# taz.de -- Bedrohung durch Rechtsextreme: Als ich auf einer Liste stand
       
       > Die Behörden haben bei Ermittlungen Listen mit rund 35.000 Namen
       > gefunden. Eine Nachricht, die unsere Autorin an eigene Erfahrungen
       > erinnert.
       
 (IMG) Bild: Die Flurwände des Hauses, aus dem die Autorin kurz zuvor ausgezogen war, beschmierten im November 2001 Unbekannte mit „SA voran“, Hakenkreuzen und SS-Runen
       
       Der Anruf kam mitten in der Nacht. „Wir kommen dich jetzt holen“, sagte ein
       Unbekannter. Aggressive Stimme, knappe, klare Worte. Ich zitterte vor Angst
       und dachte: Jetzt machen sie Ernst. Bereits am Morgen hatte ein Anrufer
       gedroht, „wir wissen, wo du wohnst. Wir kriegen dich, du linke Ratte.“
       
       Das ist Jahre her, damals stand ich auf einer Liste von Neonazis, die
       Namen, Adressen und Telefonnummern von Linken sammelten und diese
       bedrohten. Eine davon war ich.
       
       Jetzt gibt es wieder solche Listen. 35.000 Namen sollen auf Listen rechter
       und gewaltbereiter Gruppen verzeichnet worden sein, die von den Behörden
       beschlagnahmt wurden. [1][Die aktuellen Daten stammen aus Ermittlungen
       gegen die rechte Terrorzelle NSU], einen terrorverdächtigen Soldaten und
       [2][rechte Prepper], die sich auf vermeintliche Katastrophen und einen
       neuen Weltkrieg mit dem Horten von Lebensmitteln, Schutzkleidung und
       Funkgeräten vorbereiten.
       
       35.000 Personen auf Nazi-Listen. Ich erschrak, als ich die Nachricht hörte,
       hatte ein Déjà-vu und viele Fragen: Feindeslisten, schon wieder. Wer wohl
       jetzt da darauf steht? Wissen die Betroffenen davon? Kümmert sich die
       Polizei? Vor allem: Müssen jetzt andere das durchmachen, was ich vor
       einigen Jahren erlebt habe? In Sekundenschnelle spulten sich in meinem Kopf
       die Ereignisse von damals ab.
       
       ## „Terroristisches Potenzial“
       
       1999 stand ich das erste Mal auf einer steckbriefartigen Liste von
       Neonazis, danach immer wieder. Als der erste Drohbrief der
       „Anti-Antifa-Kurpfalz“ und eine Warnung der „Antifa Treptow“ kamen, warf
       ich beides achtlos in den Papierkorb. Auf einer Feindesliste der Rechten?
       Ich? Blödsinn. Als damals freie Journalistin waren Nazis und
       Rechtsterrorismus nie mein Berichtsgebiet, ich schrieb über unverdächtige
       Themen: Familie, Frauen, Gesundheit, Soziales.
       
       [3][Wenige Tage später berichtete die taz über die Nazi-Liste], darauf 40
       Namen, unter ihnen Berliner PDS-Bezirksbürgermeister*innen,
       Leserbriefschreiber*innen, ein taz-Autor. Und ich, die ich seinerzeit
       noch nicht für die taz schrieb. Mit wurde mulmig. „Wir nehmen das sehr
       ernst“, sagte Marion Seelig, damals innenpolitische Sprecherin der
       PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, im taz-Text. Die Politikerin
       sprach von „terroristischem Potenzial in der rechtsextremen Szene“.
       
       Später las ich, dass die Anti-Antifa-Kurpfalz für ein Rohrbombenattentat
       auf einen Berliner PDS-Politiker verantwortlich gemacht wurde. Der Mann
       entging dem Angriff nur knapp.
       
       Das sollte ich ernst nehmen, sagte ich mir und erstattete bei der Berliner
       Polizei Anzeige gegen unbekannt. Vom Staat erhoffte ich Schutz und Hilfe.
       Doch der Polizist in der Wache fragte: „Wurden Sie tätlich angegriffen?“
       „Nein.“ „Dann können wir nichts machen. Da müssen Sie schon mit dem Kopf
       unterm Arm wiederkommen.“
       
       ## Nächtliche Klingelattacken
       
       Bis heute habe ich keine Ahnung, wie und warum ich ins Visier der Rechten
       und auf verschiedene Neonazi-Listen geraten bin. Aber den Terror dieser
       Gruppen habe ich immer wieder deutlich zu spüren bekommen. Drohanrufe, mich
       zu holen und dann „so einiges“ mit mir zu machen, obszöne Beschimpfungen,
       nächtliche Klingelattacken an meiner Wohnungstür, meist mitten in der
       Nacht und häufig als Sturmklingeln.
       
       Die Flurwände des Hauses, aus dem ich kurz zuvor ausgezogen war,
       beschmierten im November 2001 Unbekannte mit „SA voran“, Hakenkreuzen und
       SS-Runen. Die Hausverwaltung ließ die Schmierereien übermalen, zwei Wochen
       später waren sie wieder da: neues Hakenkreuz und – meterhoch – „Simone,
       pass auf“. Das Doppel-s in Nazi-Runen. Dazu der Satz: „Wir kriegen dich“.
       
       Jetzt schaltete sich das Landeskriminalamt ein und lud mich zur
       „polizeilichen Vernehmung“ vor. Darüber war ich froh, das LKA wird helfen,
       glaubte ich: Angriffe von rechts werden nicht geduldet, Betroffene
       geschützt. Kleiner Raum, geschlossenes Fenster, vier Beamte mir gegenüber.
       Sie rauchten wie ein Zellulosewerk und stellten mir unzählige Fragen, so
       was wie: „Haben Sie einen Verdacht, wer das gewesen sein könnte?“ „Könnte
       das jemand aus Ihrem Umfeld gewesen sein?“ „Haben Sie mal einen Liebhaber
       abgewiesen?“
       
       Ich antworte brav, wunderte mich aber heftig über die Art zu fragen. „Ich
       bin das Opfer, nicht die Täterin“, sagte ich. Und fragte, was mein
       Liebesleben mit den Nazi-Schmierereien zu tun habe. „Wir müssen allem
       nachgehen“, sagte einer der Beamten: „Es könnte ein Trittbrettfahrer sein.“
       
       ## „Öffentlichkeit ist der beste Schutz“
       
       „Wie helfen Sie mir?“, fragte ich. Ich hatte ein kleines Kind, ich hatte
       Mühe, meine Angst vor meiner Tochter zu verbergen. Wenn es nachts
       klingelte, beruhigte ich sie, dass sie das nur geträumt habe. Und diesmal,
       dachte ich, muss die Polizei etwas tun, diesmal sind die Angriffe so
       bedrohlich, dass sich selbst das LKA damit befasst.
       
       Doch die Beamten gaben mir Tipps wie: Benutzen Sie täglich wechselnde Wege.
       Gehen Sie zu unterschiedlichen Zeiten aus dem Haus. Ändern Sie Ihre
       Telefonnummern. Verwirren Sie die Angreifer. Hatte ich richtig gehört? Ich
       sollte mein Leben ändern, weil mich Rechte bedrohen? Wozu gibt es die
       Polizei? Den Staatsschutz? Kriminalämter?
       
       Irritiert verließ ich das Präsidium und bat einen Kollegen einer Berliner
       Tageszeitung um Rat. Der Journalist schrieb seit Jahren über die rechte
       Szene, er kannte Namen und Abläufe, schon lange hatte er Polizeischutz. Er
       wusste sicher, was ich tun könnte. Er sagte: „Öffentlichkeit ist der beste
       Schutz.“ Und schrieb einen kleinen Text mit großer Wirkung: Fortan hatte
       ich Polizeischutz. Worin der genau bestand, weiß ich allerdings bis heute
       nicht.
       
       Der Kollege sagte: „Wenn es in der Zeitung steht, muss die Polizei
       reagieren.“ [4][In seinem Text stand dann, „der Fall Simone S.“] sei nach
       Einschätzung der Behörden „möglicherweise der erste, in dem sich ein
       Zusammenhang zwischen Anti-Antifa-Listen und handfester Bedrohung
       herstellen lasse“.
       
       Soweit jetzt bekannt ist, hat die Polizei nur wenige der 35.000 Personen
       auf Nazi-Listen darüber informiert, dass ihr Name dort genannt ist.
       
       1 Aug 2018
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schmollack
       
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