# taz.de -- UN-Initiative gegen häusliche Gewalt: Eine Frau wehrt sich
       
       > Maia Taran lebt in einem kleinen Dorf in Moldau. Sie hat unendliche
       > Qualen durch ihren Ehemann erdulden müssen. Nun redet sie darüber.
       
 (IMG) Bild: Reden statt schweigen: Maia Taran mit einer ihrer Töchter
       
       Fîrlădeni/Rusca taz | Als Maia Taran die Augen öffnet, ist das Blut auf
       ihrem Kopf bereits getrocknet. Wie lange sie auf dem Boden gelegen hat,
       weiß sie nicht, sie ist allein. Dann sieht sie die Axt, die neben ihr
       liegt. Dieses Mal hätte Bogdan*, ihr Ehemann, sie beinahe umgebracht. In
       diesem Moment beschließt Maia Taran, seinem nächsten Versuch zuvorzukommen.
       
       Drei Tage lang isst sie nichts. Dann bindet sie den Strick zu einer
       Schlinge. Verhungern dauert ihr zu lange. Mit letzter Kraft klettert die
       junge Frau auf einen Hocker, hinter der Scheune, gleich neben dem
       Plumpsklo, und schließt die Augen. Der schwache Körper fällt, doch der
       Knoten löst sich. Taran überlebt.
       
       Wochen später der nächste Versuch. Sie schluckt, was sie in die Finger
       bekommt, abgelaufene Medikamente, Schlaftabletten, einhundert Pillen, sagt
       sie. Taran überlebt.
       
       Sie unternimmt ihren dritten Selbstmordversuch, trinkt einen Liter Ethanol.
       Am Abend taumelt sie auf die Straße vor ihrem Haus und wartet auf ein Auto,
       das sie endlich überfährt. Doch sie wird ohnmächtig und bricht am
       Straßenrand zusammen. Taran überlebt.
       
       „Glaubst du, dass du uns damit hilfst, wenn du dich umbringst?“, fragt die
       älteste Tochter. Ana ist damals acht. Vier Jahre werden vergehen, bis Maia
       Taran sich von Bogdan trennt und zum „Positive Champion“ wird. So heißt
       eine Initiative des Projektes „UN Women“ der Vereinten Nationen. Taran ist
       eine von 44 Frauen in moldauischen Kleinstädten und Dörfern, die ihre
       Erfahrungen öffentlich teilen und andere dazu ermutigen, sich aus der
       Gewalt zu befreien.
       
       ## Der Mann attackierte sie mit dem Ofenkratzer
       
       An einem Dienstag im Mai 2018 feiert die Frau, die unbedingt sterben
       wollte, ihren vierzigsten Geburtstag. Inzwischen wohnt sie zusammen mit
       ihren vier Kindern in einem kleinen windschiefen Haus, vor dem drei Hunde
       bellen.
       
       Der Ort Fîrlădeni liegt zwei Autostunden südöstlich der moldauischen
       Hauptstadt Chişinău entfernt, inmitten von Äckern, auf denen Haselnussbäume
       wachsen, Kühe und Ziegen grasen. Löcher, groß wie Gullydeckel, sind in der
       unbefestigten Straße. 4.500 Einwohner hat das Dorf, außerdem eine Bücherei,
       einen Supermarkt, eine Apotheke, eine Kirche und eine Schule.
       
       Maia Taran stützt den Unterarm auf die Plastikdecke des Küchentisches. Die
       Augen suchen rastlos die Blumentapete ab, als hoffte sie, dort den Anfang
       ihrer Geschichte zu finden, durch die sich die Gewalt zieht wie ein roter
       Faden. Man sieht ihr diese Jahre an.
       
       Die dünnen weißen Narben auf der Stirn und den Wangenknochen. Wie oft der
       Ehemann sie mit dem Ofenkratzer attackiert hat, weiß sie nicht. Die Nase,
       die in der Mitte etwas dicker und schief ist. Zweimal hat der Mann sie
       gebrochen, zweimal hat die Frau sie selbst gerade gebogen. Das rechte Ohr,
       auf dem sie fast nichts mehr hören kann, seitdem sie der Mann an den Haaren
       festgehalten, den Kopf auf den Tisch gedrückt und mit seinem schweren
       Militärschuh zugeschlagen hat.
       
       Ein kleines Mädchen mit langen braun-blonden Haaren kommt in die Küche und
       schmiegt sich an ihre Mutter. Christina ist sieben Jahre alt. Sie lässt die
       Holztür hinter sich offen, nebenan schauen Ana (20), Valentina (17) und
       Dumitru (12) einen italienischen Spielfilm an.
       
       ## Von Tür zu Tür unterwegs – Ziel Aufklärung
       
       „Vor meinen Kindern habe ich nichts zu verbergen“, sagt sie in schnellem
       Rumänisch, eine der beiden Amtssprachen Moldaus. Sie hat eine kräftige
       Stimme, spricht laut und energisch wie jemand, der sich nichts mehr sagen
       lässt.
       
       Hinter ihr hängt ein Foto, auf dem sie in Chişinău ein Diplom der Vereinten
       Nationen entgegennimmt, sie lächelt. „Das war ein schöner Moment“, sagt
       sie, als die „Positive Champions“ vor zwei Jahren ins Leben gerufen wurden.
       Seitdem geht Taran von Tür zu Tür, klärt ihre Nachbarinnen über ihre Rechte
       auf: „Frauen sind Männern gleichgestellt“, sagt sie dann. „Und wer Gewalt
       erlebt, der muss sich nicht dafür schämen, sondern kann sich wehren.“
       
       Doch wer als Frau über das Tabuthema häusliche Gewalt spricht, macht sich
       in einem Dorf wie Fîrlădeni keine Freunde. „Viele Männer hassen mich.“
       
       Der Hass geht so weit, dass sie immer wieder mitten in der Nacht von
       fremden Männerstimmen auf der Straße vor ihrem Haus geweckt und bedroht
       wird. Sie, die geschiedene und alleinerziehende Mutter, wird beschimpft und
       ihre Aufklärungsarbeit ins Lächerliche gezogen. Die Töchter finden
       ihretwegen im Supermarkt keine Arbeit. „Ich habe Angst, dass wir
       angegriffen werden“, sagt Maia Taran und wirft einen besorgten Blick auf
       ihre Kinder, die dem Gespräch lauschen. „Ich will verhindern, dass andere
       Frauen meine Fehler wiederholen.“
       
       Den Anfang ihrer Geschichte findet Maia Taran in ihrer Kindheit.
       
       „Ich war eine gute Schülerin“, sagt sie, besser als ihre drei jüngeren
       Geschwister. Eine Eigenschaft, die ihr zugutekam, vor allem nachts, wenn
       der Vater nach Hause kam. „Wir wurden geweckt, mussten uns hinknien und das
       Einmaleins aufsagen. Wer nicht vorbereitet war, wurde geschlagen.“
       
       Der Vater hat viel getrunken und die Mutter geschwiegen. An einem
       Silvesterabend verlor ihr Vater Geld beim Kartenspiel. „Wir erlassen dir
       die Wettschulden, wenn du deine Frau umbringst“, sagten seine Freunde, die
       damit testen wollten, wie weit er gehen würde. Als der Mann die Mutter mit
       einem Messer attackierte, lief die sechsjährige Maia barfuß über den Schnee
       zum Haus des Großvaters und holte Hilfe.
       
       ## „Gewalt ist eine Krankheit, die vererbt wird“
       
       Heute hat Maia Taran ihrem mittlerweile krebskranken Vater vergeben.
       „Gewalt ist eine Krankheit, die vererbt wird“, erklärt sie. Außerdem sei
       sie mit ihren Kindheitserfahrungen in Fîrlădeni nicht allein. „Ich habe
       sehr viel gesehen“, sagt sie. Die Tatwaffen: Gabeln, Messer, Hammer. „Wenn
       man wütend ist und Alkohol getrunken hat, dann ist man zu allem fähig.“
       
       Jede vierte Frau in Moldau wird im Laufe ihres Lebens Opfer von häuslicher
       Gewalt, bilanziert die nichtstaatliche Institution „The People’s Advocate“.
       Laut den Vereinten Nationen ist es sogar jede zweite, denn die Dunkelziffer
       ist hoch.
       
       Frauen wie Maia Taran haben in der Regel vier Möglichkeiten: Die Frau lebt
       mit der Gewalt. Die Frau verschwindet mit Hilfe von Menschenhändlern. Die
       Frau tötet sich. Oder ihren Partner.
       
       So wie die 54-jährige Vera. Ein Besuch in Moldaus einzigem Frauengefängnis
       in der Ortschaft Rusca.
       
       ## Besuch bei Vera im Gefängnis von Rusca
       
       Vor dem Tor, hinter dem die Freiheit endet, wehen zwei Fahnen: eine der
       Republik Moldau, eine der Europäischen Union, die seit dem
       Assoziierungsabkommen vor jedem öffentlichen Gebäude gehisst wird. Ziel des
       Abkommens: Die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, Einhaltung der
       Menschenrechte, Bekämpfung von Menschenhandel und Gewalt in Familien.
       
       Hinter dem Tor beginnt eine andere Welt. Frauen bewegen sich mechanisch
       über den Gefängnishof, halb so groß wie ein Fußballplatz. Mütter, Töchter
       und Schwestern sticken Tischdecken. Hagere Gestalten rauchen im Schatten
       der Bäume. Sie sprechen nicht, sie schauen bloß. Und warten in der Stille.
       Ein Pferd zieht einen Karren, beladen mit Kartoffeln. Gefängniswärter
       machen ihre Runden.
       
       Vera, deren Nachname hier nicht genannt werden kann, ist eine kleine Frau,
       trägt ein lila Kopftuch und ein hölzernes Kreuz um den Hals. 2015 ist sie
       zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil sie ihren Ehemann
       erstochen hatte. Es schmerzt, wenn Vera an diesen Tag zurückdenkt, an dem
       sie nach jahrelangen Misshandlungen selbst zum Messer gegriffen hat. „Nie
       habe ich jemanden um Hilfe gebeten. Ich versuchte, dieses Problem allein zu
       Hause zu lösen. Ich war stets geduldig.“ Sie habe aus Notwehr gehandelt.
       
       Vera sitzt mit 349 Frauen im Gefängnis, die sich 75 Zellen teilen. Erlaubt
       sind ein Besuch im Monat, ein Anruf von zwanzig Minuten und eine warme
       Dusche pro Woche, festgelegte Stunden vor schlecht eingestellten
       Fernsehern, deren Programme vom Gefängnispersonal ausgewählt werden. Und
       bis zum vollendeten dritten Lebensjahr darf das eigene Kind mit der Mutter
       leben. Danach wird es in die Obhut von Verwandten gegeben.
       
       Acht kleine Mädchen und Jungen leben derzeit in Rusca. Ohne
       Kindererziehung, ohne Spielplatz. Sie schlafen im Einzelbett der Mutter.
       Manche von ihnen haben das Gefängnis noch nie verlassen.
       
       Die Hälfte der Frauen in Rusca sitzt wegen häuslicher Gewalt, weil sie
       ihren Partner getötet oder attackiert haben. Die Jüngsten sind 17, die
       Älteste 70. Dreißig Prozent der Insassinnen wurde wegen Menschenhandel
       verurteilt, weil sie anderen Frauen gefälschte Dokumente, den Transport und
       die Kontakte ins Ausland vermittelt haben. Die Übrigen mussten wegen
       Drogendelikten hinter Gitter.
       
       Manche teilen sich ihre Zellen mit fünf anderen. Die Wände der Zellen sind
       bunt bemalt, beklebt mit Herzen, Blumen und Fotos von Familienmitgliedern,
       auf den Tischen liegen Bibeln und Zeitschriften, auf dem Boden reihen sich
       Sandalen ordentlich aneinander. „Der Umgang untereinander ist höflich, es
       gibt keine Zwischenfälle“, sagt eine Gefängniswärterin. „Frauen sind
       einfacher zu rehabilitieren, Frauen bereuen ihre Taten schneller als
       Männer. Einigen geht es hier besser als in ihrem alten Leben, wo sie keine
       warmen Mahlzeiten hatten, dafür aber einen trinkenden Ehemann.“
       
       ## 13 Jahre durch die Hölle gegangen
       
       Im kleinen Dorf Fîrlădeni überlegt Taran angestrengt, wann ihr Ehemann sie
       eigentlich zum ersten Mal geschlagen hat. Sie ballt die Hand zu einer Faust
       und öffnet sie wieder. Es war kurz nach der Hochzeit, im Jahr 1997. „Ich
       glaube, ich hatte ihm nicht gleich geantwortet, außerdem war ich
       geschminkt. Das hat ihn provoziert.“ Er war betrunken und gereizt.
       
       „Ich konnte es nicht begreifen, dass mir das passiert.“ Von diesem Moment
       an wird Maia Taran dreizehn Jahre lang durch die Hölle gehen. In dieser
       Zeit denkt sie noch: Was zu Hause passiert, muss zu Hause geklärt werden.
       „Jeder hat meine Verletzungen gesehen.“ Eingeschritten ist niemand.
       
       Der Ehemann wird immer brutaler und geht schließlich auch auf die Kinder
       los. Da beschließt Maia, zur Polizei zu gehen. Doch die Beamten hätten sie
       weggeschickt. „Die Männer halten zusammen. Mein Exmann war Soldat und
       später Polizist. Ich weiß, wovon ich spreche.“ Sie wusste nicht, dass es
       Nichtregierungsorganisationen und Frauenhäuser gibt, bei denen sie hätte
       unterkommen können.
       
       Geschiedene Frauen gelten in Fîrlădeni als Prostituierte und unehrenhaft.
       Sie denkt: „Ich habe diesen Mann ausgesucht, ich muss bei ihm bleiben.
       Ansonsten habe ich als Ehefrau versagt.“
       
       Die von den Vereinten Nationen ausgezeichnete Maia Taran war 18 Jahre alt,
       als sie Bogdan kennenlernte, er drei Jahre älter. Ein starker, gut
       aussehender Mann, sagt sie, der volles schwarzes Haar hatte und dazu einen
       Schnurrbart. „Ich habe ihn geliebt.“ Sie gebar ihm fünf Kinder, das vierte
       starb nach der Geburt.
       
       Die junge Mutter ist finanziell abhängig und kümmert sich um die Erziehung.
       Der Ehemann verschwindet tagelang, findet jahrelang keine Anstellung. „Oft
       hatten wir kein Geld, um Essen zu kaufen.“ Sie ist allein: Ihre Mutter
       schweigt, ihr Vater ist alkoholkrank, die beiden Schwestern im Ausland, der
       Bruder sitzt im Gefängnis. „Ich war schwach, die Schmerzen spürte ich
       irgendwann nicht mehr. Nur um die Kinder hatte ich Angst.“
       
       Maia Taran bricht ihr Schweigen im Jahr 2010.Ihre zwei Monate alte Tochter
       im linken Arm, die Bratpfanne in der rechten Hand. So steht sie in der
       Küche, als der Ehemann betrunken nach Hause kommt. „Voller Hass riss er mir
       die Bratpfanne aus der Hand, holte aus und schüttete das heiße Öl in meine
       Richtung.“ Taran duckt sich weg, ihr Rücken bekommt einige Spritzer ab,
       dann verlässt der Mann das Haus. Die Hebamme, die zu dem Zeitpunkt im Haus
       ist, sagt: „Das wird nicht gut ausgehen für euch. Morgen hole ich dich ab.
       Pack deine Sachen und Kinder.“
       
       ## Rettung in einem Frauenhaus
       
       Maia Taran und die Kinder landen in einem Zentrum für Mütter und verbringen
       dreißig Tage dort. „Ich wurde neu geboren, habe zum ersten Mal richtig
       schlafen können. Ich habe mich mit anderen Frauen unterhalten und die
       nötige Unterstützung bekommen.“
       
       Die Republik Moldau müsste staatliche Frauenhäuser in ländlichen Gebieten
       fördern. Die psychologischen Betreuungsstellen müssten ausgebaut werden und
       zwar für Mütter und Kinder. Das Polizeipersonal müsste geschult werden, um
       genau solche Situationen zu verhindern Das sagt Alexandru Zubco. Er ist
       Leiter der Abteilung Folterprävention bei „The People’s Advocate“.
       
       Die Gesetze in Moldau seien eigentlich gut und stellten häusliche Gewalt
       unter Strafe, meint er. Doch die Umsetzung erkläre die hohe Dunkelziffer:
       Betroffene verzichteten auf eine Anzeige, weil der Ehemann in den meisten
       Fällen nur eine Geldbuße bekomme. Diese Strafe zahle der Mann aus dem
       Familienbudget. Zubco sagt: „Darunter leiden die Frauen, die meistens aus
       ärmerenMilieus stammen.“
       
       Auch eine einstweilige Verfügung, nach der sich der Mann bis zu 90 Tage
       seinem Opfer nicht nähern darf, wird selten verhängt. „Wer soll denn die
       Einhaltung kontrollieren?“, fragt Zubco. Es fehle nicht nur an staatlichen
       Frauenhäusern und einer psychologischen Betreuung, sondern auch an
       geschultem Polizeipersonal.
       
       Erst im Frauenhaus fasste Maia Taran den Entschluss, sich scheiden zu
       lassen. Und sie hat Anzeige erstattet. Ihr Ex-Mann kam für ein halbes Jahr
       ins Gefängnis. Mittlerweile wohnt er in einem Nachbardorf. „Er hat sich
       entschuldigt und zahlt alle paar Monate drei- bis fünfhundert Lei“
       (umgerechnet 15 bis 30 Euro), sagt Taran. Dieses Geld reiche nicht einmal
       für die Stromrechnung.
       
       Sie verschwindet im hinteren Teil ihres Hauses und kommt mit einem
       Schulheft zurück. In Handschrift, fein säuberlich, hat sie ihre
       Erinnerungen notiert. „Ich schreibe gerade ein Buch über mein Leben“, sagt
       sie. Der Titel: „Das Leben geht weiter“.
       
       * Der Name wurde von der Redaktion geändert
       
       2 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniela Prugger
       
       ## TAGS
       
 (DIR) häusliche Gewalt
 (DIR) Moldau
 (DIR) Frauen
 (DIR) EVP
 (DIR) Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
 (DIR) Schwerpunkt Feministischer Kampftag
       
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