# taz.de -- Europas Antifeministisches Netzwerk: Geheim und radikal
       
       > Verbindungen bis in Vatikan und EU: Ultrakonservative von „Agenda Europe“
       > wollen Homo-Ehe, Abtreibung, Scheidung und Verhütung abschaffen.
       
 (IMG) Bild: Agenda Europe ist ein Lobby-Netzwerk, das auch enge Verbindungen zum Vatikan pflegt
       
       Das barocke Jagdschloss Fürstenried, im grünen Südwesten Münchens gelegen,
       dient dem Bistum München und Freising als Exerzitienhaus. 2014 trafen sich
       dort in geheimer Runde bis zu 150 Mitglieder eines Netzwerks, das
       generalstabsmäßig an einem europaweiten Rollback sexueller und
       reproduktiver Rechte arbeitet: Agenda Europe.
       
       Agenda Europe ist ein professionelles Lobby-Netzwerk, das enge Verbindungen
       zum Vatikan pflegt und Konservative, TraditionalistInnen und ChristInnen in
       ganz Europa eint: Da ist zum Beispiel die österreichische
       Lebensschutz-Aktivistin und Parlamentsabgeordnete Gudrun Kugler. Da ist der
       EU-Kommissionsbeamte Jakob Cornides, der sich öffentlich gegen den
       „Gleichheitswahn“ ausspricht. Oder Anti-LGBTI-AktivistInnen verschiedener
       Länder wie die Französin und Homo-Hasserin Ludovine de La Rochère.
       
       100 bis 150 Einzelpersonen aus mindestens 50 konservativen europäischen
       Organisationen, so heißt es in einem kürzlich veröffentlichten Bericht des
       Europäischen Parlamentarischen Forums für Bevölkerung und Entwicklung
       (EPF), gehörten Agenda Europe an. Das Netzwerk, schreibt darin
       EPF-Geschäftsführer Neil Datta, sei „reaktionär und expansiv“. Er warnt:
       Sollten deren Mitglieder ihre Ziele erreichen, würden sie jahrzehntelange
       Fortschritte sexueller und reproduktiver Rechte zunichtemachen.
       
       So gehe es laut Manifest der Bewegung vor allem darum, ein „Naturrecht“
       wiederherzustellen, das durch die sexuelle Revolution in Ungleichgewicht
       gebracht worden sei. Die habe dazu geführt, „dass der sexuelle Akt von
       seinem primären Zweck“ getrennt worden sei – der Fortpflanzung. Nun sollen
       in den Bereichen Ehe und Familie, Antidiskriminierung und dem sogenannten
       Lebensschutz in allen Ländern der Europäischen Union emanzipatorische
       Gesetze blockiert oder kassiert werden.
       
       Der 45 Seiten lange EPF-Bericht, der die Strukturen, Ziele und Strategien
       des bisher geheim arbeitenden Netzwerks Agenda Europe recherchiert hat und
       nun an die Öffentlichkeit bringt, zeigt, wie deren ultrakonservatives
       Weltbild beschaffen ist: Die Ehe zwischen Mann und Frau ist demnach keine
       Option unter vielen, Familie zu sein, sondern die einzige. Homosexualität
       ist Sodomie. Verhütung untergräbt die Würde des Sexualakts und der Ehe.
       Scheidung ist unmoralisch. Und Schwangerschaftsabbrüche sollen unter
       Androhung von Sanktionen verboten werden – auch wenn beim Austragen Risiken
       für die Gesundheit der Mutter bestehen.
       
       Das Beunruhigende: Neben dem schnellen und professionellen Aufbau des
       europaweiten Lobby-Netzwerks und mehr als einem Dutzend politischer
       Initiativen in den einzelnen Ländern erzielte die Bewegung bereits konkrete
       politische Erfolge – vor allem in Ländern, in denen der Kampf um
       Antidiskriminierungsrechte noch eher am Anfang steht. So trieb die
       kroatische Mitgliedsorganisation „Im Namen der Familie“ das Referendum zur
       traditionellen Ehe in Kroatien 2013 voran, Ehe gilt dort nun als Einheit
       von Mann und Frau. In Slowenien wurde 2015 ein Referendum zur Einführung
       der gleichgeschlechtlichen Ehe mithilfe des Netzwerks blockiert, schreibt
       EPF.
       
       Zwar musste das Netzwerk eine Reihe von Niederlagen bei Referenden
       einstecken: etwa in Spanien, Schweden, Polen oder Norwegen. Doch auch in
       diesen Ländern hat Agenda Europe mitunter Teilerfolge zu verzeichnen. So
       brauchen Minderjährige in Spanien jetzt die Zustimmung der Eltern, wenn sie
       einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen wollen. In Polen erwägt die
       Regierung, Abbrüche in bestimmten Fällen zu erschweren.
       
       ## Erzkonservatives Weltbild
       
       Die Strategien des Netzwerks werden in einem 134-seitigen Manifest namens
       „An Agenda for Europe – Restoring the natural order“ beschrieben, das der
       taz vorliegt. Es offenbart ein erzkonservatives Weltbild und legt
       detailreiche Strategien vor, mit denen LebensschützerInnen & Co ihre Ziele
       erreichen sollen: Der Gegner soll schlecht gemacht werden – also die
       LGBTI-Bewegung, UnterstützerInnern der Sterbehilfe, radikale FeministInnen
       und AtheistInnen. Urteile von Institutionen wie dem Europäischen
       Menschenrechtsgerichtshof sollen öffentlich kritisiert, pauschale Vorwürfe
       wie Mangel an Transparenz gemacht werden. ChristInnen sollen als verfolgt
       dargestellt werden. Und die Argumentation der Gegner solle umgedreht
       werden: Agenda Europe kämpfe für das „Recht“ des Vaters, die Abtreibung
       seiner Kinder zu verhindern, das „Recht“ der Eltern, ihre Kinder selbst zu
       erziehen, und das „Recht“ der Kinder, in Schulen korrekte Informationen zu
       beziehen und nicht etwa „Propaganda zu Sodomie“.
       
       Laut EPF-Bericht fing das alles 2013 an. Da tauchte zuerst ein anonymer
       Blog in hetzerischem Duktus auf, der bis heute bestehe, allerdings nicht
       mehr öffentlich einsehbar ist. Er habe keine sonderlich große Reichweite,
       sei aber gut informiert, was etwa Brüsseler Politik angehe, und diene als
       kontinuierliche Info-Plattform für Agenda Europe. Im selben Jahr, so Datta,
       hätten sich erste US-amerikanische und europäische Campaigner
       zusammengetan, um die Bewegung ins Leben zu rufen.
       
       Eine zentrale Rolle spielte dabei offenbar die österreichische
       Lebensschutz-Aktivistin Gudrun Kugler. Kugler ist Theologin, Juristin und
       Politikerin der konservativen ÖVP, seit Oktober 2017 ist sie Mitglied des
       österreichischen Parlaments. Sie habe dafür votiert, einen paneuropäischen
       Thinktank zu entwickeln, der christliche Werte spiegeln solle, so EPF.
       Daraus sei die Struktur des Netzwerks entstanden.
       
       ## Netzwerk sieht „enges Zeitfenster“
       
       Heute sind seine Mitglieder nicht nur Anti-LGBTI-AktivistInnen, sondern
       sitzen im Vatikan, in verschiedenen europäischen Regierungen, im
       EU-Parlament und der EU-Kommission. Sie sollen umsetzen, was das Manifest
       vorschreibt: Gesetze, die gleichgeschlechtliche Partnerschaften rechtlich
       der Ehe annähern, sollen widerrufen werden, außerdem alle Gesetze, die
       schwullesbischen Paaren die Adoption ermöglichen. Die Ehe soll steuerlich
       stärker bevorteilt, bestehende Antidiskriminierungsgesetze wieder
       abgeschafft werden. Ein Verbot von Verhütungsmitteln und
       Schwangerschaftsabbrüchen steht generell an, geht es nach dem Netzwerk,
       außerdem die Einführung von Anti-Sodomie-Gesetzen.
       
       Agenda Europe, schreibt Datta, sei das derzeit wichtigste Netzwerk gegen
       sexuelle und reproduktive Rechte, das in Europa aktiv ist. Und es macht
       Druck: „Wir haben ein enges Zeitfenster von zehn bis zwanzig Jahren“, heißt
       es in deren Manifest. Werde das nicht genutzt, sei es gut möglich, dass
       sich die westliche Gesellschaft selbst zerstöre, weil sie einer „perversen
       Ideologie“ anhänge: emanzipatorischen Ideen sowie dem Ziel sexueller und
       reproduktiver Rechte für alle Menschen.
       
       25 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Patricia Hecht
       
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