# taz.de -- Die Wahrheit: Links als Fremdsprache
       
       > Sie ist Deutschlands erste Sprachschule für linke Kampfbegriffe. Zu
       > Besuch in einem Institut, das innovativ den deutschen Wortschatz
       > bereichert.
       
       In Hannover schlagen die Wellen derzeit hoch, nachdem dort neue
       Empfehlungen zur geschlechtergerechten Sprache in der Stadtverwaltung
       herausgegeben wurden. Bang stellt man sich die Frage: Müssen wir jetzt alle
       Deutsch neu lernen? Die Wahrheit hat nachgefragt und dazu „Our Wording“ in
       Leipzig besucht: Deutschlands erste Sprachschule für linke Kampfbegriffe.
       
       Das Gebäude ist ein ehemals besetztes Haus, inzwischen selbst verwaltet.
       Doch die Fassade mit bunt angestrichenen Fensterrahmen und verblichenen
       Transparenten („Freiheit für Damian“) verkünden eine eindeutige Botschaft:
       Man spricht links.
       
       Ein Wegweiser leitet uns in den Hof, nach links natürlich, zur Remise, in
       der sich Beata Kluwe und ihr Team eingerichtet haben. Zwei Klassenräume und
       ein Büro, das gleichzeitig als „Lehrer*innenzimmer“ dient. Beata Kluwe ist
       Mitte vierzig: dunkelrot gefärbte Haare, Nasenpiercing, schwarze Jeans,
       Anna-Lena-Baerbock-Lederjäckchen. Man merkt ihr an, dass sie in
       Hausprojekten sozialisiert wurde. Studium in Hamburg und Berlin:
       Fremdsprachen, dann Lehramt, Promotion zur Dr. phil. über
       „Gruppenspezifische Sprache und 1. Mai: Ohne Mollis in die Wanne“.
       
       Zum Lebenslauf gehören außerdem ein paar Jahre Gesamtschule, acht Jahre
       wissenschaftliche Referentin bei der Alternativen Liste, journalistische
       Nebentätigkeiten, Dozentenjobs. Vor einem halben Jahr hat sie die Remise
       hier bezogen. Stolz zeigt sie uns einen Klassenraum: alte Holzmöbel, selbst
       gezogene Grünpflanzen auf den Fensterbänken. „Nur Nutzhanf“, lacht Beata
       Kluwe. Die Wände in gelber Schwammtechnik. „Die ist einfach nicht
       totzukriegen. Aber unsere Schüler*innen sollen sich hier wie zu Hause
       fühlen, dann paukt sich’s einfacher Vokabeln.“
       
       Nebenan wird gerade unterrichtet. Wir lauschen. Eine Stimme ist erhoben,
       klar und deutlich fordert sie: „Und jetzt bitte wiederholen:
       What-a-bou-tism.“ Es folgt kollektives Gemurmel: „Wodd-äh-bau-dism.“
       
       „Grundkurs linker Wortschatz“, flüstert uns Beata Kluwe zu. „Da arbeiten
       wir mit viel mit klassischen, repetitiven Elementen.“ Doch auch moderne
       Methoden kommen zum Einsatz. „Der Kreativität sind da keine Grenzen
       gesetzt. Gestern hat uns eine frühere Waldorfschülerin ‚Fat Shaming‘
       vorgetanzt. Dieses Wort wird niemand im Kurs jemals wieder vergessen.“
       
       ## Knobelaufgaben im Klassenraum
       
       Aufgelockert würde der Unterricht auch durch Knobelaufgaben.
       Knobel-aufgaben? „Ja“, Beata Kluwe grinst: „Erklären Sie den Begriff
       ‚queer‘ in weniger als drei Sätzen. So was.“
       
       „Hatten Sie schon Besuch aus Hannover?“, wollen wir wissen, und die
       Sprachschulleiterin lacht auf: „Ich sehe, ‚Derailing‘ muss ich Ihnen nicht
       mehr erklären.“ Dann beantwortet sie unsere Frage: Nein, noch nicht,
       obschon Kurse in gendergerechter Sprache ein wichtiger Zweig der Schule
       seien. Und wieso ausgerechnet Leipzig? Kluwe verweist auf das
       Wortschatzprojekt des Deutschen an der Universität. Die Zusammenarbeit sei
       eng, schon jetzt gebe man studienvorbereitende Kurse: „Es gibt einfach
       viele junge Leute, die sich irgendwie links fühlen, aber von entsprechenden
       Hochschulgruppen überfordert sind. Wir unterstützen sie mit dem nötigen
       Vokabular. Wenn man so will, unterrichten wir Links als Fremdsprache.“
       
       Nele und Konstantin sind zwei dieser Erstis. Nele studiert Politologie und
       Gender Studies, Konstantin Wirtschaftsmathematik mit dem Nebenfach soziale
       Arbeit. Beide sind zum Studium nach Leipzig gezogen. Nele war in Kassel
       schon in der Bezirksschülervertretung aktiv, Konstantin in seiner Heimat
       Westerkappeln in der Antifa. Beide wollen sich in Leipzig weiter
       engagieren. „Aber hier in der Großstadt, an der Uni, herrscht ein anderer
       Ton“, sagt Konstantin. Und eine andere Sprache. Nele wirkt traumatisiert,
       als sie berichtet: „Ich war bei einem Ini-Plenum der Fachschaft und hab
       ‚Derailing‘ und ‚Whataboutism‘ verwechselt. Es war soo peinlich!“
       
       Und der Unterschied? „Derailing“ sei die Umlenkung einer Diskussion auf ein
       anderes Thema. Beim „What-aboutism“ werde ein Diskurs durch Gegenfragen in
       eine andere Richtung geschoben. „Moment, oder umgekehrt?“ Hektisch kramen
       die beiden nach ihren Vokabelheften.
       
       Doch nicht nur Studis besuchen die Schule. Es gibt auch Fremdsprachenkurse:
       Wo andere Institute Crashkurse in Business Englisch anbieten, kann man hier
       den Intensivkurs „Discourse English“ buchen (429 Euro netto). „Auch für Sie
       hätten wir da was“, sagt die Sprachschulleiterin und empfiehlt uns den
       „Aufbaukurse für linke Journalist*innen“ zum Verständnis aktueller
       Diskurse. Im Gegenzug biete man auch Seminare für „konservative
       Journalist*innen“ an, die die linken Medien verstehen wollten. Beliebt sei
       auch ihre ÜbersetzungsApp „PoliDic“. „Eine Art Wörterbuch
       Links-Rechts/Rechts-Links.“
       
       Das probieren wir sofort aus und geben, Hannover im Kopf, „gendergerechte
       Sprache“ ein. Die App übersetzt in Windeseile: „GenderGaga“. „Ja“, sagt
       Beata Kluwe. „Das kommt leider bei jeder Fügung mit ‚Gender‘ raus, der
       rechte Wortschatz ist da extrem begrenzt.“
       
       Die linke Szene hingegen bereichere den deutschen Wortschatz ähnlich
       umfangreich wie sonst nur das Internet. „Das war schon immer so.“ Doch die
       Zeiten von „Schwarzem Block“, „Volxküche“ und „Flugi“ sind vorbei, linke
       Sprache internationalisiere sich, täglich würden neue Anglizismen kreiert
       oder aus angelsächsischen Diskursen übernommen: „Framing“, „Mainstreaming“,
       unzählige „Blamings“, „Shamings“ und „Washings“, „Lookism“, „Disablism“,
       „Fatism“ und so weiter.
       
       ## Kampfbegriff nach Fehlverhalten
       
       „Unsere Sprachschüler*innen lassen wir auch gern selbst neue Isms oder Ings
       erfinden“, erzählt Beata Kluwe mit hintergründigem Lächeln und erläutert
       das Inging-Prinzip: „Definiere ein Fehlverhalten, hänge ein ‚-ing‘ dran,
       und zack, hast du deinen Kampfbegriff.“ Auf die Weise habe eine
       Sprachschule aus Brooklyn den Begriff des „Manspreading“ erfolgreich
       eingeführt. Schnell noch ein paar Memes dazu im Web platziert und ein
       Begriff gehe viral. „‚Viralism through Meming‘, sagen wir da.“
       
       Die Leipziger „Schüler*innen“ kreierten einen Gegenbegriff: das
       „Handbagging“. Freie Plätze neben sich durch Handtaschen zu blockieren.
       „Leider kamen sie zu spät“, erläutert ihre Lehrerin, „das Wort
       ‚She-Bagging‘ gibt es schon.“ Im Kurs wurde daraufhin heftig diskutiert, ob
       solch ein Wording sexistisch sei und geeignet, um Frauen, die viel
       einkauften, oft ja Mütter, zu diskreditieren („Mom Blaming“), also bloß
       eine Form des „Toxic Masculinism“, sich von Schuld freizusprechen („Men
       Washing“).
       
       Offenbar wurde Beata Kluwe Opfer der eigenen Unterrichtsmethoden. Wenige
       Tage nach unserem Besuch kündigte ihr das Hausplenum fristlos. Ein paar
       „Schüler*innen“ hätten ihre Schule für zu „teaching“ befunden und Beate
       Kluwe „Knowledgism“ und „Kluwism“ vorgeworfen – Begriffe, die sie nun
       woanders lehren muss.
       
       2 Feb 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Volker Surmann
       
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