# taz.de -- Kulturwissenschaftler über Heimatlieder: „Das Problem sind die Texte“
       
       > Der Sänger Heino schenkte der Heimatministerin von NRW eine Platte mit
       > Liedern, die auch die SS einst sang. Ein Skandal?
       
 (IMG) Bild: Erst nahm die nordrhein-westfälische Heimatministerin Ina Scharrenbach (CDU) Heinos Geschenk gern an. Dann distanzierte sie sich wieder
       
       taz: Herr Fischer, als Sie von dem Heino-Geschenk hörten, was ging da in
       Ihnen vor? 
       
       Michael Fischer: Das fand ich sofort spannend – dass das überhaupt eine
       Nachricht ist. Es handelt sich um eine über 30 Jahre alte Platte mit
       sogenannten Vaterlandsliedern. Viele stammen aus dem 19. Jahrhundert,
       einige tauchten später im Liederbuch der SS auf. Ehrlich gesagt, war ich
       von der allgemeinen Aufregung überrascht.
       
       Warum? Halten Sie es nicht für bemerkenswert, solche Lieder zu verbreiten,
       als politisches „Gastgeschenk“? 
       
       Ich finde die Empörung nicht sehr hilfreich. Das Skandalöse ist aus meiner
       Sicht der militaristische und chauvinistische Charakter der Liedtexte.
       Können wir diese alten und überholten Werte noch teilen? Meine klare
       Antwort: Nein. Es ist aber zu kurz gegriffen, wenn wir uns hier nur auf die
       NS-Zeit fokussieren. Blättert man das SS-Liederbuch durch, sind auch
       sozusagen harmlose Lieder enthalten, wie „Kein schöner Land“. Wie soll man
       damit umgehen? Verbieten? Als Wissenschaftler sage ich: Wenn man so an die
       Sache herangeht, ist was mit der Hermeneutik falsch, da kommt man nicht
       weiter.
       
       Aber die Nazis haben solche Volkslieder nun mal besonders geschickt
       genutzt. Heute tönt es ähnlich aus dem AfD-Pegida-Lager. Auch das erklärt
       wohl die Aufregung. 
       
       Zunächst eine Bitte: Sprechen Sie nicht von „Volksliedern“, besser nur von
       Liedern. Der Begriff „Volkslied“ weckt falsche Vorstellungen. Es handelt
       sich um ein Konstrukt aus dem Bürgertum des 19. Jahrhunderts, diese Idee
       wurde von der Elite vorangetrieben. Man wollte, dass die Nichtbürgerlichen
       und weniger Gebildeten diese Lieder singen und damit auch den nationalen
       Gedanken stärken.
       
       Welche Lieder sind für Sie im Hinblick auf die NS-Vergangenheit
       problematisch? 
       
       Es gibt dezidiert nationalsozialistische Lieder, die klar die Ideologie
       transportieren sollen, etwa das Horst-Wessel-Lied. Ein solches Stück ist
       auf der umstrittenen Platte, die Heino überreicht hat, nicht enthalten. Zum
       Zweiten gibt es patriotische, nationalistische Lieder, etwa mit Texten aus
       den sogenannten Befreiungskriegen, die problematisch sind, weil sie
       nationalistische und militaristische Werte propagieren, die überholt sind
       und nicht mehr zu uns passen. Und es gibt, als dritte Kategorie, auch
       scheinbar unideologische Lieder, etwa „Die hohe Nacht der klaren Sterne“,
       die in der NS-Zeit beliebt waren.
       
       Was ist daran heute problematisch? 
       
       Da greift der „Schock der Wirkungsgeschichte“, wie der
       Literaturwissenschaftler Hermann Kurzke es einmal formulierte.
       
       Das bedeutet? 
       
       Ein Lied an sich kann sozusagen unschuldig sein, was seine Entstehung und
       Intention betrifft. Aber es kann in einen spezifischen Moment missbraucht
       werden – dann verliert es gewissermaßen seine Unschuld. Dann hat man heute
       zu Recht keine Lust mehr, es zu singen. Oder, noch schärfer formuliert: Es
       ist ethisch nicht in Ordnung, dieses alte Lied noch einmal zu aktivieren,
       beispielsweise es mit einem Chor aufzuführen oder neu zu vertonen.
       
       Sie haben zuletzt das Liederbuch der Bundeswehr kritisiert. Die Fassung von
       1991 enthielt ebenfalls Stücke, die in der NS-Zeit gesungen wurden. 
       
       Beim Liederbuch der Bundeswehr sprechen wir vor einer amtlichen
       Herausgeberschaft, von einer staatlichen Institution, für die strenge
       Maßstäbe gelten müssen, die universellen Menschenrechte, das deutsche
       Grundgesetz. Und die ethische Werte des Humanismus, der Aufklärung oder des
       Christentums. Wenn militaristische, rassistische oder sexistische Inhalte
       von dieser Seite ausgegeben werden, muss man sagen: Das geht so nicht. Das
       Liederbuch von 1991 ist auch lebensfern.
       
       Inwiefern? 
       
       Jetzt, da wir längst Soldatinnen bei der Bundeswehr haben, können wir den
       jungen Leuten nicht Texte vorsetzen, die die Frau als Verehrerin des
       heldenhaften Soldaten darstellen, die treu zu Hause auf ihn wartet. Das ist
       fern des Alltags, diese Welt existiert so nicht mehr und das müssen wir
       nicht betrauern. Das Ministerium hat das Streitkräfteamt jetzt angewiesen,
       ein neues Liederbuch zu entwickeln.
       
       Die Stimmen, die nationale Inhalte wieder aktualisieren wollen, mehren sich
       jetzt wieder. Glauben Sie, dass Heino solche Lieder arglos verschenkt oder
       singt? 
       
       Ich weiß nicht, ob „Arglosigkeit“ hier das richtige Wort ist. Aber ich
       würde sagen: Wollte Heino sich zu politischen Debatten äußern, hätte er
       andere Möglichkeiten, auch in medialer Hinsicht. Ich halte die Geste mit
       der Platte eher für eine Ungeschicklichkeit von jemandem, der als
       „Heimatsänger“ etabliert ist und plötzlich im sogenannten Heimatministerium
       einen Termin hat. Dass Heino ein bestimmtes, konservatives Milieu bedient,
       ist nicht neu. Er ist aber in erster Linie ein Unterhaltungskünstler, kein
       Intellektueller, kein Politiker.
       
       Otto Waalkes griff den Heino-Hit „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ 1985 in
       „Otto der Film“ auf. Er verballhornte damit Michael Jacksons Hit
       „Thriller“. Heute würde das nicht mehr durchgehen, es gälte als
       rassistisch. Wie klingt der Diskurs um sogenannte Political Corrrectness in
       Ihren Ohren? 
       
       Unsere Gesellschaft verändert sich. Das halte ich für eine sehr gute
       Nachricht. Es gibt neue Toleranzen – und andere Sensibilitäten als vor 30,
       40 oder 70 Jahren. Ein oft gehörter Begriff ist die Tradition. Aber
       Tradition an sich ist noch kein Wert. Wenn ich als Argument anführe „Das
       haben wir früher auch so gemacht“, setzt dies die Wertediskussion außer
       Kraft. Aber die Wertediskussion ist es, die eine Gesellschaft am Leben
       hält. Sie ist auch ein Grundpfeiler der Demokratie.
       
       In der Literatur und der Kunst wird diskutiert, wie mit strittigen Werken
       umzugehen ist. Abhängen oder überstreichen, wie jüngst bei Eugen Gomringers
       „Avenidas“-Gedicht? Das N-Wort aus alten Texten heraus redigieren – oder
       nicht? 
       
       Es gibt keine Patentlösung. [1][Der Streit um das „Avenidas“-Gedicht] ist
       einer dieser Grenzfälle, die diskursiv behandelt werden müssen. Das ist
       erfreulicherweise ja auch geschehen! Und die meisten finden die öffentliche
       Debatte auch gut. Aber es gibt Teile der Gesellschaft, die mit dem, was oft
       „political correctness“ genannt wird, Schwierigkeiten haben und sich
       bevormundet fühlen. Was ich wichtig finde: Allein deshalb sind sie nicht
       gleich Nazis. Da muss man genau hinsehen. Und aufklärerisch wirken, statt
       zu emotionalisieren. Das fand ich jetzt bei Heino fast schon etwas unfair.
       
       Unfair von wem? 
       
       Von den Medien. Wie das hochgekocht wurde: „Heino – SS-Lieder – Nazi.“
       Dabei handelt es sich um gar keine SS-Lieder. So bleibt aber durch die
       verkürzte Berichterstattung doch der Nazi-Vorwurf hängen. Das ist kein
       redlicher, kein kritischer Journalismus. Sondern Munition für diejenigen,
       die den Medien mangelnde Glaubwürdigkeit vorwerfen. Wenn Dinge
       emotionalisiert und skandalisiert werden, verabschiedet man sich von der
       Rationalität und von einem kritischen Diskurs. Und knickt damit vor dem
       Populismus ein.
       
       Populismus und Pop: Jüngere, sehr erfolgreiche Formationen wie Freiwild
       oder Rammstein spielen aggressiv mit dem „Heimat“-Begriff oder kokettieren
       mit der „schwarzen Sonne“, einem SS-Symbol. Da werden mit Optik, Sound und
       Text ganze Botschaftswolken in die Charts gesendet. 
       
       Freiwild sehe ich ähnlich kritisch. Offiziell distanzieren sie sich von
       rechtsextremen Kontexten. Aber man merkt, dass sie dort ihre Fangemeinde
       haben. Man kennt diese Masche aus der Politik: Man stellt eine Provokation
       in den Raum, dann kommt die Erregungswelle, die Aufmerksamkeit – und
       hinterher sagt man, ich hab's gar nicht so gemeint. Aber das kann man
       offenlegen. Man sollte es eben bloß nicht skandalisieren, sondern erklären.
       
       Bräuchte es gegen den neuen Nationalismus allerorten ein neues Kampflied,
       eine globale Hymne im Sinne der „Internationale“? 
       
       Die weltweite Musikkultur ist vielleicht schon die neue „Internationale“ –
       eine Vielstimmigkeit, statt eine verbindliche Hymne. Früher konnten sich
       nur die Eliten so etwas leisten den Zugriff auf so viele Ideen und Bezüge.
       Wir sind die erste Generation, der das alles zur Verfügung steht. Das ist
       ein großer Reichtum, diese Chance gab es vorher nicht, ich finde das toll.
       
       27 Mar 2018
       
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