# taz.de -- Syrische Kriegsopfer in Israel: Jeder Mensch zählt
       
       > Israelische Ärzte behandeln seit Jahren Kriegsverletzte aus Syrien –
       > obwohl die beiden Staaten keinen Friedensvertrag haben.
       
 (IMG) Bild: 60 Kilometer bis Damaskus: ein israelischer Soldat auf dem Berg Bental auf dem annektierten Golan
       
       NAHARIJA/SAFED/MEROM GOLAN taz | Mager und erschöpft sitzt der junge Mann
       in seinem Rollstuhl. Vor gut einem Monat erreichte D. das Medizinische
       Zentrum in Galiläa, ein modernes Krankenhaus mit über 700 Betten in
       Naharija. Seinen vollen Namen will der Syrer nicht nennen, so wie die
       anderen Patienten in diesem Text – sie fürchten Repressalien, wenn sie in
       ihre Heimat zurückkehren.
       
       D. trägt den hellblauen Krankenhauspyjama mit dem hebräischen Emblem und
       einen Vollbart. Ein paar Monate wird seine Behandlung noch dauern. D. hat
       schwere Verletzungen am Ellenbogen, an beiden Beinen, seine rechte
       Gesichtshälfte ist von zahlreichen frischen Narben gezeichnet. „Wir waren
       gerade in unserem Laden, als wir in der Ferne Explosionen hörten“,
       berichtet er mit leiser Stimme. Die Familie des 24-Jährigen betreibt ein
       kleines Lebensmittelgeschäft in der Nähe von Daraa. D. schickte einen
       seiner Helfer auf die Straße, um nachzusehen, was los ist. „Ich ging ihm
       nach und sah, wie ein Hubschrauber unser Dorf bombardierte. Mein
       Mitarbeiter war sofort tot.“ Er selbst zog sich durch umherfliegende
       Splitter schwere Verletzungen zu. Er und andere Verletzte wurden zunächst
       in einem Feldlazarett behandelt und anschließend in privaten Fahrzeugen in
       Richtung Jordanien gebracht. „Wir warteten einige Stunden, aber die Grenze
       blieb zu. Dann brachten sie uns nach Israel.“
       
       43 syrische Kriegsopfer werden momentan im Krankenhaus von Naharija
       behandelt, knapp die Hälfte davon sind Frauen und Kinder. Die Verletzten
       sind nach Geschlechtern getrennt im Keller eines Neubaus untergebracht und
       werden seit einem Überfall im Juni 2015 rund um die Uhr bewacht.
       
       Bei dem Überfall hatte damals ein Mob von hundert jungen Männern aus dem
       drusischen Grenzort Madschdal Schams einen Krankenwagen mit zwei verletzten
       Syrern angegriffen. Die Männer hatten die Verletzten aus dem Wagen gezogen
       und so schwer misshandelt, dass einer der beiden kurze Zeit später starb.
       Die Drusen auf dem annektierten Golan verstehen sich als Syrer und sind
       mehrheitlich offene Anhänger des Regimes von Baschar al-Assad. Vermutlich
       handelte es sich bei den Verletzten, die die Armee ins Krankenhaus
       transportieren wollte, um Rebellen. Die israelische Regierung und die Armee
       äußern sich jedoch nicht zur Identität der syrischen Kriegsopfer.
       
       Außer dem Krankenhausgelände bekommen die Syrer nicht viel zu sehen von dem
       Badeort Naharija, der an der nördlichen Mittelmeerküste Israels liegt. Sie
       haben auch keinen Kontakt zu israelischen Patienten – nur zu den
       Schwestern, Pflegern und Ärzten. Rund die Hälfte des Personals besteht aus
       arabischen Israelis, aus Muslimen und Christen. Die Wachposten gehen mit
       den Männern vor die Tür, wenn diese rauchen wollen, zu deren eigenem
       Schutz, wie es heißt.
       
       ## Keine politischen Fragen, keine Gesichter
       
       „Alle paar Wochen kommen Vertreter vom Roten Kreuz und bringen uns
       Nachrichten von zu Hause“, berichtet D. Er hat zwei Brüder im Krieg
       verloren. Beide starben, noch bevor er selbst verletzt wurde. „Die Lage ist
       nicht gut“, sagt er über sein Land. „Ich wünschte, es gäbe einen Weg, ein
       Abkommen, das uns ein Leben in Sicherheit bringt.“
       
       Das Krankenhaus ermöglicht das Gespräch und meldet akkreditierte
       Journalisten bei der israelischen Armee an, die gewöhnlich innerhalb von 24
       Stunden ihr Einverständnis damit gibt. Letztendlich ist das eine
       Gelegenheit für Israel, sich international zu profilieren. Das Gespräch
       findet im Flur des Krankenhauskellers statt, ein Dolmetscher übersetzt vom
       Hebräischen ins Arabische und zurück. Ein Soldat der Pressestelle ist die
       ganze Zeit über dabei, er verfolgt aufmerksam Fragen und Antworten und
       passt auf, dass keine Namen genannt werden. Er erlaubt keine politischen
       Fragen, keine Informationen darüber, wie die Verletzten nach Israel kommen,
       und keine Fotos von den Gesichtern.
       
       D. ist einer der wenigen, die bereit waren, über ihre Erfahrungen zu
       sprechen. Er habe gewusst, dass er „in Israel die beste Behandlung bekommen
       würde“, und zeigt sich dankbar für die Aufnahme. Dass Israel keine
       Flüchtlinge ins Land lassen will, findet er allerdings bedauerlich. M., der
       neben ihm auf einem Plastikstuhl sitzt, nickt. „Das syrische Volk ist sehr
       enttäuscht darüber, dass die Welt nichts tut und nicht verhindert hat, dass
       es so weit gekommen ist mit unserem Land.“ M. ist 21 Jahre alt und wird
       schon in wenigen Tagen wieder nach Hause reisen. Die Splitterverletzungen
       am ganzen Körper, die er sich beim Panzerbeschuss durch syrische Soldaten
       zuzog, sind weitgehend verheilt.
       
       Eine Arbeit habe M. in Syrien nicht gehabt. Denkbar ist, dass er zu einer
       Rebellengruppe gehörte, aber darüber darf er keine Auskunft geben. „Baschar
       al-Assad ist ein Monster“, sagt er bitter über den syrischen Präsidenten,
       und der israelische Soldat signalisiert, dass M. seine politische Meinung
       für sich behalten solle. Auch M. zeigt sich wenig zuversichtlich, was die
       Zukunft seiner Heimat betrifft. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er eine
       Behandlung in Jordanien vorgezogen, wo er Verwandte habe. „Ich bin froh,
       dass ich bald nach Hause kann“, sagt er, auch wenn die Schlacht um Daraa
       verloren ist. Beide jungen Männer wären nach Europa geflohen, hätten sie
       das Geld dazu gehabt, für sich und ihre Familien. „Allein wäre ich nicht
       gegangen“, sagt D.
       
       Die beiden jungen Syrer sind Patienten von Professor Jean Soustiel, Chef
       der von ihm selbst gegründeten Abteilung für Neurochirurgie im
       Medizinischen Zentrum von Naharija. „Die meisten Verletzungen, mit denen
       wir zu tun haben, kommen von Explosionen und Hauseinstürzen.“ Die syrische
       Armee meide Straßenkämpfe, sagt der Neurochirurg. Schussverletzungen gebe
       es kaum. Die Verletzten kämen oft „in unvorstellbarem Zustand“ und mit
       „Wunden, die ich noch nie gesehen habe“. So sei ein Kind mit offenem Kopf
       eingeliefert worden. „Es war noch nicht einmal verbunden. Das Gehirn lief
       aus.“ Besonders schwer zu behandeln seien die Infektionen. Denn oft kämen
       die Syrer, erst Tage nachdem sie verletzt wurden, mit verdreckten Wunden.
       „Wir haben völlig neue Bakterien kennengelernt.“
       
       ## Hohe Kosten für die Klinik
       
       „Zu Beginn des Krieges gab es Syrer, die dachten, wir wollten sie töten“,
       erinnert sich der Arzt an die ersten Verwundeten, die zu ihm kamen.
       Inzwischen habe sich herumgesprochen, dass es in Israel nichts zu
       befürchten gibt. Bisweilen habe Soustiel auch Patienten, die eine
       Verletzung vortäuschen, „um sich hier ein Geschwür behandeln zu lassen, das
       mit dem Krieg gar nichts zu tun hat“. Manche stellten sogar Ansprüche und
       sagen etwa: „Hey, ich bin doch noch gar nicht gesund“, wenn der Arzt sie
       wieder nach Hause schicken will. Erschwerend für seine Arbeit sei, dass er
       die medizinische Vorgeschichte seiner Patienten nicht kenne und nicht
       wisse, ob eventuell Allergien bestehen, was bei der Behandlung mit
       Antibiotika fatale Folgen haben könne. Ein Problem sei auch, dass die Syrer
       nicht krankenversichert sind.
       
       Anfangs habe sich „niemand vorstellen können, was für Kosten auf uns
       zukommen“, sagt Soustiel, der von „Hunderten Millionen Schekel“ Ausgaben
       spricht, die die Klinik in eine „schwere finanzielle Krise“ brachten. Erst
       jetzt zeichne sich eine Regelung dazu ab, welche Ministerien welchen Teil
       der Finanzierung übernehmen. Die Strategie der Regierung, punktuell Hilfe
       für einzelne Schwerverletzte zu leisten, die nach ihrer Behandlung
       zurückgeschickt werden, scheint in Israel mehrheitlich Zustimmung zu
       finden. Unmut wird nur dann offen gezeigt,wenn geplante Operationen
       israelischer Patienten verzögert werden, weil die Behandlung der verletzten
       Syrer dringlicher ist.
       
       Soustiel macht sich keine Illusionen darüber, dass die Hilfe Israels etwas
       an dem Feindbild verändern könnte. „Der Einzelne wird sich erinnern. Bei
       dem hast du einen Mythos zerschlagen. Für den sind wir keine Monster mehr.“
       Gut 2.600 Syrer sind seit Kriegsbeginn in Naharija behandelt worden. Das
       sei „ein verschwindend geringer Bruchteil“ derer, die Hilfe brauchen, räumt
       Soustiel ein. Nach den Angaben des Syrischen Zentrums für Statistik und
       Forschung, dessen Schätzungen noch deutlich unter denen der Vereinten
       Nationen liegen, [1][starben allein in diesem Jahr knapp 10.000 Menschen].
       
       ## Ein Ausflugsziel für Touristen
       
       Bis zur israelisch-syrischen Grenze auf dem Golan sind es von Naharija aus
       knapp einhundert Kilometer. Seit 50 Jahren lebt Jehuda Harel im Kibbuz
       Merom Golan, den er unmittelbar nach dem Sechstagekrieg, als Israel die
       Golanhöhen eroberte, mitgründete. „Israel kann nur eine symbolische Hilfe
       leisten“, findet auch er. Nichtsdestotrotz zähle jeder einzelne Mensch. Von
       seinem Haus aus kann er die Kämpfe hören, und „manchmal sehen wir Rauch
       aufsteigen“. Der drahtige 83-Jährige wirkt deutlich jünger, als er ist. Er
       genießt seinen Lebensabend in der gepflegten Landwirtschaftskooperative
       zusammen mit vier seiner fünf Kinder und fast einem Dutzend Enkeln. „Für
       junge Familien ist es hier ideal“, sagt Harel, der Mitte der 90er Jahre
       Abgeordneter in der Knesset von Jerusalem war. Seine Einthemenpartei
       Dritter Weg zielte darauf ab, den damaligen Regierungschef Jitzhak Rabin
       von einem Verzicht auf die Golanhöhen für Frieden mit Syrien abzubringen.
       
       Die von den USA vermittelten Verhandlungen scheiterten schließlich auch
       ohne Zutun des Dritten Wegs im Frühjahr 2000. Grundsätzlich schienen sich
       beide Seiten auf die Rückgabe der Golanhöhen an Syrien geeinigt zu haben.
       Israel bestand indes darauf, einen schmalen Streifen nördlich des Sees
       Genezareth unter eigener Kontrolle zu behalten. Der damals schon
       schwerkranke syrische Präsident Hafis al-Assad weigerte sich, auf Teile des
       Golan zu verzichten.
       
       Nach Ansicht von Jehuda Harel ist Israels Kontrolle über den „strategisch
       wichtigen“ Norden die einzige Garantie dafür, dass es „hier ruhig bleibt“.
       Die von Israel annektierten Golanhöhen sind ein attraktives Ausflugsziel
       für Touristen, die je nach Jahreszeit entlang der drei Jordanzuflüsse
       wandern oder auf dem Berg Hermon Ski fahren. Hier, fast 1.200 Meter über
       dem Meeresspiegel, ist es im Vergleich zum Rest des Landes auch in den
       Sommermonaten angenehm kühl.
       
       „Oft rufen mich Leute an und fragen, ob alles in Ordnung ist bei mir“,
       meint Harel und schüttelt den Kopf über die überflüssige Besorgnis. „Manche
       denken, wir seien mittendrin“ im Bürgerkrieg jenseits der Grenzanlagen.
       Harel pflegt gute Kontakte zu den drusischen Nachbardörfern. Knapp die
       Hälfte der rund 50.000 Golanbewohner sind Drusen. Sie lebten schon vor dem
       Krieg hier und blieben trotz der Besetzung durch Israel. Die Drusen haben
       Verwandte auf syrischer Seite. „Sie berichten mir ein bisschen“, sagt
       Harel. „Es ist schrecklich.“ Dieser Krieg sei völlig unlogisch. Keiner
       wisse, wer genau gegen wen kämpfe. „Es ist eine völlig andere Welt.“ Hier
       die dörfliche Idylle und dort das Grauen.
       
       Vom Kibbuz aus ist der Berg Bental zu Fuß zu erreichen. Direkt an der
       Grenze erinnern Wehranlagen und Metallskulpturen von Soldaten, die mit
       Gewehren in Richtung Syrien zielen, an frühere Schlachten. Für fünf
       Schekel, etwas mehr als einen Euro, gibt ein Fernrohr die Sicht frei in das
       vom Bürgerkrieg gepeinigte Nachbarland. Hinweisschilder lehren, dass es von
       hier aus nur noch 60 Kilometer bis Damaskus sind. Jenseits des
       Stacheldrahts beginnt die entmilitarisierte Zone, in der seit Beginn der
       Kämpfe in der syrischen Provinz Daraa schon Zigtausende Syrer Zuflucht
       suchen. 1974 einigten sich Syrien und Israel darauf, dass der zwei bis zehn
       Kilometer breite Streifen, für die Truppen beider Seiten tabu sein sollte.
       Israel stellt den Geflüchteten umfangreiche Hilfspakete zur Verfügung mit
       Nahrungsmitteln, Medikamenten, Zelten und Decken. Für die Syrer auf der
       Flucht die Grenze zu öffnen, steht für Regierungschef Benjamin Netanjahu
       hingegen außer Frage.
       
       ## Die Ärzte des Militärs entscheiden
       
       Für S. ist die Behandlung in Israel die einzige Chance, dass sein linker
       Arm gerettet wird. Der junge Mann liegt in einem Bett des Ziv-Krankenhauses
       in Safed, nur knapp 40 Kilometer von der Grenze entfernt. Hier werden vor
       allem Kinder aus dem Kriegsgebiet behandelt. S. wurde erst vor wenigen
       Tagen verletzt. Sein Arm liegt in einer Schiene mit zahllosen Schrauben. Er
       bewegt sich kaum und antwortet einsilbig. Vor dem Krieg sei er Student
       gewesen. Er wollte Elektroingenieur werden. Ob die Ärzte seinen Arm retten
       können, weiß er noch nicht. Die Wunden sind schlimm entzündet.
       
       S. teilt sich das Krankenzimmer mit einem Taxifahrer, der aus der Nähe von
       Damaskus kommt. A. sitzt im Schneidersitz und mit bloßem Oberkörper auf
       seinem Bett. Auch sein Ellenbogen liegt in Schienen. Syrische Soldaten
       hatten ihn angegriffen, als er mit seinem Auto unterwegs war. „Israelische
       Soldaten haben mich hergebracht.“ Die Ärzte des Militärs entscheiden, wen
       die israelischen Ambulanzen mitnehmen. Über das Auswahlverfahren sagt die
       Armee nichts. Vermutlich wird je nach Schwere der Verletzungen entschieden.
       
       A., fünffacher Familienvater mit schütterem grauen Haar und Vollbart, ist
       schon zum zweiten Mal zur Behandlung von Kriegswunden in Israel. 2016 blieb
       er gut ein halbes Jahr im Medizinischen Zentrum von Naharija. Damals habe
       ihn seine Familie besuchen können. A. ist zufrieden. In seiner Heimat
       „fühlen viele, dass Israel kein Feind ist, sondern uns hilft“. Im
       Nebenzimmer der zwei Syrer liegt ein israelischer Soldat mit Verletzungen
       durch einen schweren Autounfall.
       
       Rund 1.100 syrische Kriegsopfer waren bislang im Krankenhaus Ziv zur
       Behandlung. Der Sozialarbeiter Fares Issa Dschisch kennt jeden Einzelnen.
       Der christlich-arabische Israeli nimmt die Neuaufnahmen in Empfang, gibt
       ihnen Pyjamas, „sie kommen nackt, die Armee zieht sie aus“, einen Koran und
       ein Radio, Zeitungen und bei Bedarf auch Bücher. Ohne ihn dürfen die Syrer
       ihre Krankenzimmer nicht verlassen. „Viele sind einsam. Ich versuche, bei
       jedem wenigstens zweimal am Tag vorbeizuschauen.“
       
       Um mit den syrischen Patienten auch ohne Hilfe von Dschisch kommunizieren
       zu können, hat Professor Alexander Lerner, Chef der Orthopädischen
       Abteilung, angefangen, ein wenig Arabisch zu lernen. Lerner kam vor knapp
       30 Jahren aus Weißrussland nach Israel und spricht Hebräisch noch immer mit
       starkem Akzent. Drei von vier seiner Patienten aus Syrien kommen mit
       verletzten Gliedmaßen. „Die Leute haben keinen Schutzhelm und keine Weste,
       die meisten sterben sofort. Wer nur an Armen oder Beinen verletzt ist, hat
       eine Überlebenschance.“
       
       Lerners Mission ist die Bewahrung der Gliedmaßen. „Tut mir leid, dass ich
       Ihnen solche Fotos zeigen muss“, sagt er und fährt seinen Computer hoch. Es
       sind Bilder von zerfetzten Knochen, an denen nur noch Hautfetzen hängen,
       von halben Beinen und komplizierten medizinischen Prozeduren. Lerner
       erzählt von einem achtjährigen Jungen, der nach 17 Operationen im Libanon
       keine Hoffnung mehr hatte, jemals wieder laufen zu können. Seine Eltern
       hatten sich damit nicht abfinden wollen. „Sie brachten ihn auf einem Esel
       bis zur Grenze. Zwei Wochen später stand er auf eigenen Beinen.“ So
       glücklich ginge nicht jeder Fall aus, sagt der Orthopäde, der einer
       28-jährigen mehrfachen Mutter auf eigenen Wunsch das Bein amputierte. „Das
       Bein zu retten hätte mehrere Monate gedauert. Sie wollte schnell wieder zu
       ihrer Familie zurück und bat deshalb um eine Prothese.“ Ein Jahr später
       habe Lerner die Frau wiedergetroffen, als sie mit einem ihrer Kinder ins
       Ziv-Krankenhaus kam.
       
       Einmal im Monat kommen rund 100 syrische Kinder meist für eine Nacht zur
       ambulanten Behandlung. Manche haben Geburtsfehler, Hör- und Sehprobleme,
       leiden unter epileptischen Anfällen oder anderen chronischen Krankheiten,
       für die es in ihrer Heimat keine Hilfe gibt. Sie werden jeweils von einem
       Elternteil begleitet. Die Frau mit dem amputierten Bein habe ihre
       Entscheidung nicht bereut. „Sie hat sich noch mal bei mir bedankt, aber für
       mich fühlte es sich nicht richtig an. Ich hätte das Bein retten können.“
       Nur selten hört Lerner von seinen Patienten, sobald sie Israel wieder
       verlassen. Ein einziges Mal habe er über WhatsApp eine Nachricht von einer
       noch minderjährigen Patientin bekommen. Gewöhnlich ist die Kommunikation
       nur mithilfe des Roten Kreuzes möglich.
       
       A. würde sehr gern mit den Israelis in Kontakt bleiben, wenn er eines Tages
       in seine Heimat zurückgeht. Überhaupt findet er, dass Israel das syrische
       Problem lösen sollte. „Wenn Israel sich nicht einmischt, ist unsere Zukunft
       düster“, glaubt er. „Israel ist das gerechteste Land der Welt.“
       
       24 Jul 2018
       
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