# taz.de -- Altersfeststellung bei Flüchtlingen: Muss der Arzt prüfen?
       
       > Das Bundesverwaltungsgericht verweigert ein Grundsatzurteil. Das
       > Verhältnis zwischen Jugendamt und medizinischem Gutachten bleibt
       > ungeklärt.
       
 (IMG) Bild: Minderjährige Flüchtlinge in einer Unterkunft in Karlsruhe
       
       Leipzig taz | Muss bei der Altersfeststellung von Flüchtlingen in der Regel
       ein medizinisches Gutachten angefertigt werden? Das sollte eigentlich das
       Bundesverwaltungsgericht in Leipzig an diesem Donnerstag entscheiden. Doch
       die Richter erklärten den Fall überraschend für erledigt. Das
       Grundsatzurteil fiel also aus. Dabei zeigte der Fall deutlich die Probleme
       der Altersfeststellung auf.
       
       Konkret ging es um einen afghanischen Flüchtling, der im September 2016 in
       München von der Polizei aufgegriffen wurde. Nach eigenen Angaben war er
       damals 15 Jahre alt.
       
       Zwei Mitarbeiter des Münchener Jugendamts kamen in einem 60-minütigen
       „Altersfeststellungsgespräch“ jedoch zu einem anderen Ergebnis: Der Afghane
       sei bereits 18 Jahre alt und damit volljährig. Das Jugendamt wollte ihn
       deshalb in einer Sammelunterkunft für Erwachsene unterbringen. In einem
       Vermerk stützte das Amt seine Einschätzung unter anderem auf stark
       ausgeprägte Koteletten, stark ausgeprägte Behaarung der Unterarme und
       Hände, eine tiefe Stimme sowie einen starken, festen und vollen Bartwuchs
       an Oberlippe und Kinn. Hinzu komme ein selbstbewusstes und reifes Auftreten
       sowie ein dominantes und forderndes Verhalten.
       
       Der Afghane klagte gegen die Einstufung als volljährig und bot eine
       ärztliche Untersuchung an. Aufgrund einer Eilentscheidung des Münchener
       Verwaltungsgericht wurde er dann doch vorläufig vom Jugendamt in „Obhut“
       genommen und wie ein Jugendlicher behandelt.
       
       Dreistufiges Verfahren zur Altersfeststellung 
       
       Gesetzlich ist seit November 2015 ein dreistufiges Verfahren zur
       Altersfeststellung vorgesehen (Paragraf 42f Sozialgesetzbuch VIII).
       Zunächst sind der Ausweis oder andere Dokumente zu prüfen. Wenn der
       Flüchtling keine Papiere vorlegen kann, ist sein Alter in einer
       „qualifizierten Inaugenscheinnahme“ festzustellen. Wenn dann noch Zweifel
       bleiben, soll eine ärztliche Untersuchung vorgenommen werden. Dabei wird
       die Entwicklung der Zähne begutachtet und – wenn der Betroffene zustimmt –
       Hand- und Schlüsselbein geröntgt. Untersuchungen der Genitalien sind nicht
       zugelassen.
       
       Im April 2017 entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH), dass
       die vom Münchener Jugendamt angeführten Indizien für die Volljährigkeit des
       Afghanen im konkreten Fall „keinerlei Aussagekraft“ hätten. Alle erwähnten
       Merkmale und Verhaltensweisen könnten auch bei einem reifen Minderjährigen
       vorliegen. Wenn das Jugendamt ein Alter bis 23 Jahren schätze, liege stets
       ein „Zweifelsfall“ vor, so der VGH. Die Methoden seien schließlich ungenau,
       so dass zwischen 18 und 20 Jahren ein „Graubereich“ bestehe. Hinzu komme
       noch ein „Sicherheitszuschlag“ von zwei bis drei Jahren.
       
       Die Stadt München ging gegen diese Linie in Revision. Laut Gesetz sei die
       ärztliche Untersuchung der Ausnahmefall, der VGH mache sie jedoch zur
       Regel. Damit werde das Altersfeststellungsgespräch des Jugendamts faktisch
       überflüssig. Tatsächlich geben andere Obergerichte den Feststellungen des
       Jugendamts mehr Gewicht.
       
       Ärztliche Untersuchung kann Chancen bringen 
       
       Das Interesse der Flüchtlinge in dieser Streitfrage hängt ganz davon ab, zu
       welchem Ergebnis das Jugendamt kommt. Wenn es Minderjährigkeit annimmt,
       soll diese nicht durch eine zusätzliche medizinische Prüfung in Frage
       gestellt werden. Wenn das Jugendamt aber Volljährigkeit feststellt, dann
       bringt die ärztliche Untersuchung für den Flüchtling eine neue Chance, auch
       weil wegen der ungenauen medizinischen Methoden große Sicherheitszuschläge
       gewährt werden und daher eher Minderjährigkeit angenommen wird.
       
       In dieser wichtigen Streitfrage gibt es nun aber keine
       Grundsatzentscheidung. Das Bundesverwaltungsgericht erklärte den
       Rechtsstreit überraschend aus prozessualen Gründen für erledigt. Der
       Afghane wird damit weiter wie ein Jugendlicher behandelt, er lebt in einer
       Einrichtung in Rosenheim.
       
       Die Stadt München will nun einen anderen Fall durch die Instanzen bringen,
       um die Notwendigkeit ärztlicher Gutachten bei der Altersfeststellung zu
       klären. Das könnte aber weitere zwei Jahre dauern. Möglicherweise wird
       vorher auch der Gesetzgeber aktiv. Im Koalitionsvertrag heißt es, dass die
       Altersfeststellung künftig bereits in den neuen Anker-Zentren durchgeführt
       werden soll. Neben dem Jugendamt soll auch das Bundesamt für Flüchtlinge
       beteiligt werden. Zur Bedeutung ärztlicher Prüfungen sagt der
       Koalitionsvertrag nichts.
       
       26 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
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