# taz.de -- Nazis in Marzahn: Gestörtes Gedenken
       
       > In Marzahn-Hellersdorf wird ein Gedenkstein für den von Neonazis
       > getöteten Vietnamesen Nguyễn Văn Tú erst beschädigt, dann gestohlen.
       
 (IMG) Bild: Kaum war er da, war er schon wieder weg
       
       Es ist der 24. April 1992, Freitagabend, als der Vietnamese Nguyễn Văn Tú
       am Brodowiner Ring im Bezirk Marzahn-Hellersdorf vom Neonazi Mike Lillge
       niedergestochen wird. Zuvor war es zu Auseinandersetzungen zwischen
       vietnamesischen Händler*Innen und Neonazis, die die Gruppe attackierten und
       ihre Stände umtraten, gekommen.
       
       Tú war zu Besuch in Berlin, er ging zu der Gruppe. Versuchte den Neonazis
       zu erklären, dass sie im Unrecht waren. Mike Lillge, einer der Angreifer,
       zückte sein Messer und griff Tú an. Kurz darauf erlag dieser im Krankenhaus
       seinen Verletzungen. Der Täter wurde am darauf folgenden Mittwoch in seiner
       Wohnung festgenommen.
       
       Tú war 1987 nach Deutschland gekommen, kurz nach seinem Tod wäre seine
       Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen. Er wollte zurück zu seiner Familie nach
       Vietnam. Dort warteten seine Eltern, seine Schwester und seine zukünftige
       Ehefrau auf ihn.
       
       Die Tat fiel in eine politisch angespannte Zeit in Deutschland, vier Monate
       vor den rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen. Auch in
       Berlin waren Angriffe auf Flüchtlinge und Migranten keine Ausnahmen.
       Oftmals waren vietnamesische Vertragsarbeiter*Innen Opfer der Attacken.
       
       1992 demonstrierten 2.000 Menschen am Tatort gegen die rassistische Tat. 25
       Jahre später veranstaltete die Antifa eine Kundgebung am Brodowiner Ring.
       Um die Tat an Tú nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und zugleich auf
       die erstarkende Rechte aufmerksam zu machen.
       
       Denn Marzahn-Hellersdorf hat ein Problem mit Rechtsextremismus. Bei der
       Bundestagswahl 2017 erhielt die populistische AfD in diesem Bezirk 28,5
       Prozent der Stimmen, AfD-Politiker Thomas Braun ist stellvertretender
       Bezirksbürgermeister. Allein 2016 wurden dort 354 Fälle von
       ausländerfeindlichen Aktionen verzeichnet. Damit war der Bezirk
       Spitzenreiter in Berlin.
       
       In dieser Frage sind sich auch der Antifaschist Robert Huettig (Name auf
       Wunsch geändert) und Bjoern Tielebein, Mitglied des Bezirksvorstands der
       Linken, einig. „Wir haben hier ein Problem mit Rechtsextremismus, das wurde
       bereits in den vergangenen Jahren deutlich“, so Tielebein. „Das ist einfach
       ein schwieriger Bezirk“, sagt Huettig.
       
       Im April dieses Jahres verlegte die Antifa Berlin zum 26. Todestag Tús
       einen Gedenkstein am Tatort in Marzahn-Hellersdorf. „Heute sehen wir uns
       mit einer ähnlichen Stimmung konfrontiert, die von rechten Parteien und
       Neonazis massiv geschürt wird“, erklären die Organisator*Innen auf ihrer
       Website. Zuvor hatten sie jahrelang gefordert, dass die Bezirksverwaltung
       im Gedenken an das Opfer tätig wird. „Wir sehen den Stein als Mahnung,
       gesellschaftliche Hetze gegen Minderheiten nie zu tolerieren und aktiv
       gegen Rassismus zu kämpfen“, betont die Antifa. Zusätzlich wurden in der
       Umgebung Plakate mit dem Konterfei Tús angebracht, die an den rassistischen
       Übergriff erinnern sollten.
       
       Bei einem Kontrollgang eine Woche nach der Verlegung des Gedenksteins
       entdeckten Antifaschisten, dass dieser mit Beton übergossen worden war. Als
       man nach zehn Tagen erneut anrückte, diesmal, um den Stein wieder
       freizulegen, war dieser gestohlen. Seitdem ist er auch nicht mehr
       aufgetaucht.
       
       Umso wichtiger ist es der Antifa nun, das Gedenken an Tú
       wiederherzustellen.
       
       „Für uns ist klar, dass diese Aktion einen rassistischen, neonazistischen
       Hintergrund hat“, sagt Antifaschist Robert Huettig. Auch Tielebein legt
       diesen Verdacht nahe. „Es ist davon auszugehen, dass die Tat von Rechten
       begangen wurde.“
       
       Die Antifa fordert nun erneut, dass Bezirk und Verantwortliche helfen, die
       Erinnerung an Tú aufrechtzuerhalten. „Wir wollen eine Absprache mit dem
       Bezirk erreichen und dafür sorgen, ein Projekt umzusetzen, das länger
       Bestand hat“, erklärt Huettig. Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle (Linke)
       liegt jedoch keine offizielle Anfrage vor. Allerdings versichert Pohle auf
       taz-Anfrage, dass sich sowohl das Bezirksamt als auch das Bündnis für
       Demokratie dem Gedenken verpflichtet fühlten.
       
       7 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Serdar Arslan
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Neonazis
 (DIR) Schwerpunkt Antifa
 (DIR) Berlin Marzahn-Hellersdorf
 (DIR) Schwerpunkt Neonazis
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Prozess in Berlin: Marzahner Neonazi verurteilt
       
       Weil er im Herbst 2015 FlüchtlingshelferInnen bedroht hatte, muss ein
       bekannter Marzahner Rechtsextremist 6000 Euro Strafe zahlen.
       
 (DIR) taz-Serie Marzahn-Hellersdorf: Einmal Berlin-Marzahn und zurück
       
       Unsere Autorin war noch nie in Marzahn – weil es keinen Grund dafür gab
       hinzufahren, aber auch aus Angst vor rassistischen Angriffen. Ein Versuch.