# taz.de -- Junge Unternehmer im Gazastreifen: Wo Grenzen nichts zählen
       
       > Im abgeriegelten Gazastreifen versuchen junge Unternehmer, im Internet
       > Geld zu verdienen. Das geht auch ohne Geschäftsreisen.
       
 (IMG) Bild: Jungen Leuten bleibt in Gaza-Stadt nur der Raum ohne physische Grenzen: das Internet
       
       Gaza-Stadt taz | Eigentlich wollte Nuwar Abu-Awwad an diesem Feiertag gar
       nicht ins Büro kommen. „Ein bisschen Zeit mit der Familie verbringen, gut
       essen und einfach mal entspannen, so hatte ich mir eigentlich den Tag
       vorgestellt“, sagt die 22-jährige Jungunternehmerin. Nur eine kurze Mail
       wollte sie versenden, doch dann fiel der Strom aus – wie jeden Tag.
       
       Die schlechte Energieversorgung ist nur eines der vielen Hindernisse, mit
       denen Start-ups im Gazastreifen zu kämpfen haben. Der Küstenstreifen wird
       von Israel mit Mauern und Zäunen weitgehend abgeriegelt, seit die
       islamistische Hamas 2007 dort die Macht übernahm und von dort regelmäßig
       Raketen nach Israel schießt. Ein geregelter Warenaustausch ist kaum
       möglich, eine Ausreisegenehmigung über Israel ist schwer zu bekommen.
       Deshalb bleibt jungen Leuten mit guten Ideen nur der Raum, in dem physische
       Grenzen nicht zählen – das Internet.
       
       Und so macht Nuwar Abu-Awwad sich an diesem Morgen auf den Weg zu Gaza Sky
       Geeks (GSG), dem einzigen Start-up-Hub in Gaza. Dank eigenem
       Dieselgenerator gibt es 24 Stunden am Tag Strom und Internet. Deshalb kann
       Abu-Awwad hier auch ihre Mail schreiben. Auf 600 Quadratmetern versuchen im
       Zentrum von Gaza-Stadt Onlineunternehmer ihre Geschäftsideen zu
       verwirklichen. Jungs mit Kapuzenpullis sitzen an Laptops und halten
       Meetings in verglasten Konferenzräumen ab. Die Atmosphäre erinnert eher an
       hippe Bürogemeinschaften in Berlin-Kreuzberg – und weniger an einen
       abgeriegelten Ort, dessen Bewohner wegen Wasser-, Strom- und
       Nahrungsmittelknappheit täglich ums Überleben kämpfen.
       
       Doch es sind nicht nur junge Männer, die hier ihre Businesspläne
       verwirklichen. Trotz des islamisch konservativen Mainstreams im
       Gazastreifen gibt es ebenso viele weibliche Geeks (Englisch für
       Außenseiter). Tashbeak heißt das Miniunternehmen mit sieben
       Mitarbeiterinnen, das Nuwar Abu-Awwad im September 2016 gegründet hat und
       das in den GSG-Räumen seinen Sitz hat. In neun arabischen Ländern, von
       Ägypten bis in die Emirate, vermittelt Tashpeak Unternehmensberater an
       Start-ups. „Das Geschäft läuft fabelhaft, und wir haben bereits
       Risikokapital aus Jordanien einwerben können“, sagt Abu-Awwad. Erst vor
       wenigen Monaten hat sie ihren Abschluss in Wirtschaftswissenschaft an der
       Islamischen Universität Gaza gemacht.
       
       ## „Unsere Klienten können Gaza nicht verlassen“
       
       Dennoch klingen ihre in perfektem Englisch vorgetragenen Analysen, als wäre
       sie schon seit Jahren im Geschäft. „Sky Geeks hilft uns dabei, unsere Ideen
       zu verwirklichen“, sagt Abu-Awwad. Ein wichtiges Signal für junge Leute in
       Gaza, wo die Jugendarbeitslosigkeit bei mehr als 60 Prozent liegt. Selbst
       Akademiker finden kaum einen Job. Auch deshalb fällt es den Islamisten der
       Hamas leicht, Jugendliche zu radikalisieren.
       
       Dem will Gaza Sky Geeks entgegenwirken. Mit Weiterbildungen für
       Programmierer und Beratungen für Selbstständige will das von Google und der
       Hilfsorganisation Mercy Corps finanzierte Programm seit 2011 „den IT-Sektor
       in Gaza entwickeln“, wie GSG-Direktor Ryan Sturgill sagt. „Es gibt hier
       gute Voraussetzungen. 1.500 junge Leute machen jedes Jahr einen
       Informatik-Abschluss.“ Als Softwareentwickler könne man bis zu 1.000 Dollar
       im Monat verdienen – ein fürstliches Einkommen im verarmten Gazastreifen,
       wo der Durchschnittslohn laut UN-Angaben 2014 nur 174 Dollar betrug.
       
       Doch die Freiheit, die Nachwuchsunternehmer sich erkämpft haben, endet
       spätestens an den Grenzübergängen zu Israel und Ägypten. „Unsere Klienten
       können Gaza nicht verlassen, um zum Beispiel an einem Entwicklerwettbewerb
       teilzunehmen oder sich mit Kunden zu treffen. Eine Ausreisegenehmigung über
       Israel zu bekommen ist in den vergangenen Jahren sehr schwer geworden“,
       sagt Sturgill.
       
       ## Nur einen Mausklick entfernt
       
       Das Gefühl des Eingesperrtseins kennt jeder, der in Gaza lebt. Und es
       belastet nicht nur die Psyche, sondern auch das Geschäft. Nuwar Abu-Awwad
       hat die Blockade nach eigenen Angaben schon Zehntausende Dollar gekostet.
       Zwei Investoren aus den Emiraten hätten vor Kurzem Interesse an Tashbeak
       gezeigt, berichtet die Unternehmerin. „Es ging um ein Investment von 70.000
       Dollar. Doch die Herren wollten mich persönlich kennenlernen.“ Also
       versuchte Abu-Awwad kurzfristig ein Ausreisevisum zu beantragen – und
       scheiterte.
       
       [1][Seit Donald Trump Anfang Dezember ankündigte, die US-Botschaft nach
       Jerusalem zu verlegen], schossen Hamas und andere islamistische Gruppen
       wieder vermehrt Raketen nach Israel, am Grenzzaun von Gaza zu Israel kam es
       zu Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und der israelischen Armee.
       Dass sich unter diesen Bedingungen die Ausreise für die Geeks aus Gaza
       künftig leichter gestalten wird, ist unwahrscheinlich. „Nichts wird sich an
       der Grenze zu Israel ändern“, fürchtet Nuwar Abu-Awwad.
       
       Für die Zukunft von Tashbeak hat sie mehr Hoffnung. Vor allem in Bahrain
       und Dubai will das Unternehmen expandieren. Orte, die für Nuwar Abu-Awwad
       trotz der Mauern und Zäune um Gaza nur einen Mausklick entfernt sind.
       
       HINWEIS: Diese Reportage entstand im Rahmen einer Recherchereise, die von
       der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen organisiert wurde
       
       18 Feb 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /USA-will-Botschaft-in-Israel-verlegen/!5467579
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jörg Wimalasena
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Israel
 (DIR) Konzerne
 (DIR) Donald Trump
 (DIR) Gaza
 (DIR) Gaza
 (DIR) Google
 (DIR) USA
 (DIR) Israel
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Jerusalem
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Alltag im Gazastreifen: Zwischen Hammer und Amboss
       
       In Gaza drohen die Lichter auszugehen. Israel und Ägypten verschärfen die
       Krise. Auch der Machtkampf in den eigenen Reihen trägt dazu bei.
       
 (DIR) Ökonom über EU-Haushaltsgipfel: „Die EU muss Google & Co besteuern“
       
       Die EU verhandelt über ihren neuen Haushalt. Ökonom David Rinaldi fordert
       eigene Einnahmen durch Steuern auf die Gewinne von Google oder Amazon.
       
 (DIR) US-Vizepräsident Pence in Israel: Umzug der Botschaft bis Ende 2019
       
       Mike Pence bekräftigt, dass ganz Jerusalem die Hauptstadt Israels sei.
       Gastgeber Netanjahu ist entzückt – im Gegensatz zu vielen anderen.
       
 (DIR) Kolumne Liebeserklärung: Donald Trump macht mal was richtig
       
       Die US-Botschaft soll nach Jerusalem verlegt werden. Das ist der
       konsequenteste Schritt, den die Nahostpolitik in den letzten 15 Jahren
       gesehen hat.
       
 (DIR) Nach Trumps Jerusalem-Erklärung: Empörung und Unruhen in Palästina
       
       Nach dem Alleingang des US-Präsidenten ruft die Hamas zum Aufstand auf. Bei
       Angriffen auf israelische Soldaten wurden zahlreiche Palästinenser
       verletzt.
       
 (DIR) USA will Botschaft in Israel verlegen: Ab nach Jerusalem
       
       US-Präsident Trump kündigt an, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen.
       Palästinenserpräsident Abbas spricht von gefährlichen Konsequenzen.