# taz.de -- DDR-Vertreter im Abgeordneten-Archiv: Die Vergessenen
       
       > Im Abgeordneten-Archiv sind alle Parlamentarier gelistet. Jedoch fehlen
       > hier 256 Vertretern der DDR-Volkskammer. Ein Grüner will das nun ändern.
       
 (IMG) Bild: Ehemaliger Sitz der Volkskammer: der Palast der Republik
       
       Wenn Abgeordnete den unterirdischen Gang von ihren Büros im
       Jakob-Kaiser-Haus zum Reichstagsgebäude nehmen, passieren sie das „Archiv
       der Deutschen Abgeordneten“. Fast 5.000 Holzkästen stapeln sich hier bis
       zur Decke. Darauf die Namen aller deutschen Abgeordneten zwischen 1919 und
       1999. Ob Hinterbänkler oder führende Politiker – im Archiv habe alle einen
       Platz. Fast alle: Die am 18. März 1990 erste frei gewählte DDR-Volkskammer
       mit ihren 400 Abgeordneten ist nur teilweise vertreten. Gedacht wird nur
       der 144 Volkskammerabgeordneten, die nach der Wiedervereinigung von Oktober
       bis Dezember 1990 in den Bundestag entsandt wurden.
       
       Die 256 Abgeordneten der letzten DDR-Volkskammer, die sich im April 1990
       konstituierte und bis Oktober 1990 den Weg zur Deutschen Einheit
       gestaltete, fehlen dagegen im kollektiven Gedächtnis. Unter den
       Verschollenen sind Persönlichkeiten wie Regine Hildebrandt (SPD) oder Jens
       Reich (Neues Forum) – zentrale Figuren der Wiedervereinigung.
       
       Die Idee des Archivs: Hier ist verewigt, wer demokratisch gewählt wurde –
       entweder in die Deutsche Nationalversammlung von 1919/20, in die Reichstage
       der Weimarer Republik oder in den Deutschen Bundestag.
       
       Warum die Volkskammer nach der freien Wahl 1990 nicht berücksichtigt wurde,
       ist dem Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar (Grüne) ein Rätsel. „Die
       einzigen freien Wahlen wurden entweder vergessen oder für nicht wichtig
       erachtet“, sagt der Grünenpolitiker aus Berlin Pankow. Wenige Tage vor dem
       Jahrestag der Deutschen Einheit schreibt Gelbhaar deshalb einen Brief an
       Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). Darin kritisiert er die Lücke
       im Archiv als einen „Missstand, der so nicht länger unkommentiert
       stehenbleiben sollte.“
       
       ## „Eine nachdenkliche Antwort wäre ehrlich“
       
       Gelbhaar fordert die Aufnahme aller 400 Namen in das Bundestagsarchiv. „Die
       freien Wahlen zur Volkskammer der DDR sind eine Errungenschaft der
       ostdeutschen Demokratiebewegung. Sie waren ein maßgeblicher Schritt in die
       Deutsche Einheit“, schreibt Gelbhaar. Die 256 ostdeutschen Abgeordneten zu
       ignorieren, zeige, „dass der Wille zur Deutschen Einheit noch nicht
       vollständig in den Räumen des Deutschen Bundestages angekommen ist.“
       
       Dem französischen Künstler Christian Boltanski, der die Installation 1999
       errichtete, ging es um Ausgewogenheit. Neben verfolgten Abgeordneten sind
       auch nationalsozialistische Abgeordnete aufgeführt, die vor der Einführung
       der Einheitsliste im November 1933 demokratisch in den Reichstag gewählt
       wurden. Das Archiv sollte nicht nur die Errungenschaften, sondern auch die
       Verwerfungen in der deutschen Parlamentsgeschichte abbilden.
       
       Bundestagspräsident Schäuble teilte Gelbhaar nun mit, das Anliegen werde
       derzeit geprüft. Der ist damit nicht zufrieden. „Eine nachdenkliche Antwort
       wäre ehrlich“, meint er.
       
       3 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jonas Weyrosta
       
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