# taz.de -- Werbeträger wird abgebaut: Säulendämmerung in der Stadt
       
       > Einst erfand Ernst Litfaß die nach ihm benannte Säule. Jetzt werden die
       > 2.500 Litfaßsäulen Berlins entsorgt. Und das alles wegen einer
       > Ausschreibung.
       
 (IMG) Bild: Eigentlich schon ein prima Werbeträger
       
       Wenn man so will, hatte es schon mit einer Ausschreibung begonnen. Mitte
       des 19. Jahrhunderts schwappte in Berlin nicht nur die Scheiße durch
       Rinnsteine in die Spree. Überall klebten auch Zettel und Annoncen. Um dem
       wilden Treiben Einhalt zu gebieten, schlug der 1816 geborene Tausendsassa
       Ernst Litfaß vor, Werbung nur noch auf Säulen kleben zu dürfen. Der Senat
       schlug ein, und so stand am 1. Juli 1855 die erste „Annoncensäule“ am
       Hackeschen Markt, dem heutigen Litfaß-Platz. Das wilde Werben war
       kanalisiert, bald folgte auch das Abwasser.
       
       Mit einer Ausschreibung geht die mehr als 150 Jahre alte Geschichte der
       Litfaßsäule nun auch zu Ende. Rot-Rot-Grün hatte seine Außenwerbung neu
       ausgeschrieben. Die Wall AG, die die 2.500 Litfaßsäulen bislang betrieben
       hatte, hat von der zuständigen Senatorin Regine Günther (parteilos, für
       Grüne) allerdings nur das Los für „digitale Werbeträger“ bekommen.
       
       Die klassische, weil geklebte Werbung ging an die Stuttgarter Firma ILG.
       Weil aber der Senat offenbar nicht zwingend vorschrieb, das Stadtbild und
       seine Geschichte in die Zukunft zu retten, dürfen die Schwaben nun weitaus
       dickere und zudem noch beleuchtete Säulen aufstellen.
       
       Für die Firma Wall, die die Litfaßsäulen mit der landeseigenen VVR Berek
       2006 vom Land übernommen hatte, heißt das: Säulen abbauen. Zunächst in
       bunten Farben überklebt (und werbefrei), sollen sie bis Ende Juni in diesem
       Jahr entsorgt sein. Die meisten müssen auf den Sondermüll. Nur 50 will der
       Denkmalschutz erhalten. Welche, konnte die zuständige Senatsverwaltung für
       Kultur der taz nicht sagen.
       
       So zäh es also geht mit der Verkehrswende und dem Bau leistungsfähiger
       Radwege, so schnell geht es mit der Entsorgung Berliner Geschichte. Was
       nicht einmal der kapitalismusfeindliche Sozialismus schaffte, schafft nun
       eine von den Grünen gestellte Verkehrssenatorin in Rekordgeschwindigkeit.
       
       ## Zurück auf Anfang
       
       Vielleicht sollte man deshalb zu den Anfängen zurückkehren. Wer dann im
       Sommer nicht einfach zusehen will, wie uns künftig protzige
       „Annoncensäulen“ leuchtend anlächeln, sollte zu gegebenem Zeitpunkt zu
       Eimer, Kleister und Pinsel greifen. Berlin braucht eine neue Unordnung,
       wilder und wütender noch als damals in den 1850er Jahren.
       
       Dann hat vielleicht auch wieder die Stadtregierung eine Einsicht – und ein
       neuer oder eine neue Tausendsassa bekommt eine Chance.
       
       10 Feb 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uwe Rada
       
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