# taz.de -- Kolumne Fremd und befremdlich: Grenzen im Kopf
       
       > Ich erlebe eine große Feindlichkeit in der Bevölkerung gegenüber
       > Kunstwerken, die die Leute nicht verstehen. Woher kommt der ganze Hass?
       
       „Das’s doch nicht schön“, sagten meine Eltern, wenn sie ein modernes
       Kunstwerk zu sehen bekamen. Sie bekamen es eher selten zu sehen, weil sie
       auch nie in eine Kunstausstellung gingen. Sie sahen sowas eher mal im
       Fernsehen oder in der Zeitung. „Dit würd’ ick mir nich’ hinhäng’n, dit is’
       ja nich’ ästhetisch.“
       
       Ästhetisch fanden sie Waldstücke und Blumenarrangements, Landschaften im
       Allgemeinen, wenn sie „gut gemalt“ waren. Aber irgendwie glaubten sie doch,
       dass es Kunst geben konnte, die, obwohl sie ihnen nicht gefiel und sie sie
       nicht verstanden, es wert war, Kunst genannt zu werden.
       
       Es gab da also eine gewisse Akzeptanz. „Kann schon sein, dasset irgendwie
       jut is’“, sagte mein Vater dann. Und in dieser Hinsicht waren sie also
       groß. Sie waren nicht der Ansicht, dass die Welt, weder die Künstlerische
       noch sonst eine, an ihrer eigenen Grenze Halt zu machen hatte.
       
       Meine eigene Einstellung zur Kunst ist von Anfang an eine andere gewesen.
       Ich habe mich damit auseinandergesetzt. Ich habe schon als Teenager
       Ausstellungen in Berlin besucht und Bücher über Kunst gelesen. Während
       meinen Eltern die Kunst immer ihrer Unterhaltung diente, die Musik, die
       Bilder an der Wand, habe ich in ihr immer eine spezielle Art von Erkenntnis
       gesucht.
       
       Mittlerweile erlebe ich eine große Feindlichkeit in der Bevölkerung
       gegenüber der Kunst. Vielleicht gab es die auch früher schon und sie ist
       nicht aufgefallen, weil es keine Kommentarfunktionen gab. Was sie nicht
       verstehen, was sie nicht unterhält, das lehnen sie nicht nur ab, das
       beschimpfen sie, das hassen sie. Das hat nicht die Qualität des: „Kann
       schon sein, dasset irgendwie jut is’.“ Es wird den Künstlern eine
       Überheblichkeit unterstellt, eine Arroganz, die direkt die trifft, die sich
       getroffen fühlen.
       
       In Hamburg gibt es ein goldenes Haus auf der Veddel. Da wurde doch glatt
       ein ganzes Haus mit Blattgold überzogen. Ja, sind die denn komplett
       verrückt? Es gab einen Beitrag von „Extra3“. Kann man sich auf Youtube
       ansehen, die Kommentare mit dazu. „Nichts weiter als Dekadenz. Von Leuten
       die ihr Leben lang noch nicht ehrlich gearbeitet haben…“ „Und der
       selbsternannte ‚Künstler‘ hat die Arbeit noch nicht mal selber gemacht…“
       
       „Selbsternannt“ ist das Lieblingsadjektiv aller Kommentatoren, ihre
       Lieblingsbeschimpfung. Selbsternannt soll heißen, er ist es gar nicht
       richtig, er glaubt nur selbst, dass er ein Künstler ist, durch Behauptung,
       er ist ein Vortäuscher, er führt uns an der Nase herum. „Selbsternannt“
       werden auch Leute geschimpft, die gar nicht durch ihren Beruf, sondern nur
       durch ein Engagement auffallen, und also gar nichts anderes als
       selbsternannt sein können, etwa Naturschützer. Diese „selbsternannten“
       Naturschützer heißt es dann. Denen hat man es mit dem Adjektiv
       „selbsternannt“ dann richtig gegeben.
       
       ## Hübsch und kostengünstig
       
       Ich war jedenfalls vor Kurzem auf der Veddel, die Aufregung um das Goldhaus
       hat sich ja inzwischen gelegt, ich war eher zufällig dort und es hat mir
       ganz spontan gefallen. Und zwar genau in dem Zusammenhang, in dem es dort
       steht, entstanden ist und diskutiert wird.
       
       Diskussion ist ja wichtig, in solchen Zusammenhängen, gehört untrennbar
       dazu. Und dann ist vor einigen Wochen ein Stein an der Elbe mit Sprühfarbe
       vergoldet worden. Das eine, das Haus auf der Veddel, das hat 85.000 Euro
       gekostet, angeblich, der Stein wurde von irgendwem umsonst angesprüht.
       „Soll das so bleiben?“, wurden Umfragen gestartet.
       
       Und siehe da, da ist der einfache Bürger, der Hanseat, mit diesem
       kostengünstigen Kunstwerk doch ganz anderer Meinung. Das findet er ganz
       hübsch, da lässt er sich gern davor fotografieren, das hat ja gar nichts
       gekostet! Ist das jetzt auch Kunst, ohne Selbsternennung, ist das
       vergoldete Haus Kunst, oder Verschwendung, oder beides? Woher kommt der
       Hass auf die Kunst, die die Leute nicht verstehen? Warum sind die Leute
       nicht mehr wie mein Vater, der gesagt hätte: „Jut sieht it ja aus, aber ick
       hättet nich’ jemacht.“
       
       24 Jan 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Seddig
       
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