# taz.de -- Anleitung zur politischen Eskalation: Besser erpressen als Seehofer
       
       > Die Kunst der politischen Erpressung will gelernt sein. Einer schob sich
       > zuletzt in die Rolle des Champions in dieser Disziplin: Horst Seehofer.
       
 (IMG) Bild: Auf geht’s, sobald Sie das Opfer ausgemacht haben!
       
       Erpressung ist Zeitgeist. Die Mafia tut es – da ist es ein Verbrechen.
       Kinder tun es – da ist es Trotz. Auch Erwachsene tun es untereinander – da
       ist es Beziehungsgewalt. Und Politiker tun es – da ist es Strategie.
       
       Wie auch immer: Wer gut erpresst, gewinnt. [1][Zu beobachten war das in den
       letzten Wochen wieder einmal auf der politischen Bühne] – in der Hauptrolle
       der CSU-Chef Horst Seehofer. Er führte vor, dass er die Kunst der
       Erpressung perfekt beherrscht. Das kann man sich von ihm abschauen:
       
       Die Forderung 
       
       Stellen Sie eine Forderung, sie ist der wichtigste Teil jeder gelungenen
       Erpressung. Die Forderung muss kurz und griffig sein, dabei aber
       unspezifisch. Eine Trilliarde. Null. Wirkungsgleich … egal. Je diffuser
       ist, was genau Sie meinen, desto mehr Spielraum bleibt Ihnen im weiteren
       Verlauf der Erpressung. Im Zweifel empfiehlt es sich, unterschiedliche
       Aussagen in die Welt zu setzen, auf irgendeine davon werden Sie sich dann
       später schon beziehen können.
       
       Das Opfer 
       
       Bei der Wahl des Opfers haben Sie freie Hand. Jeder kann Opfer sein. Außer
       Ihnen selbst, versteht sich. Ich, Horst Seehofer, spreche mal aus meiner
       reichen Erfahrung: In meinem langen Politikerleben habe ich ja schon ein
       paar Opfer abgeräumt, auch im großen Stil. Stolz bin ich immer noch darauf,
       wie ich meinen Vorgänger im Ministerpräsidentenamt abgeräumt habe. Und wer
       kann schon von sich sagen, eine ganze Behörde geschlossen zu haben? Beim
       Bundesgesundheitsamt hätten Sie in den Neunzigern halt anständig arbeiten
       sollen; für die verseuchten Blutpräparate war ganz sicher nicht ich als
       Minister verantwortlich. Anyway, diesmal müssen Sie größer denken. Sehr
       groß. Wie wäre es mit der Kanzlerin? Die muss doch weg, habe ich irgendwo
       gehört. Also. Auf geht’s, sobald Sie das Opfer ausgemacht haben.
       
       Das Ultimatum 
       
       Höchstmögliche Wirkung erzielen Sie, wenn Sie das Ganze noch mit einem
       Ultimatum garnieren. Ultimaten sind beliebt, leicht zu merken und hilfreich
       für die Terminplanung. Und Ihre Widersacherin spürt nun förmlich den
       Wettlauf mit der Zeit. Bei der Wahl Ihres Ultimatums haben Sie freie Hand,
       lassen Sie sich nicht durch vermeintliche Sinnhaftigkeit in Ihrer
       Entscheidung einengen. Sollten Sie Ihre Drohung etwa von einem letzten
       Treffen mit dem Objekt Ihres erpresserischen Handelns abhängig machen,
       könnte man es Ihnen als Fantasielosigkeit auslegen, wenn Sie auch das
       Ultimatum an diesem Tag ablaufen lassen. Hängen Sie einfach noch ein paar
       Tage dran. Wenn Sie auf Mitleid spekulieren, wählen Sie beispielsweise
       Ihren Geburtstag. So hab ich es auch gemacht. Ich bin am 4. Juli 69 Jahre
       alt geworden. Wer will denn bitte schön schuld daran sein, dass Sie an
       Ihrem Jubeltag traurig sind?
       
       Die Drohung 
       
       Sie müssen dem Opfer drohen. Leider. Die Welt ist schlecht. Also, bloß kein
       Mitleid, erst recht nicht mit einem Opfer, das Angst vor Machtverlust hat.
       Oder sich um den Frieden in der Welt sorgt. Tun Sie so, als sei Ihnen
       selbst die Macht gleichgültig und als ginge Sie dieser Frieden nichts an.
       Hilfreich ist die maximale Drohung, der Rücktritt etwa ist unter Erpressern
       im Politikbetrieb beliebt. Aber auch hier gilt: Bloß nicht an völlig
       überholten Regeln des gesunden Menschenverstands orientieren. Klassisch
       wäre es beispielsweise, der Person, die Sie erpressen wollen, damit zu
       drohen, sie ins Verderben zu stürzen. Der Nachteil: Empfindlichere Gemüter
       fassen so etwas gern als Affront auf und reagieren verschnupft, manchmal
       sogar feindselig. Deshalb versuchen Sie doch einfach mal etwas scheinbar
       Widersinniges: Drohen Sie damit, sich selbst etwas anzutun – ein Mittel,
       das man ja sonst eher im Familien- oder Freundeskreis anwendet. Das ist
       überraschend, stiftet Verwirrung und wird als weniger konfrontativ
       empfunden. Am Ende wird das Opfer gar nicht mehr merken, dass das mehr eine
       Verheißung als eine Drohung war, und alles dafür tun, um das Unheil
       abzuwenden.
       
       Die Eskalation 
       
       Denken Sie daran: Eskalieren ist wichtig. Fangen Sie mit etwas Kleinem an
       und steigern Sie dann zügig. Sie können zum Beispiel immer mal wieder
       abfällige Bemerkungen über das Opfer streuen. Steigern Sie jetzt die Dosis
       und verhalten Sie sich irrational. Schwänzen Sie Termine, sagen Sie
       Pressekonferenzen ab. Wie wäre es mit dem Integrationsgipfel? In der Zeit
       könnten Sie gemütlich an der Spree sitzen und Modellbahn-Zeitschriften
       lesen. Schließlich: Stellen Sie absurde Forderungen auf, zum Beispiel als
       Gegenleistung für Ihre Regierungsbeteiligung. Eine Maut, eine Obergrenze
       oder dass Sie Ihren Hund mit ins Büro nehmen dürfen, völlig egal. Sie
       werden sehen, wie Ihr Gegenüber darauf reagiert, und können es von Mal zu
       Mal besser einschätzen. Und bitte: Bloß nichts aufschreiben! Das erledigt
       die Presse für Sie – im besten Fall mit minütlichen Eilmeldungen, die sich
       im allerbesten Fall auch noch widersprechen. Wenn es gar nicht anders geht,
       weil Sie sich Ihre 63 Forderungen im Detail nicht merken können, machen Sie
       sich in Gottes Namen eine Liste. Nennen Sie sie Masterplan. Aber zeigen Sie
       sie niemandem. Außer ihrem Opfer natürlich, aber das verpflichten Sie
       natürlich zum Stillschweigen.
       
       Die Komplizen 
       
       Kriminelle Energie und Skrupellosigkeit allein reichen nicht für eine
       erfolgreiche Erpressung. Sie brauchen schon auch Komplizen. Das müssen
       keine Überzeugungstäter sein und schon gar keine Freunde. Wenn diese Sie
       nur unterstützen, um Ihren angenommenen eigenen Untergang zu verhindern,
       ist das vollkommen ausreichend. Wichtig natürlich: Untereinander sollten
       sich die Mitglieder Ihrer Bande besser nicht so gut verstehen. Nur das
       sichert Ihnen Ihren Stand. Notfalls streuen Sie selbst etwas Zwietracht
       oder drohen mit der Rückkehr eines verlorenen Sohns aus Amerika. Das wirkt
       Wunder. Zusatztipp: Keine Frauen! Frauen sind gefühlig und haben in der
       Politik eigentlich überhaupt nichts zu suchen. Brauchen Sie doch mal eine,
       etwa für ein wichtiges Foto, nehmen Sie die eine Reservefrau aus dem
       Vorstand mit, die immer noch glaubt, politisch tatsächlich etwas bewirken
       zu können.
       
       Das Gelingen 
       
       Die Erfahrung zeigt, dass es für eine wirklich erfolgreiche Erpressung
       nicht notwendig ist, dass die gestellte Forderung erfüllt wird. Forderungen
       sind so was von 20. Jahrhundert. Heute so und morgen anders – was genau Sie
       anfangs gefordert haben, daran erinnert sich eh bald kein Mensch mehr.
       Nehmen Sie, was Sie kriegen können, und gehen Sie damit an die
       Öffentlichkeit. Lächeln Sie breit und sagen Sie, das sei alles von A bis Z
       so, wie man sich das wünscht, und wenn Sie zuständiger Minister sind, dann
       sagen Sie, dass alles so ist, wie Sie es sich als zuständiger Minister
       wünschten. Vergessen Sie nicht, zu dem Termin Ihren feindseligsten
       Komplizen mitzubringen. Er muss nicken und lächeln. Erwähnen Sie vor der
       Presse keinesfalls den Fleiß und die Willfährigkeit Ihres Opfers. Es darf
       sich nicht sicher fühlen, dass mit diesem Tag die Erpressung zu Ende ist.
       Denn das ist sie gewiss nicht. Fahren Sie nach dem Pressetermin in Ihr
       Ministerium und versuchen dort, mit der rechten Schuhspitze Ihren
       zerknüllten Masterplan in den Papierkorb zu kicken. Brüllen Sie noch rasch
       einen engen Mitarbeiter nieder und rufen Sie anschließend beim Opfer an.
       Stellen Sie eine Forderung.
       
       7 Jul 2018
       
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