# taz.de -- Deutsche NGO in Russland verboten: Die Unerwünschten
       
       > Bei der Präsidentschaftswahl in Russland hat EPDE Beobachter unterstützt.
       > Jetzt wurden sie verboten – mit fragwürdigen Methoden.
       
 (IMG) Bild: Im Visier des Kreml: EPDE-Leiterin Stefanie Schiffer
       
       Berlin taz | Bei einem Abendessen im März erfährt Stefanie Schiffer, dass
       ihre Organisation ab sofort in Russland verboten ist. Ein neben ihr
       sitzender Bekannter wischt auf seinem Smartphone herum, da sieht er die
       Meldung. „Ihr steht auf der Liste unerwünschter ausländischer
       Organisationen des Justizministeriums“, sagt der Mann. Und: „Willkommen im
       Klub.“ Er ist der Vizechef einer NGO, die [1][schon im Jahr zuvor verboten
       worden ist].
       
       Es ist der 13. März, in fünf Tagen wählt Russland einen neuen Präsidenten.
       Es wird erwartungsgemäß der alte: Wladimir Putin. Für die Regierung in
       Moskau ist es wichtig, dass die Wahlen einigermaßen legitim aussehen. Dabei
       stören unabhängige Wahlbeobachter, die auch dieses Mal Unregelmäßigkeiten
       finden. Die Organisation von Stefanie Schiffer heißt European Platform for
       Democratic Elections, kurz EPDE. In Russland arbeitet sie mit einheimischen
       Wahlbeobachtern zusammen und macht deren Ergebnisse auch im Westen bekannt.
       EPDE ist die erste deutsche Organisation, die auf der Liste der
       unerwünschten ausländischen Organisationen steht.
       
       Schiffer und ihr Bekannter treffen sich an jenem Abend auf einer Tagung des
       Zentrums Liberale Moderne im Berliner Bezirk Mitte, an den Tischen um sie
       herum sitzen Menschen, die das Regime von Wladimir Putin kritisieren. Die
       MacherInnen des Think Tanks sehen in der russischen Regierung einen Gegner
       von liberalen Werten und Demokratie. Aber das Verbot überrascht die meisten
       dann doch, weil es ein offener Affront gegenüber der deutschen Regierung
       ist.
       
       Schiffers Organisation hat zwei wichtige Geldgeber, die EU und das
       Auswärtige Amt. Normalerweise betont die Regierung in Moskau die
       Dialogbereitschaft mit Berlin. Dass EPDE auf der Liste geführt werde, werfe
       „ein äußerst kritisches Licht auf die internationale Verpflichtung der
       russischen Regierung, die Wahlen frei und fair zu gestalten“, [2][schrieb
       die beim Auswärtigen Amt angesiedelte Menschenrechtsbeauftragte Bärbel
       Kofler] einen Tag nach dem Verbot in einer Mitteilung für die Medien.
       
       Außerdem sei es „ein besorgniserregendes Signal für die deutsch-russischen
       bilateralen Beziehungen.“ Aus dem Außenamt ist zu hören, man setze sich
       weiterhin dafür ein, dass die Organisation wieder ihrer Arbeit nachgehen
       könne und stehe deshalb in Kontakt mit der russischen Seite.
       
       Dass Schiffer von einem Bekannten erfährt, dass ihre Organisation in
       Russland nicht mehr erwünscht ist, [3][liegt am russischen Recht]. Wer auf
       der Liste auftaucht, muss nicht benachrichtigt werden.
       
       ## Brandgefährlich für russische Putin-Kritiker
       
       Dafür schicken die russischen Behörden am 15. März dem Netzanbieter eine
       Nachricht, bei dem die Internetseite von Schiffers Organisation läuft. In
       einer Mail teilt die Internetaufsicht Roskomnadsor auf Englisch und
       Russisch mit, die Seite von EPDE sei gesperrt und zwar so lange, bis die
       „Appelle zu Massengewalt und extremistischen Aktivitäten“ entfernt würden.
       Welche Inhalte der Internetseite die Mitarbeiter von Roskomnadsor genau
       meinen, ist aus dem Schreiben nicht ersichtlich, laut Auskunft des
       Netzanbieters handelt es sich um eine oft verwendete Standardmail.
       
       Das Verbot bedeutet für die EPDE-MitarbeiterInnen, dass ihnen die Einreise
       nach Russland verwehrt werden kann und sie nicht mehr Mitglieder von
       Institutionen oder Nichtregierungsorganisationen werden können. Hart sind
       die möglichen Folgen für all jene, die weiterhin mit EPDE zusammenarbeiten
       würden: hohe Geldbußen, mehrjährige Gefängnisstrafen.
       
       „Das ist der Versuch, ein Gewebe an Beziehungen und Kontakten zu
       zerschneiden, das über die Jahre gewachsen ist“, sagt Stefanie Schiffer. Es
       ist inzwischen April, sie sitzt in ihrem Büro, das in einem hellen
       Hinterhof in Berlin-Kreuzberg liegt. Sie spricht in kurzen, präzisen Sätzen
       und antwortet nur auf das, was sie gefragt wird.
       
       Die Philologin und Historikerin ist 52 Jahre alt, sie engagierte sich
       bereits in den 90er Jahren im deutsch-russischen Austausch. Diese Zeit nach
       dem Zusammenbruch der Sowjetunion gilt vielen in Russland als chaotisch und
       gesetzlos, die Lebensumstände vieler Menschen wurden immer härter, während
       einige wenige Männer unvorstellbar reich wurden. Aber es war auch die Zeit,
       in der die sowjetischen Archive geöffnet wurden und eine russische
       Zivilgesellschaft entstand, mit der eine Zusammenarbeit möglich war. Der
       Optimismus aus dieser Zeit ist Schiffer noch heute anzumerken.
       
       Glaubt sie, dass ihre Organisation nicht das eigentliche Ziel ist, sondern
       ihre russischen Partner? „Das Ziel ist die Zerstörung von Netzwerken“, sagt
       Schiffer.„Wir haben keine Konten in Russland und kein Büro, wir machen
       keine Veranstaltungen dort“, sagt sie. „Wir machen nur die Arbeit der
       Wahlbeobachter bekannt.“ Russen, die sich abseits eines der Regierung
       genehmen Meinungskorridors engagieren, sollten international isoliert
       werden. Jeder, der mit Organisationen aus dem Ausland zusammenarbeitet,
       müsse fürchten, als Krimineller zu gelten.
       
       ## Gebrandmarkter Kooperationspartner in Russland
       
       In Berlin sitzt das Sekretariat von EPDE, am Tag des Gesprächs mit Schiffer
       arbeiten hier sechs Männer und Frauen. 14 eigenständige Organisationen in
       postsowjetischen Staaten wie Moldawien und Georgien sind Mitglied bei EPDE.
       
       In Russland arbeitet EPDE mit Golos zusammen, auf Deutsch „Stimme“. Golos
       wird vom russischen Staat hart angegangen. Sie war die erste Organisation,
       die in Russland ein Bußgeld zahlen musste, weil sie sich nicht als
       „ausländischer Agent“ registrieren lassen wollte. Das müssen seit 2012 alle
       NGOs, die finanziell aus dem Ausland unterstützt werden. Inzwischen haben
       die AktivistInnen aus der Organisation ein Netzwerk von Einzelpersonen
       gemacht, Golos bezeichnet sich jetzt als Bewegung. Im April versendet EPDE
       einen Newsletter. Darin heißt es, die Arbeit mit Golos sei eingefroren.
       
       Das so etwas auf Stefanie Schiffer zukommen würde, hätte man vielleicht
       kommen sehen können – und zwar im russischen Fernsehen.
       
       Zwei Tage bevor EPDE auf der Liste des Justizministeriums landete, strahlt
       der Privatsender ren.tv einen Beitrag aus, der offenbar nachweisen soll,
       dass Golos der verlängerte Arm ausländischer Mächte ist. „Alle diese
       Organisationen arbeiten in Russland durch Golos“, sagt der Sprecher. Eine
       dieser so angesprochenen Organisationen ist EPDE. Ihre Unterstützer, die
       man auch einfach auf deren Homepage finden könnte, werden in einem Mix aus
       Diagrammen und Dollarzeichen zu Unterstützern zweifelhafter Machenschaften.
       Ren.tv gehört dem Oligarchen Juri Kowaltschuk, der als Vertrauter des
       russischen Präsidenten gilt. Er darf seit 2014 nicht in die Europäische
       Union einreisen und nicht mehr auf seine Konten in der EU zugreifen.
       
       ## Propaganda mittels heimlich gemachter Filmszenen
       
       Am 16. März legt der drittgrößte Fernsehsender Russlands NTW nach, der seit
       2011 Gazprom-Media gehört, einer Tochtergesellschaft des russischen
       Energiekonzerns. Ein Sprecher redet erregt davon, wie offen und dreist
       Golos-MitarbeiterInnen in der Vergangenheit über die Finanzierung ihrer
       Gruppe gesprochen hätten. Beide Beiträge nehmen vor allem zwei Frauen ins
       Visier: Stefanie Schiffer und Lilija Schibanowa, die ehemalige Direktorin
       von Golos. Beide kennen und schätzen sich.
       
       Die Sender veröffentlichen mitgeschnittene Telefonate der beiden, außerdem
       heimlich gemachte Videoaufnahmen.
       
       An einem Nachmittag Mitte Juni 2017 sitzen Stefanie Schiffer und Lilija
       Schibanowa in einem Café in der Moskauer Innenstadt. Während sie
       miteinander reden, setzen sich ein Mann und eine Frau an den Nebentisch.
       Das Paar fällt den beiden Frauen schnell auf, weil sie nichts bestellen und
       dafür auffällig mit ihren Mobiltelefonen herumspielen. Schiffer weiß den
       Zeitpunkt noch so genau, weil sie ihre Tagesabläufe in schwarze
       Terminkalender festhält. Lilija Schibanowa mailt, sie könne sich daran
       erinnern, wie Schiffer damals gescherzt habe, die auffälligen Tischnachbarn
       könnten sich doch zur Tarnung wenigstens einen Tee bestellen.
       
       Die heimlich gemachten Filmaufnahmen im Café sind [4][Teil des
       NTW-Beitrags] im März, ebenso eine Aufnahme als sich die beiden im Juni
       2017 nahe des Gorki-Parks in Moskau treffen. Diese wackeligen Kamerabilder
       könnten die Sender selbst in Auftrag gegeben haben. Wozu ihnen jedoch die
       Mittel fehlen sollten, ist das Abhören von Telefonaten. Wer war es dann?
       
       Stefanie Schiffer sagt, sie wolle über solche Fragen nicht spekulieren. Für
       Lilija Schibanowa ist dagegen klar, wer sie abgehört hat: „Das kann nur der
       russische Geheimdienst FSB gewesen sein“, schreibt sie per Mail. Sie finde
       es seltsam, dass gerade diese Gespräche mitgeschnitten worden seien, die
       sie über eine litauische SIM-Karte geführt habe. Sie schreibt: „Mir ist es
       unverständlich wie das möglich ist, ohne schon den litauischen Provider
       abzuhören.“
       
       Nach russischer Verfassung, Artikel 23 und laut [5][mindestens zwei]
       [6][anderen Gesetzen], die die Vertraulichkeit der Kommunikation regeln
       sollen, ist das Veröffentlichen heimlicher Telefonmitschnitte in Russland
       illegal.
       
       „Der Staat hat eine Schutzpflicht zu verhindern, dass verfassungswidrig
       verdeckt aufgenommene Gespräche durch Medienunternehmen veröffentlicht
       werden“, sagt Caroline von Gall, eine auf osteuropäische Rechtssysteme
       spezialisierte Juristin, die im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für
       Osteuropakunde sitzt. Sie sagt auch: „Der Staat müsste dagegen vorgehen.“
       
       ## EPDE erwägt eine Klage – aber wie?
       
       Wenn man das Thema mit russischen Journalisten besprechen möchte, lachen
       die nur. „Der Staat ermittelt in solchen Fällen meistens nicht“, schreibt
       Alexey Schabunin per Facebook-Messenger. Shabunin hat in Kaliningrad für
       verschiedene Medien gearbeitet. Nachdem er über einen korrupten Polizisten
       berichtete, schlug ihm 2009 ein Mann mit einer Eisenstange auf den Kopf.
       Wenn der Staat nicht ermittle, dann bleibe nur ein Zivilprozess, schreibt
       Schabunin. „Und dann muss der Kläger Beweise bringen, wer ihn abgehört hat,
       ohne den Urheber kann das Gericht nicht handeln.“
       
       Stefanie Schiffer überlegt dennoch in Russland zu klagen, auch wenn sie bei
       EPDE noch nicht genau wissen, wie sie das anstellen sollen. Sie sagt, sie
       würde sich Mitte Mai in Russland gerne ein Fußballspiel anschauen. Dafür
       wird sie ein Visum beantragen. Der erste Test, wie es so läuft nach dem
       Verbot.
       
       2 May 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://minjust.ru/ru/novosti/o-vklyuchenii-v-perechen-inostrannyh-i-mezhdunarodnyh-nepravitelstvennyh-organizaciy
 (DIR) [2] https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/european-platform/1785576
 (DIR) [3] http://www.consultant.ru/cons/
 (DIR) [4] http://www.ntv.ru/video/1571722/
 (DIR) [5] http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_43224/2add28425adfc0411d61abad9deab4873e7ad274/
 (DIR) [6] http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/cad87fb351934e731be49cb6ee1b17de00c25d46/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Schulz
 (DIR) Viktoria Morasch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) NGO
 (DIR) Russland
 (DIR) Wladimir Putin
 (DIR) Georgien
 (DIR) Russland
 (DIR) Wladimir Putin
 (DIR) politische Gefangene
 (DIR) Russland
 (DIR) politische Gefangene
 (DIR) Russland Heute
 (DIR) Wladimir Putin
 (DIR) Russland
 (DIR) Wahlmanipulation
 (DIR) Wladimir Putin
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Buchmesse-Gastland Georgien: Die Zukunft liegt im Westen
       
       Der Historiker Timothy Snyder beschreibt den russischen Einfluss auf
       postsowjetische Länder. Georgiens Aufbruch lässt sich in der Literatur
       ablesen.
       
 (DIR) Menschenrechte unter Wladimir Putin: Geschacher im Gulag
       
       In Russland zahlen die Familien von Häftlingen dafür, dass die
       Gefängniswärter ihre Verwandten am Leben lassen. Und sie weniger foltern.
       
 (DIR) Verbotene deutsche NGO: Wie gefährdet man Russland?
       
       Die russische Generalstaatsanwaltschaft bestätigt: Die deutsche
       Organisation EPDE ist unerwünscht. Was die genauen Gründe dafür sind, sagt
       sie nicht.
       
 (DIR) Kommentar Oleg Senzow im Hungerstreik: Zynisches Dilemma
       
       Lässt die russische Regierung zu, dass sich Oleg Senzow zu Tode hungert?
       Eigentlich will sie bei der Fussball-WM ihr Image polieren.
       
 (DIR) Staatliche Repression in Russland: Gefangen im System
       
       Russische Beamte leugnen es, aber Aktivisten behaupten, gefoltert worden zu
       sein. Immer mehr von ihnen fliehen nach Finnland. Eine Begegnung.
       
 (DIR) Regisseur Oleg Senzow im Hungerstreik: Der Unnachgiebige
       
       Der in Russland inhaftierte ukrainische Regisseur Oleg Senzow verweigert
       seit 14 Tagen die Nahrungsaufnahme. Er fordert, Gefangene freizulassen.
       
 (DIR) Nach Telegram-Sperrung in Russland: 20 Festnahmen bei Demonstration
       
       Bei den jüngsten Protesten für ein „freies Internet“ kam es in Moskau zu
       zahlreichen Festnahmen. Unter den Demonstranten waren offenbar auch
       Nationalisten.
       
 (DIR) Deutsche NGO in Russland verboten: Schlag gegen Wahlbeobachter
       
       Die verbotene EPDE muss ihre Kooperation mit russischen Wahlbeobachtern
       einstellen. Unterstützung kommt von der Bundesregierung.
       
 (DIR) Präsidentschaftswahl in Russland: Putins größter Sieg
       
       Der russische Präsident ist mit über 76 Prozent im Amt bestätigt. Stimmen
       für Gegenkandidaten bleiben im einstelligen Bereich.
       
 (DIR) Wahlbeobachter über Russland: „Putin hat keine Konkurrenz“
       
       Andrei Busin meint, dass Putin gar keine Wahlfälschung nötig hat. Seine
       Konkurrenten sind entweder unerfahren, farblos oder eigentlich Verbündete.
       
 (DIR) Präsidentschaftswahl in Russland: Der den Stolz zurückgebracht hat
       
       Am Sonntag wird in Russland gewählt. Der alte wird der neue Präsident
       werden. Wie es Putin gelingt, seine Untertanen hinter sich zu scharen