# taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Nullnummer mit Nulltarif
       
       > Die Regierung tut so, als plane sie kostenlose Busse und Bahnen. Und alle
       > flippen aus. Vom Totalschaden der Verkehrspolitik redet niemand.
       
 (IMG) Bild: Ohne Ticket den Bus nehmen und dabei nicht schwarzfahren – schön wär´s
       
       Am Ersten jeden Monats immer die gleiche hektische Suche. Es ist halb acht
       morgens, alle sind ohnehin zu spät und schlafen noch halb, aber für den
       Schulweg suchen die Kinder nach der neuen Monatsmarke. „Wo war noch der
       Ordner mit den Fahrkarten …?“, Hektik, Panik, Aufregung, dann losrennen, um
       den letzten Bus noch zu bekommen. Von alldem will uns nun eine mögliche
       neue Regierung erlösen, damit wir in diesem Land gut und gerne leben. Sie
       will Busse und Bahnen einfach kostenlos machen. So steht es zumindest in
       einem Satz in einem Brief, den Deutschland nach Brüssel geschickt hat.
       
       Selten so gelacht.
       
       Als das Schreiben bekannt wurde, war Karneval gerade vorbei. Aber im
       Kanzleramt, dem Verkehrs- und Umweltministerium, die den Brief geschickt
       haben, muss es Lachkrämpfe mit Schenkelklopfen gegeben haben. Denn selten
       ist es einer Bundesregierung gelungen, ihr Volk so hinter die Fichte und
       vor den Auspuff zu führen. Und wir alle, alle, alle haben ausführlich über
       den Vorschlag debattiert: den öffentlichen Nahverkehr in Deutschland
       kostenlos zu machen, um den Autoverkehr zu drosseln und die Luft zu
       verbessern.
       
       Nur: Die Regierung hat diesen Vorschlag gar nicht gemacht. Sie hat
       gegenüber der EU-Kommission bloß angekündigt, sie wolle in fünf Städten
       zusammen mit Ländern und Kommunen „in Betracht ziehen“, den öffentlichen
       Personennahverkehr kostenlos zu betreiben. Und los ging das Rauschen im
       Blätterwald, alle Zeitungen und Sender berichteten, Verkehrsexperten und
       Verbände lobten und kritisierten, jeder meldete sich zu Wort.
       
       ## Kein Plan, kein Geld, keine Kompetenz. Nur mal so´ne Idee
       
       Kaum einer erwähnte, dass diese Idee von drei Ministern kommt, die nur die
       Geschäfte führen und bald nicht mehr im Amt sind. Von einer Regierung, die
       gerade keinen Mucks zu dem Thema in ihren Koalitionsvertrag geschrieben
       hat. Die keinen Anlass sieht, die 24 Milliarden Euro für Tickets und neue
       Busse und Bahnen aufzubringen, die flächendeckender Nulltarif kosten würde.
       Die keine Anstalten macht, die Stadtplanung so radikal zu verändern, wie es
       dafür nötig wäre.
       
       Ganz egal. Das Thema wurde diskutiert, als sei es real und nicht nur
       irgendwas zwischen Zünd- und Nebelkerze. Aus Sicht der Regierung ein
       genialer Coup: der Öffentlichkeit (nicht: dem öffentlichen Nahverkehr)
       einen Knochen hinzuwerfen, um den sich alle balgen, während zwei Schritte
       weiter das Buffet aufgebaut wird. Niemand redet darüber, dass die
       Verkehrspolitik der letzten Jahre ein Totalschaden ist, dass sie weder für
       die Digitalisierung noch den Klimaschutz fit ist noch der Autoindustrie
       eine Zukunftsperspektive bietet. Nein, alle reden davon, dass Schwarzfahren
       unmöglich würde.
       
       Die Bundesregierung lernt: Ein kleiner Satz kann alles ändern. Es lohnt
       sich, mal eben so eine Idee in die Welt zu blasen, auch wenn null Konzept
       hinter dem Nulltarif steht. Schon vergessen wir die wahren Probleme und
       drehen uns so lange im Kreis, bis uns so schwindelig ist, dass wir das
       amtliche Schwindeln nicht mehr wahrnehmen. Das wird Schule machen.
       
       Die Regierung könnte in einem Brief an die EU-Kommission zum Beispiel
       einstreuen, sie wolle mal eben so den Nahostkonflikt lösen. Oder die
       Einführung eines weltweiten Grundeinkommens für alle untersuchen. Oder die
       Atomwaffen abschaffen. Das Welthandelssystem gerecht gestalten. Den
       Klimawandel rückgängig machen. Dem Tesla-Chef Elon Musk bei der Besiedlung
       des Mars helfen. Oder zur Flüchtlingspolitik in guter alter Tradition
       erklären: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“
       
       16 Feb 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Verkehr
 (DIR) Schwarz-rote Koalition
 (DIR) Öffentlicher Nahverkehr
 (DIR) Verkehrswende
 (DIR) Emissionen
 (DIR) BVG
 (DIR) Luftverschmutzung
 (DIR) Barbara Hendricks
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Öffentlicher Verkehr in Luxemburg: Freies Fahren mit Bus und Bahn
       
       Als erstes Land führt der Kleinstaat 2020 kostenlosen Nahverkehr ein. In
       einigen Städten Europas wurde Ähnliches versucht.
       
 (DIR) VCD-Chef über Nulltarif im Nahverkehr: „Die Idee klingt verlockend“
       
       So einfach geht es nicht, sagt Phillip Kosok vom Verkehrsclub VCD. Die
       Städte brauchen Geld vom Bund, um Überfüllung in Bussen und Bahnen zu
       vermeiden.
       
 (DIR) Kommentar kostenloser Nahverkehr: Eine systemsprengende Idee
       
       Der Vorstoß der amtierenden Minister kann den Weg für eine echte
       Verkehrswende bereiten. Es fehlt nur noch die Finanzierung und der Wille
       der Regierung.
       
 (DIR) Kostenloser Nahverkehr: Freie Bahnen für freie Bürger
       
       Der Vorschlag der Bundesregierung klingt nach einer Revolution für den
       öffentlichen Nahverkehr. Die Umsetzung wäre teuer, aber machbar.
       
 (DIR) Regierung erwägt kostenlosen ÖPNV: Freier Verkehr, befreite Luft?
       
       Die Bundesregierung überlegt, ob sie mit kostenlosem Nahverkehr die
       Luftqualität verbessern könnte. Wer das bezahlen soll, ist offen.