# taz.de -- Vorschau auf Festival Pop-Kultur Berlin: Schützt Theatersäle und Popkultur!
       
       > Gut in Form und endlich angenommen von der Hauptstadt: Am Mitttwoch
       > startet das Pop-Kultur-Festival in der Berliner Kulturbrauerei.
       
 (IMG) Bild: Macht eine Hommage auf David Lynch: Sophia Kennedy
       
       Jetzt haben wir gar nicht über BDS geredet, merkt Kuratorin Katja Lucker am
       Ende des Gesprächs an. Gut so – die Lobby, die nicht zwischen Juden und
       Israelis unterscheiden kann, erhält ohnehin zu viel mediale Aufmerksamkeit.
       Ganz besonders im Rahmen des Berliner Pop-Kultur-Festivals.
       
       Wie im letzten Jahr sagte auch diesmal wieder einer der prominentesten Acts
       auf Betreiben von BDS sein Konzert ab, begründet mit der Reiseförderung,
       die die israelische Botschaft, genau wie andere logistische Partner, dem
       Festival zukommen lässt. Muss man darum also wieder davon sprechen, dass
       ein ebenfalls zunehmend notorisch rechtsoffener
       Experimental-Synthiepop-Künstler John Maus nicht spielen wird? Man sollte
       besser davon erzählen, wie ein Festival, dass sich zu Beginn, geschaffen
       als Ersatz für die irrelevant gewordene Berlin Music Week, noch wie eine
       Leistungsschau der mittelständischen Musikindustrie anfühlte, innerhalb
       weniger Jahre zur Institution wurde, die Diversität und Integration
       augenscheinlich ernster nimmt als die Festival-Konkurrenz?
       
       Zynisch könnte man sagen: Es waren gerade die Attacken seitens des
       Bündnisses für den Boykott Israels und die breite Solidaritätswelle, die
       das Festival in der Berliner Stadtkultur und darüber hinaus verankerte.
       2016, bei der zweiten Ausgabe in Neukölln, gab es noch ein lokales
       Gegenfestival und Gentrifizierungskritik – nun lädt „Pop-Kultur“ eher
       umgekehrt die Szene in den Prenzlauer Berg, wie im letzten Jahr in die
       subkulturell abgefrühstückte Kulturbrauerei, die hier aber mit ihren
       unterschiedlichen Locations von Halle zu Kinosaal zu Innenhof genau der
       richtige Ort ist, ein Festival mit einer solchen Vielschichtigkeit zu
       beherbergen.
       
       ## Verzicht auf allzu offensichtliche Headliner
       
       Es scheint: Das Pop-Kultur-Festival findet seine Form. Dies bezieht sich
       nicht nur auf Inhalte – die Künstler*innen – , sondern auch aufs
       Gesamtpaket: „Wie können sich Menschen, die eine Beeinträchtigung haben,
       bei uns wohlfühlen? Wie bindet man sie ein? Da schauen wir noch genauer
       hin“, erklärt Katja Lucker.
       
       Sie berichtet von Neuerungen wie einer in die Planung fest eingebundenen
       Diversity-Managerin, der weitgehenden Barrierefreiheit des Geländes und
       Gebärdendolmetischer*innen, die nicht nur Panels und Lesungen, sondern auch
       manche Konzerte simultan übersetzen. Und davon, dass Themen, die vor allem
       Außenseiter der Szene betreffen, Kollektive wie Jonny Knüppel etwa, die
       unter der zunehmenden Raumnot der Off-Kultur leiden, im für
       Popkulturverhältnisse üppig geförderten Programm Platz finden.
       
       Für die Bühne hat das zwei Folgen: Klotzte das Festival in seinen Anfängen
       noch mit internationalen Stars, die kaum Bezug zu Berlin hatten und dem
       Festival zwar Glanz, aber auch ein Flair von Beliebigkeit verliehen,
       verzichtet es 2018 auf allzu offensichtliche Headliner – zugunsten von
       lokalen Acts, Newcomern, Übersehenen und vor allem solchen Akteur*innen,
       die an gläserne Decken stoßen: „Ich finde es spannend, wenn ältere Menschen
       erzählen, was das Pop-Geschäft bedeutet und was es bedeutet, ein
       81-jähriger Künstler zu sein, darin, wie Irmin Schmidt von Can.“ Oder Lydia
       Lunch.
       
       ## Keine Feigenblatt-Themen
       
       Oder der Schwerpunkt „Pop-Hayat“, kuratiert von Yeşim Duman, der sich im
       Spannungsfeld von Feminismus, Queerness und Postmigration bewegt. Lucker:
       „Wir machen keine Feigenblatt-Geschichten. Wir denken nicht: Wir müssen
       noch was zur Inklusion machen, sondern denken uns neue Wege aus, das
       einzubringen. Ich bin Feministin, ich will, dass diese Sachen da
       stattfinden.“ Angst, dass ein Festival, das so offenkundig Konzept ist, zu
       sehr als Kuratoren-Event wahrgenommen wird, hat das verantwortliche Team,
       zu dem neben Katja Lucker auch Christian Morin und Martin Hossbach gehören,
       trotzdem nicht: „Wir sind natürlich nicht Rock am Ring, aber das ist auch
       nicht unser Anspruch.“
       
       Entsprechend im Mittelpunkt stehen diesmal zum zweiten Mal
       Auftragsarbeiten, bei denen die Künstler*innen in Zusammenarbeit mit dem
       Festival Themen und Konzepte umsetzen, exklusiv und solide budgetiert. Das
       macht das Festival nicht nur zum Vorreiter auf diesem Gebiet, sondern
       verfolgt auch ein politisches Programm: „Wir wollen popkulturelle Themen
       auf die Ebene hieven, wo die Hochkultur steht. Niemand würde auf die Idee
       kommen, ein Opernhaus wegzugentrifizieren. Aber Clubkultur wird ohne Not
       bedroht. Den Schutz, den ein Theater hat, aus Tradition und weil es
       Gesellschaft verhandelt, den wollen wir einfordern, indem wir unser
       Festival mit inhaltlicher Arbeit und intellektueller Auseinandersetzung
       füllen.“
       
       Andreas Spechtl von Ja, Panik wird, gemeinsam mit anderen Musiker*innen aus
       der Berliner Szene, ein Stück mit dem inklusiven Theater RambaZamba
       entwickeln. Die allerorten gefeierte Hamburger Künstlerin Sophia Kennedy
       bringt die Performance „Sky Blue Cowgirl“ als Hommage an David Lynch zur
       Aufführung. US-Techno-Produzentin Karen Gwyer wird den Keller der
       Kulturbrauerei jeweils um Mitternacht neu performativ beleben. Und der
       Houseproduzent Henrik Schwarz spielt gemeinsam mit einem Streicherquartett
       einen Rip-off-Reigen von bedeutenden Streichquartetten der Musikgeschichte:
       „Plunderphonia“.
       
       ## Gothic-Pop und Proto-HipHop
       
       Jenseits der Auftragsarbeiten darf man sich auf Highlights freuen wie die
       jungen Bands Die Nerven und International Music, auf den Goth von Anna von
       Hauswolff und Myrkur. Auf den ersten Deutschland-Auftritt der Spokenword-
       und Proto-HipHop-Gruppe The Last Poets, die sich 1968 in Harlem im Umfeld
       der Bürgerrechtsbewegung gründeten. Natürlich auf die britische
       Dub-Punk-Legende Vivien Goldman und auf die nicht weniger legendäre
       Jazz-HipHop-Sängerin Neneh Cherry.
       
       Und: Natürlich wurde dann doch noch über den BDS geredet. Und darüber, in
       welchem gesellschaftlichen Klima das Festival in diesem Jahr stattfindet.
       „In Zeiten von globalem Isolationismus, von erstarkenden autoritären
       Bewegungen, Fake News & Co setzen wir auf das genaue Gegenteil: Kollektive,
       Narrative, Partizipation!“, schrieben die Kuratoren im Grußwort zum letzten
       Festival. Besser geworden ist seitdem nichts. „Ich sprach neulich mit
       Menschen, die ich aus dem Nachtleben kenne, die mich dafür beschimpften,
       dass ich auf einer Demo für Seerettung war. Früher konnten wir uns auf
       alles einigen. Heute gibt es diese Klarheiten nicht mehr.“
       
       Es sind merkwürdige Zeiten, wenn die veranstaltende Popbehörde, das
       Musicboard Berlin, noch einer der stabilsten Anker einer linken Subkultur
       ist, die sich zunehmend ihrer selbst unsicher wird. Vielleicht macht das
       Festival in diesem Jahr aus dieser Zeit noch das Beste.
       
       14 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Steffen Greiner
       
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