# taz.de -- Gedenken an Brandanschlag in Solingen: 25 Jahre nach Solingen
       
       > Bei der Gedenkfeier sprechen Angela Merkel und der türkische
       > Außenminister Çavuşoğlu. Die Angehörige Mevlüde Genç appelliert für
       > Versöhnung.
       
 (IMG) Bild: Mevlüde Genç hat bei dem Anschlag zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte verloren
       
       Über seinen Auftritt war seit Wochen heftig gestritten worden: 26 Tage vor
       den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei hat der
       Außenminister der autoritären AKP-Regierung, Mevlüt Çavuşoğlu, Deutschland
       besucht. Anlass war das Gedenken an den 25. Jahrestag des Brandanschlags in
       Solingen, zu dem Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU)
       auch Bundeskanzlerin Angela Merkel in seine Düsseldorfer Staatskanzlei
       geladen hatte. Auch in Solingen selbst wurde auf verschiedensten
       Veranstaltungen den ganzen Tag über an den Mordanschlag gedacht.
       
       Am 29. Mai 1993 hatten dort vier junge deutsche Männer, darunter zwei
       stadtbekannte Neonazis, das Haus von Haus von Durmuş und Mevlüde Genç mit
       Benzin angezündet. Zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte des
       Ehepaars starben. Die älteste Tote wurde 27, die jüngste nur vier Jahre
       alt. Schwer verletzt wurden 17 weitere Familienmitglieder – so musste sich
       Sohn Bekir Genç wegen schwerster Verbrennungen 30 Operationen unterziehen.
       
       Ursprünglich wollte Ministerpräsident Laschet Außenminister Çavuşoğlu im
       Landtag eine Bühne bieten – doch SPD und Grüne reagierten mit einer
       Boykottdrohung: „Es wäre ein fatales Zeichen, ausgerechnet im Hohen Haus
       der Demokratie in NRW einem Vertreter des autoritären Erdoğan-Regimes eine
       Bühne zu bieten – auch mit Blick auf die bevorstehenden Parlaments-und
       Präsidentschaftswahlen in der Türkei wäre das inakzeptabel“, sagte die
       grüne Landtagsabgeordnete Berivan Aymaz, die 2015 die links-kurdische
       Partei HDP mit einem Wahlaufruf unterstützt hatte, der taz. Der Landtag
       könne „für einen Wahlkampfauftritt missbraucht“ werden, warnte auch
       SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty.
       
       Mit den Wahlen will AKP-Parteichef Recep Tayyip Erdoğan den Umbau des
       Landes in ein autoritäres Präsidialsystem, das ihm eine ungeahnte
       Machtfülle sichern soll, vollenden. Allerdings steht der Präsident wegen
       des seit Monaten anhaltenden massiven Wertverlusts der türkischen Lira
       unter Druck. Ein zweiter Wahlgang wird deshalb immer wahrscheinlicher. Erst
       am Sonntag rief Erdoğan seine Landsleute auf, zur Stützung der
       Landeswährung Dollar und Euro in Lira umzutauschen.
       
       ## Zurückhaltender Auftritt
       
       Die Bundesregierung hatte schon im vergangenen Juni ein Auftrittsverbot für
       ausländische Amtsträger erlassen, das jeweils drei Monate vor wichtigen
       Wahlen in deren Land gelten soll. Die Gedenkveranstaltungen anlässlich des
       Solinger Mordanschlags seien aber kein Wahlkampf, urteilte
       Bundesaußenminister Heiko Maas. Allerdings verband der Sozialdemokrat die
       Redeerlaubnis mit einer klaren Warnung an Çavuşoğlu: „Ich gehe davon aus“,
       sagte Maas schon vor einem Monat am Rand eines Treffens mit seinem
       türkischen Amtskollegen in New York, „dass auch in der Türkei niemand ein
       Interesse daran hat, die Beziehungen zu Deutschland noch einmal zu
       verkomplizieren“.
       
       Entsprechend zurückhaltend trat Erdoğans Minister in Laschets Staatskanzlei
       auf – eine Rede vor einem wegen Boykotts halbleeren Parlament hatte der
       Ministerpräsident Çavuşoğlu nicht zumuten wollen. Einziger Grund seiner
       Rede sei, ein Zeichen gegen „Rassismus, Xenophobie und
       Ausländerfeindlichkeit“ setzen zu wollen, betonte Çavuşoğlu vor etwa 100
       geladenen Gästen und Dutzenden JournalistInnen und Kameras.
       
       Mehrfach ging der 50-Jährige, den türkische Oppositionelle als
       Nationalisten kritisieren und der noch vor einem Jahr bei einer
       Wahlkampfrede im türkischen Konsulat in Hamburg den „Wolfsgruß“ der
       rechtsradikalen Grauen Wölfe gezeigt hat, auf den Schmerz und die Trauer
       besonders der Mutter und Großmutter der Toten, Mevlüde Genç ein:
       Ehrerbietig nannte er sie „unsere verehrte Mutter“, danach noch einmal
       „unserer aller Mutter“.
       
       Aus der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei war zuvor zu hören, Çavuşoğlu
       sei auf ausdrücklichen Wunsch der Familie der Toten eingeladen worden – sie
       gilt als konservativ-staatstragend. Zu einer Diskussion in Solingen, bei
       der in der vergangenen Woche nicht nur Anschläge gegen MigrantInnen in
       Deutschland und der Terror des selbsternannten „Nationalsozialistischen
       Untergrunds“ (NSU), sondern auch das Massaker an Aleviten in Sivas vom 2.
       Juli 1993 Thema war, war kein Vertreter der Familie Genç gekommen.
       
       ## Keine Rache, kein Hass
       
       Mevlüde Genç selbst nutze das Gedenken in der Düsseldorfer Staatskanzlei zu
       einem erneuten Appell zur Versöhnung. „Lasst uns zum Guten nach vorne
       schauen“, sagte die 75-Jährige. Sie fühle in sich „keine Rache, keinen Hass
       – außer auf die vier Männer, die mein Haus für meine Kinder zum Grab
       machten“. In Interviews hatte Mevlüde Genç zuvor bedauert, dass „das
       Gedenken an den wichtigsten Tag meines Lebens von politischen
       Auseinandersetzungen überschattet wird“.
       
       Kanzlerin Merkel machte dagegen klar, dass sich der Mordanschlag von
       Solingen nicht von der Tagespolitik trennen lässt. Sie warnte vor
       fremdenfeindlichen „Tabubrüchen“ durch PolitikerInnen, ohne die
       rechtspopulistische AfD beim Namen zu nennen. „Wer mit Worten Gewalt sät,
       nimmt zumindest billigend in Kauf, dass auch Gewalt geerntet wird.“
       
       Verstanden werden kann das auch als Kritik an der eigenen Partei: Anfang
       der neunziger Jahre hatten CDU und CSU eine Kampagne zur Verschärfung des
       Asylrechts gefahren. Boulevardblätter wie Bild sekundierten mit
       Hass-Slogans wie „Das Boot ist voll“. Was folgte, waren pogromartige
       Attacken auf MigrantInnen etwa in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln
       – und eben Solingen.
       
       Mit Spannung war deshalb erwartet worden, ob sich Çavuşoğlu dort radikaler
       äußern würde. Allerdings fiel der Auftritt von Erdoğans Minister wie der
       seines deutschen Amtskollegen Maas ins Wasser: Nach wolkenbruchartigen
       Regenfällen, die im benachbarten Wuppertal Dächer einstürzen ließen, musste
       das „Zentrale Gedenken“ der Stadt von Solingens Oberbürgermeister Tim
       Kurzbach abgebrochen werden. Wegen ihres engen Terminplans reisten beide
       Außenminister wieder ab, ohne gesprochen zu haben. Ein stilles Gedenken am
       Ort des Brandanschlags in der Unteren Wernerstraße fand am Abend aber
       ebenso statt wie ein interreligiöses Gebet, das Iftar-Fastenbrechen im
       Ramadan und ein Schweigemarsch.
       
       Beim „Zentralen Gedenken“ hatte Sozialdemokrat Kurzbach vor etwa 1.000
       Menschen zuvor noch warnen können, vor 25 Jahren habe erst die „öffentliche
       Sprache in Politik und Medien, die immer aggressiver wurde“, zu
       Mordanschlägen auf MigrantInnen geführt – und auch heute die „sogenannten
       Fremden“ als „Gefahr für alles mögliche in unserem Land“ im Visier. Auch
       Nordrhein-Westfalens stellvertretender Ministerpräsident Joachim Stamp
       (FDP) mahnte, die deutsche Gesellschaft werden ihrem Ziel des „Nie wieder!“
       bis heute „nicht immer gerecht“. Wie Kanzlerin Merkel nannten aber weder
       Kurzbach noch Stamp die rechtspopulistische AfD beim Namen.
       
       30 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Wyputta
       
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