# taz.de -- Die Wahrheit: Lob des Mikrotourismus
       
       > Warum in die Ferne schweifen, liegt das Gute doch so nah: Statt Städte-
       > oder Fernreisen werden Zimmerreisen bald der neueste heiße Scheiß sein.
       
 (IMG) Bild: In den Himmel schauen, Wolkentiere lesen, ist das Stichwort für einen Tag Urlaub ohne Wegfahren
       
       Nach meiner Rückkehr aus dem Urlaub denke ich darüber nach, mich in Zukunft
       anderen Formen des Reisens zuzuwenden. Eher immobilen. Also stationären.
       Davon gibt es verschiedene.
       
       So waren Ende des achtzehnten Jahrhunderts die „Zimmerreisen“ sehr en
       vogue. Erfinder dieses mikrotouristischen Phänomens war ein gewisser Xavier
       de Maistre, ein französischer Adliger und Offizier mit konterrevolutionären
       Ansichten. Weil er wegen eines illegalen Duells zu sechswöchigem Hausarrest
       verurteilt wurde, sein Zimmer also nicht verlassen durfte, sich aber nicht
       zu Tode langweilen wollte, begab er sich auf eine „Voyage autour de ma
       Chambre“ – so der Titel seines danach erschienenen Reiseberichts. Zu
       deutsch: „Die Reise um mein Zimmer“.
       
       Das Buch ist sowohl für den handlungs- und spannungsorientierten wie auch
       für den an fassbaren Inhalten interessierten Leser, also eigentlich für
       alle, mehr oder weniger ungenießbar, weil de Maistre als schreibender
       Aristokrat so umständlich und ausschweifend herumschwallert, dass einem
       nacheinander beide Gehirnhälfte einschlafen und schließlich absterben.
       
       Aber die Idee bleibt charmant und fand viele Nachahmer: Einfach mal durchs
       eigene Zimmer, die eigene Wohnung oder auch durch das eigene Viertel, die
       eigene Stadt „reisen“, Details beschreiben, den bekannten Ort als fremd
       wahrnehmen, mit einem ethnologischen Expeditionsblick betrachten und, wie
       man es in der interessanteren Reiseliteratur macht, diese Betrachtungen
       zur Reflexion des eigenen Daseins missbrauchen.
       
       Eine weitere Option: Das Armchair Travelling. Zu Hause im Sessel sitzen und
       mit Reiseberichten auf den Knien und dem Finger im Atlas Routen
       nachverfolgen, Berichte über örtliche Gebräuche lesen und die Alltagssätze
       aus dem Anhang des Reiseführers büffeln. Geht zur Not, auf niedrigerem
       Niveau, auch mit der Fernsehreihe „Terra X“. Auf alle Fälle lernt man so
       mehr über andere Kulturen als durch einen Aufenthalt in einer Clubanlage.
       
       Beide Reiseformen haben enorme Vorteile. Man belastet die Umwelt kaum,
       schwitzt nicht, wird nicht gezwungen, seine Unterhosen mit Rei in der Tube
       zu waschen und man muss sich an Landesgrenzen nicht demütigen lassen. Durch
       die Verschärfung der Grenzkontrollen kommt man sich ja inzwischen vor wie
       1982 am Grenzübergang Helmstedt/Marienborn.
       
       Auch kann man beim nicht bewegten Reisen auf Impfungen verzichten. Zwar
       habe ich im Alter zwischen zwanzig und dreißig viele WG-Wohnungen von innen
       gesehen, bei denen eine kombinierte Gelbfieber/Cholera-Impfung durchaus
       sinnvoll gewesen wäre, aber in der Regel unternimmt man eine Zimmerreise ja
       im eigenen Biotop, und dort tritt bekanntlich nach einer gewissen Zeit eine
       Immunisierung gegen die anwesenden Mikroorganismen ein.
       
       Und man kann sogar unbegrenzt Gepäck mitnehmen, solange das Gedächtnis
       mitspielt: Ich packe meinen Koffer und nehme mit – eine Zahnbürste, einen
       ESG-Zauberstab, einen Vox AC-30, eine Geschirrspülmaschine …
       
       25 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hartmut El Kurdi
       
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