# taz.de -- Krimiserie „Babylon Berlin“: Der Grusel der Gegenwart
       
       > „Babylon Berlin“ läuft ab Sonntagabend erstmals im Free-TV. Durch den
       > Aufstieg der AfD ist die historische Krimiserie politisch erschreckend
       > aktuell.
       
 (IMG) Bild: Volker Bruch als Kommissar Gereon Rath in einer Szene aus „Babylon Berlin“
       
       Ein netter Krimi könnte es sein. Ein Stück Zeitmalerei, wie es denn so war
       in den ausgehenden 1920er Jahren. Aber es wird anders sein, wenn am
       Sonntagabend erstmals frei empfangbar im Fernsehen zu sehen ist, was die
       ARD seit Wochen massiv bewirbt: „Babylon Berlin“, basierend auf den Krimis
       von Volker Kutscher, hat durch den Aufstieg der AfD und die zunehmende
       Radikalisierung auf der Straße eine erschreckende Aktualität bekommen.
       
       Seit 2008 hat Kutscher, zuvor Lokalredakteur in Wipperfürth im Bergischen
       Land östlich von Köln – nicht gerade ein Crime-Hotspot – sechs Krimis
       veröffentlicht, der siebte soll im November auf den Markt kommen: „Der
       nasse Fisch“ hieß der erste Band, auf ihm basieren die 16 Episoden von
       „Babylon Berlin“. Die strahlt die ARD übrigens so aus, wie bislang nur bei
       Free-TV-Premieren wie einer neuen „Game of Thrones“-Staffel gekannt: gleich
       drei Folgen kompakt am Stück, ununterbrochen von 20.15 Uhr bis 22.30 Uhr.
       
       2008, das war fünf Jahre vor der Gründung der AfD im Jahre 2013. Wer in
       jenen Jahren „Der nasse Fisch“ und auch noch die nächsten Bände las, der
       konnte sich noch gruseln, ohne an die eigene Gegenwart denken zu müssen:
       zum Beispiel wenn die Krimihauptfiguren, im Café sitzend, die Köpfe über
       „die Völkischen“ schütteln, die draußen lärmend vorbeiziehen, und vom
       „braunen Mob“ die Rede ist. Die Nazis, sie wirken aus der 1929er-Sicht wie
       eine militante Trachtengruppe. Es ist ein Zwischenjahr: zwischen den 2,6
       Prozent der NSDAP bei der Reichstagswahl im Mai 1928 und den über 18
       Prozent im September 1930.
       
       Der besondere Reiz der Kutscher-Buchreihe ist, dass der Leser mehr weiß als
       die Krimiakteure und dass man ihnen deshalb immer wieder zurufen will:
       Nehmt die doch ernst!, und: Wenn ihr wüsstet! Da mag Lion Feuchtwanger mit
       seiner „Wartesaal“-Trilogie in den Kanon der deutschen Literatur
       aufgestiegen sein. Aber Kutscher gelingt es noch besser zu beschreiben, wie
       liberale, freigeistige, aber auch politisch uninteressierte Menschen den
       Aufstieg des Nationalsozialismus erlebten – und offenbar für ein
       ärgerliches, aber vorübergehendes Phänomen hielten.
       
       ## Dann wird Hitler Reichskanzler
       
       Bis dann der Tag des „Preußenschlags“ kommt, als die Berliner
       Polizeiführung entmachtet wurde inklusive des jüdischen Vizepräsidenten
       Bernhard Weiß. Von da an dauert es nur noch sieben Monate, bis Hitler
       Reichskanzler wird.
       
       Das alles ließ sich in den ersten Jahren der Buchreihe mit Kopfschütteln
       abtun: Kopfschütteln über die Ereignisse von damals mit der Sicherheit,
       dass so etwas bei uns, hier und heute nicht mehr passieren kann. Könne.
       Könnte. Denn anders als Kutschers Hauptfigur, der Kommissar Gereon Rath,
       und sein Umfeld wissen wir doch …
       
       Aber so ist es eben seit dem Aufstieg der Rechtspopulisten nicht mehr. Das
       Wort „völkisch“, es ist wieder da. Die Umzüge mit den antisemitische
       Parolen auf der Straße, sie sind wieder da. Die SA-gleiche Jagd auf
       Andersdenkende und Andersfarbige, ob nun als Hetz- oder sonstige Jagd, in
       neuerer Zeit nur vereinzelt wie in Guben 1999 breiter bekannt geworden, sie
       ist wieder da.
       
       Und auch Politiker sind längst über den Punkt hinweg, bis zu dem sie
       manches noch schönzureden versuchten und darauf hofften, dass sich die AfD
       selbst zerlegen würden. Die aktuellen Ereignisse und Angriffe auf die
       Demokratie würden ihm mehr zu schaffen machen als zwei oder drei
       Prozentpunkte weniger für die SPD, war jüngst von Berlins Regierungschef
       Michael Müller zu hören. Eine Aussage, die angesichts der Talfahrt seiner
       Partei auf nur noch 16 Prozent in der jüngsten bundesweiten Umfrage umso
       bemerkenswerter ist.
       
       ## Abbild der Polarisierung
       
       Die felsenfest erscheinende Annahme: „Unsere Demokratie ist stark genug,
       das auszuhalten“, weicht inzwischen schon mal einem: „Unsere Demokratie
       muss jetzt zeigen, wie stabil sie wirklich ist.“
       
       Und so ist „Babylon Berlin“ eben nicht bloß ein Krimi mit ausladender
       Milieustudie der „Goldenen 20er“, sondern auch ein Abbild politischer
       Polarisierung und Radikalisierung. Die Dreharbeiten für die nächsten
       Staffeln der Serie sollen noch 2018 beginnen. Was dabei herauskommt, wird
       auch wieder zuerst im Bezahlsender Sky zu sehen sein.
       
       Drei Jahre vergingen bei den ersten beiden Staffeln zwischen Dreharbeiten
       und ARD-Ausstrahlung – drei Jahre, in denen die AfD von um die 7 Prozent
       auf aktuell 18 Prozent bei den WählerInnen kommt, wie der jüngste
       Bundestrend eines Meinungsforschungsinstituts besagt. Die künftigen Folgen
       könnten also wiederum in drei Jahren, im Herbst 2021, zu sehen sein –
       passend zur dann ebenfalls anstehenden Bundestagswahl.
       
       30 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Alberti
       
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