# taz.de -- Abschiebepraxis in Hamburg: Die Angst ist immer da
       
       > In Hamburg sind Abschiebungen mitten in der Nacht kein Einzelfall, und
       > das schafft unter den Geflüchteten ein Klima der Furcht.
       
 (IMG) Bild: Kommen oft auch mitten in der Nacht: Polizeieinsatz in einer Flüchtlingsunterkunft
       
       Hamburg taz | Sie kamen zu acht, gegen drei Uhr in der Nacht. Sie weckten
       die Eritreerin Selam*, die in der Schutzunterkunft für Frauen und ihre
       Kinder am Kaltenkircher Platz in Hamburg untergebracht ist. Weil sich die
       31-Jährige weigerte mitzukommen, legten sie ihr Handschellen an. Die lagen
       so eng an, dass Selams Handgelenke noch Tage später aufgeschürft sind. Es
       ging hinein in einen Polizeibus, Kurs Düsseldorf. Dort, so wurde der im
       fünften Monat schwangeren Selam angekündigt, werde sie in einen Flieger
       gesetzt, der sie nach Italien bringe. In jenes Land, in dem sie nach ihrer
       Bootsflucht aus Libyen zuerst europäischen Boden betreten hatte und
       registriert worden war.
       
       Doch es kam anders. In Düsseldorf angekommen, wurde sie von den dortigen
       Polizisten gefragt, ob sie überhaupt nach Italien ausreisen wolle. Selam
       verneinte, sie nahmen ihr die Handschellen ab, brachten sie zum
       Düsseldorfer Hauptbahnhof und setzten sie in den Zug nach Hamburg. Am
       späten Nachmittag traf sie völlig erschöpft wieder in ihrer Unterkunft ein.
       Gut vier Wochen ist das jetzt her und noch immer ist unklar, wieso Selam
       doch bleiben durfte.
       
       Klar ist aber: Es ist kein Einzelfall. Noch immer werden Schutzsuchende
       mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen, um sie abzuschieben – in ihr
       Herkunftsland oder in das europäische Land, das nach dem
       Dublin-III-Abkommen für die Bearbeitung ihres Asylantrags zuständig ist. In
       vielen Hamburger Sammelunterkünften kommt es deshalb regelmäßig zu
       nächtlichen Tumulten.
       
       „Nach unserer Beobachtung ist die schreckliche Praxis der nächtlichen
       Abschiebungen noch immer die Regel und nicht die Ausnahme“, sagt Christiane
       Schneider, Bürgerschaftsabgeordnete der Hamburger Linken. Nicht nur für die
       direkt Betroffenen, auch für die anderen Bewohner*innen der Unterkünfte sei
       das ein hoch belastendes Verfahren, denn es könne jeden treffen, der
       offiziell ausreisepflichtig sei. Für die Menschen, die durch dieses
       Prozedere oft aus dem Schlaf gerissen werden, erhalte „die Angst, der
       nächste zu sein, jede Nacht neue Nahrung“, sagt Schneider.
       
       Eine der Nächsten könnte Eden* sein, auch ihr droht die Überstellung nach
       Italien. Die 24-Jährige stammt ebenfalls aus Eritrea und ist in der
       Schutzunterkunft am Kaltenkircher Platz untergebracht. Sie hat Post von der
       Hamburger Ausländerbehörde bekommen: Sie möge ihre Unterkunft vom kommenden
       Freitag ab 18 Uhr und bis zum nächsten Morgen nicht verlassen. „Dieses
       Schreiben ist eine sogenannte Meldeauflage, mit der die Ausländerbehörde
       die ausreisepflichtigen Personen über den konkreten Termin der Abschiebung
       im Rahmen des Dublin-Übereinkommens informiert“, erklärt Behördensprecher
       Matthias Krumm. Bei Zuwiderhandlung gegen die Aufforderung, die Unterkunft
       über Nacht nicht zu verlassen, droht sogar Abschiebehaft. Das bestätigte
       die Ausländerbehörde der taz.
       
       Doch diese Aufenthaltspflicht ist rechtlich fragwürdig. Das Lüneburger
       Oberverwaltungsgericht hat diese Praxis für rechtswidrig erklärt und seine
       Entscheidung damit begründet, dass der verordnete Hausarrest eine
       Freiheitsentziehung sei, für die es im Aufenthaltsgesetz keine
       Rechtsgrundlage gibt. Mehrere Kammern des Hamburger Verwaltungsgerichts
       haben sich dieser Rechtsauffassung bereits angeschlossen.
       
       Trotzdem gehören nächtliche Polizeieinsätze in Flüchtlingsunterkünften und
       auch Abschiebungen aus der Ausländerbehörde heraus noch immer zur Hamburger
       Normalität. Jedes Mal also, wenn Selam und Eden monatelang fast einmal pro
       Woche in die Ausländerbehörde gehen mussten, um ihre Duldung verlängern zu
       lassen, ging die Angst mit. „Bei jeder Visite der Ausländerbehörde besteht
       die Gefahr, festgenommen und abgeschoben zu werden“, erklärt ein Betreuer
       der Schutzeinrichtung am Kaltenkircher Platz.
       
       „In Hamburg finden Abschiebungen aus der Ausländerbehörde oder nachts nicht
       regelhaft statt“, spielt Matthias Krumm die Dimension der Zwangsmaßnahmen
       herunter. Wenn doch, geschehe das aus „organisatorischen Gründen“ und „zur
       Sicherung der Rückführungsmaßnahme“, da „die Ausländerbehörde
       bundesgesetzliche gehalten“ sei, „die Ausreise durchzusetzen“.
       
       Für Selam, die inzwischen im sechsten Monat schwanger ist, könnte die
       Geschichte nun doch noch ein gutes Ende nehmen. Nach vielen kurzfristigen
       Duldungen hat sie jetzt eine sechsmonatige Aufenthaltsgestattung bekommen –
       und damit über die Geburt ihres Kindes hinaus. Damit ist dann Deutschland
       für ihr Asylverfahren zuständig und da stehen die Chancen der 31-Jährigen
       nicht schlecht. Im vergangenen Jahr wurden über 95 Prozent der in
       Deutschland von Eritreer*innen gestellten Asylanträge angenommen.
       
       *Namen geändert
       
       25 Nov 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marco Carini
       
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