# taz.de -- #MeToo-kritische Streitschrift: Nein zur Gewalt, Ja zur Lust
       
       > Für Svenja Flaßpöhler ist die #MeToo-Debatte ein Opferdiskurs. Sie
       > schreibt von der „potenten Frau“ und zeichnet ein verzerrtes Bild der
       > Lage.
       
 (IMG) Bild: Beschäftigt sich die #MeToo-Debatte mit einer überholten Gegenwart?
       
       „Ich weiß nicht, in was für einer Gesellschaft Frau Flaßpöhler lebt.“ Das
       Unverständnis konnte nicht größer sein, als #Aufschrei- und
       #MeToo-Aktivistin Anne Wizorek in einer Fernsehtalkshow auf Svenja
       Flaßpöhler stieß. Flaßpöhler, die Chefredakteurin des Philosophiemagazins
       ist, hatte zuvor gesagt, #MeToo erkläre unsere Gesellschaft zu einem
       geschlossenen Machtsystem des Patriarchats. Und das sei doch nun weit
       entfernt von der Realität.
       
       Sie kamen nicht zusammen an diesem Abend – vielleicht war auch das eine
       Motivation für Flaßpöhler, nun einen kleinen Essay vorzulegen und ihre
       Haltung zu erläutern. „Die potente Frau“ heißt er und beginnt mit einem
       Manifest für dieselbe: „Die potente Frau hat den Sprung aus einer
       überholten Gegenwart gewagt. Vorbei die Jahrzehnte des Übergangs, in denen
       das sogenannte schwache Geschlecht beinahe krampfhaft festhielt an dem ihm
       zugeschriebenen Opferstatus, weil noch keine andere Erzählung möglich
       schien. Vorbei die Zeit, in der Frauen kaum etwas wussten von der eigenen
       Lust und Gesetze einforderten, die für sie ihr Intimleben regeln.“
       
       Die überholte Gegenwart, das sind laut Flaßpöhler also wohl eher impotente
       Frauen, die beinahe krampfhaft an ihrem Opferstatus festhalten, kein
       Begehren haben und wollen, dass der Staat ihr Intimleben regelt. Das zeugt
       von einer ziemlich einseitigen Lesart der #MeToo-Debatte, die man so
       zusammenfassen kann: Ihr übertreibt. Ihr schadet euch damit selbst. Und ihr
       verhindert einen konstruktiven Dialog mit dem anderen Geschlecht.
       
       Frauen seien nicht universell unterdrückt und sie könnten sich durchaus zur
       Wehr setzen, lautet Flaßpöhlers Plädoyer. Weinstein, Wedel und Co seien
       Probleme von gestern: „Bei jenen Herren handelt es sich also um alte
       Männer. Es ist offenkundig, dass mittlerweile eine andere Generation von
       Männern – und auch Chefs – nachwächst.“ Die Wirklichkeit habe sich weiter
       entwickelt, und zwar zum Guten, so das Postulat.
       
       Verführung ohne Regeln? 
       
       Dagegen könnte man nun allerdings einwenden, dass #MeToo ja gerade aus
       Fällen besteht, die sich nicht in den Siebzigern und Achtzigern abspielten.
       Es sind die alten Fälle, die bekannt werden, weil die Opfer ihre Angst
       verlieren, sich zu outen. #MeToo könnte man eher als ein Erstaunen darüber
       lesen, dass es all diese Dinge immer noch gibt.
       
       Nicht leicht verständlich ist auch, wenn Flaßpöhler postuliert: „Wer eine
       Welt ohne Belästigung will, will letztendlich eine Welt ohne Verführung.“
       Ja, ein Mann kann zu Beginn nicht sicher sein, ob eine Frau eine Annäherung
       angenehm oder unangenehm findet. Deshalb müssen sich nun auch die letzten
       selbsternannten Schwerenöter dazu bequemen, wahrzunehmen, wie ihre
       „Komplimente“ wohl ankommen beim anderen Geschlecht.
       
       Und sicher ist Verführung tatsächlich ein Spiel mit Macht und Manipulation,
       und doch hat es eine Regel: Beide müssen damit einverstanden sein. Diese
       Grenze zu sehen, das ist ja gerade der Lernprozess, den einige in dieser
       Gesellschaft offenbar noch machen müssen. Warum in aller Welt sollte man
       sie wieder verwischen?
       
       Auch die These, dass in der #MeToo-Debatte das weibliche Begehren
       verleugnet würde, ist merkwürdig. „Für #metoo ist kennzeichnend, dass
       Frauen sich libidinös gesehen eine rein passive Rolle zuschreiben“, meint
       Flaßpöhler. Sie sieht auch das Strafrecht auf dem falschen Weg: „Ganz
       gewiss kann ein klares ‚Nein‘ ein stolzer Ausdruck weiblicher Autonomie
       sein. Doch wer den Satz ‚Nein heißt Nein‘ in dem Glauben äußert, in ihm
       offenbare sich die reine Lehre weiblicher Emanzipation, sollte sich darüber
       im Klaren sein, dass in Wahrheit auch das Patriarchat aus ihm spricht.“
       
       Blinde Flecken bei #MeToo
       
       Das ist eine waschechte Doppelbotschaft: Ein Nein kann Ausdruck weiblicher
       Autonomie sein. Aber zugleich spricht aus ihm das Patriarchat. Was soll man
       damit anfangen?
       
       Selbstverständlich kämpfen Frauen damit, dass ihnen die Lust historisch
       ausgetrieben wurde aus dem einfachen Grund, weil mit ihr jahrhundertelang
       das Risiko einer (unehelichen) Schwangerschaft verbunden war. Ja, es ist
       lohnend, sich mit der auf diese Art völlig verstellten weiblichen Lust und
       Potenz auseinanderzusetzen, sie zu suchen, zu finden, zu feiern. Aber doch
       nicht in einem Moment, in dem es um ein Nein zur Gewalt geht: Nein zur
       Gewalt, Ja zur Lust. Wer hat schon Lust, wenn der andere die als Einladung
       zum Übergriff versteht?
       
       Gibt es auch Stärken in dem Essay von Svenja Flaßpöhler? Ja, er weist auf
       blinde Flecken der #MeToo-Debatte hin. Auf die Pauschalanklagen, die eine
       angemessene Reaktion von Männern zumindest nicht einfach macht, wie man der
       Zeit der letzten beiden Wochen entnehmen konnte.
       
       Im allgemeinen Eifer war auch nicht mehr möglich, ein klares Bild etwa vom
       [1][Fall Gina Lisa Lohfink] zu zeichnen. Ich würde allerdings dennoch
       sagen: Lieber einmal solidarisch mit der Falschen als nie solidarisch mit
       den vielen Richtigen. Zudem ging es auch darum, dass Frau Lohfink im
       Vorfeld von vielen auch ohne nähere Kenntnis der Sachlage abgesprochen
       wurde, überhaupt vergewaltigt worden zu sein – nach dem Motto: Wer Sexfilme
       dreht, kann nicht vergewaltigt werden.
       
       Die Macht der Gebärmutter 
       
       Was nun? Flaßpöhler plädiert für eine „neue Phänomenologie der
       Weiblichkeit“: Die Frau soll aus ihrer leiblichen Erfahrung ihre eigene
       Kraft schöpfen und sich ihrer eigenen Potenz bewusst werden. Und die
       exklusive weibliche Erfahrung sei die des Gebärens. Nein, es ist kein
       rückwärtsgewandtes Plädoyer fürs Kinderkriegen als weibliche Aufgabe. Eher
       so eine Art Besinnung darauf, was Frauen alles können. Sie müssen es nicht,
       sie sollen nur Kraft aus dieser Möglichkeit, der potentia im wörtlichen
       Sinne, ziehen.
       
       Als Kronzeugin der Möglichkeiten der Frau zieht Flaßpöhler Hannah Arendt
       heran: „Die Kraft der Natalität, des Gebärens, liegt allein in ihrer Macht.
       Und zwar ganz unabhängig davon, ob sie diese Möglichkeit realisiert oder
       nicht.“ Der Frau zur ihrer Macht verhelfen will Flaßpöhler. #MeToo will das
       auch. Für unsere überholte Gegenwart scheint mir #MeToo den geeigneteren
       Weg gefunden zu haben. Denn die Gegenwart mag überholt sein, da ist sie
       aber immer noch.
       
       12 May 2018
       
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