# taz.de -- Krise in Großbritanniens Arbeiterpartei: Gegen Tories und Antisemitismus
       
       > Labour hat ein Problem: Jeremy Corbyn und der Antisemitismus. Fünf
       > Parteimitglieder erklären, wie sie zu den Vorwürfen stehen.
       
 (IMG) Bild: Grund zur Sorge? Oder ist da noch Hoffnung für Jeremy Corbyn und seine Labour-Partei?
       
       London taz | Labour unter Jeremy Corbyn sollte und soll noch immer, hoffen
       viele, das Land vor den Tories retten. Der im September 2015 gewählte
       Parteichef von Labour [1][symbolisierte einen Neuanfang für die
       Arbeiterpartei, der sozialistischer und ehrlicher sein würde] als die Jahre
       unter Blair. Doch [2][Corbyns uneindeutige Haltung zum Brexit] und
       [3][immer wiederkehrende Antisemitismus-Vorwürfe spalten die Partei]. Vor
       allem [4][Corbyns eigene Lobbyaktivität für palästinensische Hardliner] und
       die ihm von Anfang an wenig freundlich gesinnte britische Medienlandschaft
       haben ihre Spuren hinterlassen.
       
       Die taz befragte fünf Londoner Labourmitglieder, wie sie gerade über die
       Partei, Corbyn und die Antisemitismus-Diskussion denken. Es waren die
       Tapferen unter vielen, denn auf der Suche nach Meinungen zu Labour wollten
       sich die meisten Mitglieder nicht äußern.
       
       Die Studentin: Lily Madigan, 20 
       
       Als trans Frau wurde Lily Madigan in der Schule diskriminiert, klagte und
       gewann. „Wer weiß, was ich ohne das Gleichberechtigungsgesetz, das Labour
       2010 einführte, gemacht hätte?“, fragt sie. Für sie war dies ein Grund, vor
       zwei Jahren der Partei beizutreten. Jetzt will sie es genau wissen und
       beginnt im Herbst ein Politikstudium. Sie sieht ihre Generation als Opfer
       der Tories, die „unsere Chancen auf Entfaltungsmöglichkeiten und Erfolg
       zerstören“. Labour bedeute gute Wohnungen, öffentliche Verkehrsmittel,
       adäquate Gesundheitsversorgung und ein ausreichendes Sozialnetz.
       
       Seitdem sie der Partei beitrat, machte Madigan sogar bereits Schlagzeilen
       als erste Frauensprecherin in einem Labour-Ortsverein, die trans ist. Die
       Sache mit dem Antisemitismus sieht sie als gesellschaftliches Problem, sagt
       sie, und Labour stehe dem vollkommen entgegen. Laut Umfragen sei es unter
       Konservativen noch schlimmer. „Aber ich konnte Antisemitismus in den
       sozialen Medien selber bereits beobachten und fechte es immer an, wenn ich
       es sehe“, sagt sie.
       
       Die Anschuldigungen, Corbyn habe sich mit antisemitischen Extremisten
       verabredet, bezeichnet Madigan als „Verdrehungen und Manipulationen aus den
       rechten Medien“. Sie ist aber klar dafür, den Antisemitismus in der Partei
       aufzuarbeiten und mit verschieden Maßnahmen zu zeigen, dass er nicht
       akzeptiert werde.
       
       Der Gewerkschafter: Bob Barron, 52 
       
       Bob Barron, Leiter der Gewerkschaft für den öffentlichen und kommerziellen
       Dienstleistungssektor (PCS) in Westminster, ist bereits seit 1993 in der
       Partei. PCS könnte sich künftig an Labour binden. Barron sagt: „Tony Blair
       versuchte die Bindungen zu den Gewerkschaften zu kappen, Corbyn und John
       McDonnell wollen diese wiederherstellen.“ Das sei mehr als notwendig,
       schließlich seien es einst die Gewerkschaften gewesen, die Labour als
       politisches Instrument gegen das konservative Establishment schufen.
       
       Barron hält Corbyn für einen aufrichtigen Mann. Aber hinsichtlich der
       letzten Angriffe, glaubt er, dass der Labour-Chef schärfer auftreten und
       sich besser artikulieren müsse, denn „heutzutage ist nicht mehr nur das
       Wahlprogramm selber relevant, sondern auch die Person dahinter“. Als Corbyn
       beschuldigt wurde, an der Kranzniederlegung für Mitglieder des Schwarzen
       Septembers in Tunesien teilgenommen zu haben, hätte er Stellung beziehen
       müssen.
       
       Antisemitische Linke gebe es natürlich. Barron spricht von einer kleinen
       Gruppe und nennt auch einen Namen: „Ich habe beispielsweise Londons
       Ex-Bürgermeister Ken Livingstone mehrmals persönlich dabei zugehört, wie er
       trotz Kritiken von Gewerkschaftern auf seinen Ansichten beharrte. Aber ist
       deshalb das durchschnittliche Labour-Mitglied rassistisch oder
       antisemitisch? Nein!“, insistiert er und fügt an, „genauso wenig wie
       Jeremy!“
       
       Die Mutter: Rebecca Vincent, 34 
       
       Die Londoner Tattookünstlerin Rebecca Vincent wuchs im Norden Englands in
       Yorkshire auf, wo ihr Vater Anfang der 90er Jahre seinen Job verloren
       hatte. „Ich war damals 13 Jahre alt. „Erst durch Tony Blairs Programme für
       Arbeitslose bekam er wieder einen Job“, erzählt sie. Das war der Grund,
       weshalb sie mit 18 Jahren der Partei beitrat. Doch erst unter Ed Miliband
       und insbesondere als 2010 Cameron an die Macht kam und sie selber Mutter
       war, wurde sie richtig aktiv. Ausreichende Kinder- und Jugendversorgung,
       gute Schulen, also Labour-Inhalte, rückten nun in den Vordergrund.
       
       „Als Corbyn erschien, bewunderte ich seinen Aktivismus. So kam er bei
       vielen jungen Leuten an“, sagt sie. Sie habe lange nicht verstanden,
       weswegen er in der Presse so nachteilig behandelt wurde. Die Sache mit dem
       Antisemitismus habe sie selber bisher nicht erlebt, aber von anderen
       durchaus über Vorfälle gehört. „Ich glaube, dass es wahr ist, und finde es
       total widerlich“, sagt sie. „Ich glaube auch, dass sich manche, die gegen
       Netanjahu protestieren, sich in einer Art ausdrückten, die antisemitisch
       verstanden werden kann“, erklärt sie. Corbyn sei auf alle Fälle keine
       Gottesfigur, sondern sollte hinterfragt werden können, glaubt sie. „Doch
       ich sitze irgendwie zwischen zwei Stühlen. Ich will das Beste für Labour,
       sehe, wie die Medien die Situation ausbeuten. Andererseits finde ich, dass
       alle Minderheiten zusammenarbeiten müssen, und dass der Parteiführer
       niemanden diskriminieren sollte.“
       
       Richtig enttäuscht hat Corbyn sie eher mit seiner schwammigen Haltung zu
       Brexit. Jenseits der nationalen Politik gibt es Lichtblicke in ihrem
       eigenen Stadtbezirk. „Labour leitet vor Ort viel gemeinschaftsnahe Arbeit
       und Hilfe, beispielsweise für Flüchtlinge. „Wenigstens das Leben unserer
       Nachbarn können wir verbessern“, findet sie.
       
       Der Stadtrat: Leo Gibbons, 26 
       
       „Ich war immer schon Labour-Unterstützer, auch meine Eltern. Wir waren
       wohlhabender als viele der Leute, die mit mir in die Schule gingen“,
       erzählt Leo Gibbons. 2014 trat der damalige Journalismusstudent in die
       Partei ein und wurde bald Assistent für einen Labour-Politiker.
       
       Dieses Jahr wurde er zum Stadtrat in Lewisham, Südlondon, gewählt. Das
       bedeute jedoch keineswegs, dass er ein Anhänger Corbyns sei, denn ein Mann
       der linken Mitte hätte ihm besser gefallen und hätte bei Wahlen mehr Erfolg
       gehabt, glaubt Gibbons. Dennoch habe Corbyn die richtigen Lösungen für
       vieles, wie die Wohnungsnot, die auch in seinem Stadtteil arg sei. Doch ein
       Parteiführer müsste flexibler agieren können, als nur hinter den eigenen
       Prinzipien zu stehen, glaubt er.
       
       Corbyns Einsatz für Hamas und Hisbollah habe Gibbons nie verstanden und
       verweist auf die Haltung dieser Organisationen beispielsweise gegenüber
       LGBTQ* Personen. Gibbons kennt den Antisemitismus innerhalb seiner Partei.
       „Eine jüdische Bekannte von mir wurde in den sozialen Medien plötzlich als
       ‚Repräsentantin Israels‘ angegriffen“, erzählt er.
       
       Gibbons glaubt, dass in der Partei eine Art Verdrängung des Themas
       vonstatten gehe und sich viele hinter der Behauptung versteckten, dass nur
       0,1 Prozent der Mitglieder antisemitisch seien. Einmal habe er sogar von
       einer Genossin den Satz gehört, dass „Juden Kinder morden“. „Ich war außer
       Rand und Band. Nicht lange danach stand ich vor jüdischen Leuten aus meiner
       Wahlgemeinde, die mir in Tränen erklärten, dass sie ihr Leben lang Labour
       wählten und dies nicht mehr könnten. Es war einer der schwierigsten
       Momente, die ich miterleben musste.“
       
       Gibbons ist sich sicher, dass man Israel kritisieren kann, ohne
       antisemitische Rhetorik zu bedienen. „Doch wenn ich ehrlich sein darf,
       glaube ich, dass die Meinung der jüdischen Gemeinde den meisten egal ist.
       Ich wollte wegen all dem bereits das Handtuch werfen, aber ein paar
       jüdische Freunde, baten mich, durchzuhalten, um aktiv zu bleiben.“
       
       Die Kämpferin: Radhika Bynon, 55 
       
       Es waren die 1980er Jahre, die sie mit Protesten gegen Diskriminierung und
       die Apartheid in Südafrika politisierten, erzählt Radhika Bynon,
       Programmleiterin einer Organisation gegen soziale Ungleichheit. Doch erst
       als Major auf Thatcher folgte, wurde sie Labour-Mitglied, um für das Ende
       der Tory-Vormacht zu sorgen.
       
       Als Labour 1997 an die Macht kam, trat Bynon wegen Asylrechtsverschärfungen
       wieder aus, trotz guter Programme zur Kinderunterstützung, der Leistungen
       im Friedensprozess in Nordirland und des britischen Beitritts zum
       Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, erzählt sie. Ihr Verhalten
       wiederholte sich mit Cameron, dessen Wahl zum Premierminister die
       13-jährige Labour-Ära beendete. Bynon ist nun wieder Genossin und hat
       zweimal Corbyn gewählt.
       
       „Meine inzwischen erwachsenen Kinder waren voller Hoffnung in Bezug auf
       Corbyn, gerade nach dem Brexit-Referendum“, erzählt sie. Dennoch habe sie
       Bedenken zu seiner Person. Gegendenker und Führungsperson einer Partei zu
       sein, seien verschiedene Dinge. „Bei der Parteiführung geht es nicht darum,
       sich selbst treu zu bleiben, sondern um die Schaffung von Kompromissen und
       die Akzeptanz des Pluralismus“, glaubt sie.
       
       Die Verärgerung jüdischer Menschen über den Labour-Chef mache sie
       unglücklich, „vielleicht weil ich selber einer Minderheit angehöre“, sagt
       sie. Einige hätten sich beim Einsatz für die palästinensische Sache eines
       „faulen Intellektualismus“ bedient, bei dem Beschwerden gegen die
       israelische Regierung einfach gegen alle jüdischen Menschen gerichtet
       wurden. „Nach all dem, was jüdischen Menschen widerfahren ist, muss man auf
       sie mit mehr Verständnis zugehen und ihre Meinungen ernst nehmen“, fordert
       sie.
       
       Was sie am meisten ärgere sei, dass viele vergessen zu haben scheinen, dass
       es „jüdische Rechtsanwälte waren, die in Großbritannien für
       Gleichberechtigung von Minderheiten sorgten, jüdische Organisationen,
       welche die ersten schwarzen Parlamentarier unterstützten“. Diese Ignoranz
       schade der Partei. „Ich will das Ende der Tories sehen und erkenne
       stattdessen einen gefährliche Entwicklung bei Labour.“
       
       4 Sep 2018
       
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 (DIR) Demo gegen Labour-Antisemitismus: Englische Ironie
       
       In der Labour-Partei gibt es einen Antisemitismus-Skandal nach dem anderen.
       Nun protestierten hunderte Juden und Unterstützer dagegen.
       
 (DIR) Kommentar Labour und Antisemitismus: Auf Bewährung
       
       Labour hat die allgemein anerkannte Antisemitismus-Definition übernommen.
       Wie viel das bringt, kann nur die Zukunft zeigen.
       
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       Kritik.
       
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       Jüdische Wochenzeitungen in Großbritannien erscheinen mit der gleichen
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