# taz.de -- Aktion gegen die US-Abschiebepolitik: Sie holen ihre Eltern zurück
       
       > Die Eltern von hunderttausenden Kindern wurden vor Jahren abgeschoben.
       > Mit einer Aktion an der Grenze sollen sie wieder in die USA geholt
       > werden.
       
 (IMG) Bild: Marcos Mutter wurde vor acht Jahren abgeschoben – am Mittwoch will er sie mit in die USA nehmen
       
       New York taz | Lupita war neun, als sie ihre Mutter verlor. Ihre Familie
       war in aller Eile zu dem schwerkranken Großvater nach Puebla in Mexiko
       gereist, um den alten Mann ein letztes Mal zu sehen. Als er beerdigt war,
       kamen die Kinder mit dem Flugzeug zurück nach New York, wo sie geboren sind
       und als Staatsangehörige leben. Die Eltern mussten zu Fuß durch die Wüste
       gehen, weil sie keine Papiere haben. Der Vater entkam den US-Grenzern, die
       Mutter nicht. Sie verbrachte einen Monat hinter Gittern. Dann wurde sie
       abgeschoben und erhielt ein Einreiseverbot.
       
       Seither sind neun lange Jahre vergangen, in denen Lupita González in einer
       zerrissenen Familie aufgewachsen ist. Mit einem Vater, der ununterbrochen
       arbeitet, um die Kinder allein zu ernähren und zugleich selbst unter dem
       Damoklesschwert einer Abschiebung lebt. Und einer Mutter, die sich 4.200
       Kilometer weiter südlich vor Sehnsucht verzehrt. Lupita hat ihre Mutter
       jeden Tag vermisst. Das Mädchen weigerte sich ein Jahr lang zu akzeptieren,
       dass ihre Mutter nicht nach Hause kommen würde. Dann wurde es zum
       Psychologen geschickt. Zugleich war Lupita für ihren kleinen Bruder
       verantwortlich. Seit sie vor sechs Wochen selbst ein Baby bekam, fehlt ihr
       der mütterliche Rat und Beistand noch mehr. „Ich brauche sie“, sagt sie.
       
       Bislang hat Lupita González allein gelitten. Aber in dieser Woche fährt die
       18-Jährige zusammen mit einer Gruppe von anderen getrennten Kindern und
       jungen Erwachsenen aus New York, Chicago und Texas an die Grenze. Am
       Mittwoch wollen sie in Ciudad Juárez, auf der mexikanischen Seite, ihre
       Mütter und Väter treffen, die aus dem Süden in die Grenzstadt anreisen. Von
       dort aus werden Kinder und Eltern gemeinsam – begleitet von Geistlichen und
       EinwanderungsexpertInnen – auf die Brücke gehen, die Ciudad Juárez von El
       Paso, USA, trennt, um Asylanträge zu stellen. „Die Kinder leiden“,
       begründet Myrna Lazcano von der Gruppe Movimiento de Mujeres Migrantes
       (MOMUMI), eine der InitiatorInnen dieser Aktion: „Die Eltern brauchen Asyl
       aus humanitären Gründen.“
       
       Mehrere hunderttausend Kinder in den USA sind Opfer der Familientrennung,
       die aus Massenabschiebungen resultiert. Allein zwischen 2011 und 2014 hat
       die Abschiebebehörde Immigration and Customs Enforcement (ICE) nach eigenen
       Angaben mindestens ein Elternteil von einer halben Million
       US-amerikanischer Kinder abgeschoben.
       
       Seit Donald Trumps Einzug in das Weiße Haus haben sich die Abschiebungen
       noch weiter ausgebreitet. Mehr als vier Millionen Minderjährige leben
       gegenwärtig mit mindestens einem papierlosen Elternteil in den USA. Ihnen
       allen droht ebenfalls das Schicksal, zu „ICE-Waisen“ wie Lupita zu werden.
       
       ## „Es ist ein trauriges, schwieriges Leben“
       
       Wie die „ICE-Waisen“ leiden, hat Gretchen Buchenholz, Vorstandsmitglied der
       Association to benefit Children, die sich in New York um die Betreuung von
       Kindern kümmert, in ihrem Berufsalltag erlebt. Bei einer Versammlung in
       Harlem beschreibt sie die „traurigen Augen“ von Kindern und die „Schnitte
       in die eigene Haut“ eines kleinen Mädchens, das sie betreut hat. In den
       betroffenen Familien erleben SozialarbeiterInnen auch die Häufung von
       Schulversagen, Depressionen, Drogenabhängigkeit sowie von Verelendungen,
       die zu Hausräumungen führen, weil plötzlich nur noch die Hälfte des
       Einkommens in die Familienkasse kommt und das Geld nicht mehr reicht. Für
       Buchenholz sind die Familientrennungen aus all diesen Gründen: „Verbrechen
       gegen die Menschlichkeit.“
       
       Der heute 16-jährige Marco ist wie Lupita González ein
       US-Staatsangehöriger. Daher kann er, im Gegensatz zu seinem papierlosen
       Vater, legal über die Grenze reisen. In den acht Jahren seit der
       Abschiebung seiner Mutter hat er mehrfach längere Perioden bei ihr und
       andere bei seinem Vater in New York verbracht. „Es ist ein trauriges,
       schwieriges Leben“, sagt der 16-Jährige mit Zahnklammer, „ich möchte meinen
       Vater und meinen Mutter an meiner Seite haben.“ Marco nimmt in dieser Woche
       an der Karawane teil, um die Mutter zu holen. Der Vater kommt nicht mit,
       weil jede Polizeikontrolle für ihn ebenfalls mit Abschiebung enden könnte.
       
       Während die OrganisatorInnen die Karawane vorbereiten, geht Trumps rabiate
       Einwanderungspolitik weiter. Von den mehr als 2.500 Kindern, die im
       Frühsommer an der Grenze von ihren Eltern getrennt wurden, sind 497 immer
       noch in der Hand der US-Behörden. Der Aufenthaltsort von zwei Dritteln
       ihrer Eltern ist unbekannt, seit die US-Behörden sie in aller Hast in ihre
       gefährlichen Herkunftsländer in Mittelamerika abgeschoben haben.
       
       MOMUMI-Organisatorin Myrna Lazcano weiß, wie rau die politischen Umstände
       in den USA sind. Sie weiß, dass es trotz der moralischen Verpflichtung und
       trotz internationaler Abkommen über die Zusammengehörigkeit von Familien
       keine Erfolgsgarantie für die Asylanträge auf der Brücke gibt. Aber sie
       will trotzdem das Zeichen setzen. Sie zitiert einen Satz des mexikanischen
       Revolutionärs Emiliano Zapata: „Willst du Adler sein, flieg! Willst du Wurm
       sein, kriech! – aber beklag dich hinterher nicht, dass du getreten wirst.“
       
       4 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dorothea Hahn
       
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