       Restaurantbetreiber Timofey, den der in jeder Hinsicht große Bill Nighy mit
       ramponierter Würde gibt.
       
       Diese Einzelleistungen bewahren den Film davor, zum funktionalen
       Botschaftsvehikel zu geraten. Nur hätte man vielleicht besser den
       kanadischen Filmkomponisten Andrew Lockington nicht mit der Aufgabe
       betrauen sollen, das ohnehin schon stark gefühlsbetonte Geschehen mit
       gefühliger Musik unnötig in Kitschzonen zu steuern. Schönheitsfehler.
       
       8 Feb 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tim Caspar Boehme
       
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