# taz.de -- Society-Expertin über Promis und #metoo: „Das ist wie eine Initialzündung“
       
       > Immer wieder werden Stars zur Projektionsfläche für den Umgang mit
       > Diskriminierung und sexueller Gewalt. Society-Expertin Vanessa Blumhagen
       > erklärt, warum.
       
 (IMG) Bild: „Im Vergleich zu England ist die Promi-Berichterstattung hierzulande noch sehr zahm“ – Gina-Lisa Lohfink im Amtsgericht Berlin-Tiergarten
       
       taz: Frau Blumhagen, Stichworte Weinstein, Spacey, Kinski, Polanski: Warum
       diskutieren wir lieber über den Sexismus Prominenter als über unseren
       eigenen? 
       
       Vanessa Blumhagen: Klar, solche Probleme kennt der ein oder andere leider
       auch aus dem eigenen Leben. Aber uns wird von klein auf beigebracht, dass
       man das besser nicht nach außen trägt, lieber schweigt: „Das gehört sich
       nicht.“ Dann kommt ein Prominenter, einer, den jeder kennt und den man
       vielleicht sogar selbst schon lange verehrt, und erzählt das Gleiche, was
       einem selbst widerfahren ist. Plötzlich hat man das Gefühl: Hey, es ist
       total okay, darüber zu sprechen. Man traut sich.
       
       Das ist wie eine Initialzündung, nach der man viel befreiter diskutieren
       kann. Das hat auch meine Kollegin Marlene Lufen erlebt: Nach dem Urteil
       gegen Gina-Lisa Lohfink hat sie auf Facebook einen Text darüber gepostet,
       wie sie mit 19 fast von einem Fotografen vergewaltigt wurde. Sehr viele
       Frauen haben ihr geschrieben, wie dankbar sie ihr dafür waren.
       
       Ist es denn sinnvoll, vor allem über wenige konkrete Fälle zu diskutieren
       und nicht über die strukturellen Probleme? Es steht Aussage gegen Aussage
       und Opfer werden fast automatisch der Lüge beschuldigt. 
       
       Nun ja, so ist das, wenn zwei Menschen zusammen in einem geschlossenen Raum
       sind. Da ist es schwierig, über Fakten zu reden. Was wirklich geschehen
       ist, wissen nur die beiden. Und jeder hat seine eigene Realität. Auf einer
       generellen Ebene ist das ähnlich. Das Schwierige an der ganzen Sache ist ja
       die Frage: Wo fängt sexuelle Belästigung für jeden Einzelnen an? Welches
       Verhalten ist in Ordnung, welches nicht? Da wird es immer wieder
       Situationen der Unsicherheit geben. Ich glaube, uns ist da ganz grundlegend
       eine zwischenmenschliche Ebene, so ein Gefühl füreinander, verloren
       gegangen.
       
       Zu diesem Empathieverlust tragen Sie mit Ihrer Scheinwelt aus Promi- und
       VIP-News doch bei. 
       
       Das sehe ich anders. Ich berichte darüber, was unser Publikum interessiert.
       Das machen Sie als Tageszeitung ganz genauso. Das ist nun mal mein Job: Ich
       will niemanden in die Pfanne hauen oder mich auf irgendeine Seite stellen,
       sondern erklären, wieso es so gekommen ist. Ich will die Hintergründe
       zeigen. Die Verrohung, die ich meine, stammt eher von Ballerspielen und der
       ständigen Nacktbilderflut von YouPorn und Co. Für uns ist es heute
       selbstverständlich, andauernd nackte Frauen zu sehen. Es gibt kaum eine
       Schamgrenze mehr. Jeder hat medial und im Internet immer Zugang zu allem
       Möglichen, wie Sex und Gewalt.
       
       Aber die sieht man auch bei Ihnen. Wäre es nicht besser, neutral über
       Alltagsprobleme zu reden, ohne Skandalisierung, Hass und Glorifizierung? 
       
       Am allerbesten wäre es natürlich, wenn man offen über Stigmata sprechen
       könnte. Anders als in den USA wird man aber zum Beispiel in Deutschland
       immer noch schief angeguckt, wenn man sagt, dass man zu einem Psychologen
       geht. Und das im Jahr 2017!
       
       Natürlich geht es manchmal zu sehr um Einzelheiten. Wenn viele sich darüber
       aufregen, was denn 1986 ein 14-Jähriger bei einer Party von Kevin Spacey
       verloren habe, dann muss man denen sagen: Darum geht es doch gar nicht. Es
       geht darum, dass der damals 26-jährige Kevin Spacey diesen Jungen sexuell
       bedrängt hat. Aber diese Reaktionen gibt es immer, das Ausweichen auf
       Nebenkriegsschauplätze. Eben weil das Thema so unangenehm ist. Darum ist es
       ja so wichtig, dass es diese Diskussion gibt.
       
       „Stars und Sternchen“ stehen unter minutiöser Beobachtung. Paparazzi wühlen
       im Müll und enthüllen Dinge, die man selbst im engsten Bekanntenkreis nicht
       besprechen würde. Da ist es doch ein Unterschied, ob es um Hans Schmidt
       geht oder um Harvey Weinstein. 
       
       Im Vergleich zu England ist die Promi-Berichterstattung hierzulande noch
       sehr zahm – in Deutschland wird man schnell von Promis niedergeklagt, es
       hagelt einstweilige Verfügungen. Außerdem: Beim Dorfklatsch geht es
       mitunter viel unerbittlicher zu! Zumindest habe ich das so erlebt …
       
       Ist es moralische Selbstbefriedigung, über berühmte Täter und Opfer zu
       twittern? 
       
       Das Prinzip gibt es doch schon ewig: am Gartenzaun tratschen. Das ist eben
       der Versuch, wegzukommen von seinem eigenen, traurigen Leben und sich am
       Schicksal anderer zu berauschen. Oder man nimmt sie sich zum Vorbild und
       träumt sich an ihre Stelle. Das ist lange wissenschaftlich bewiesen und nur
       allzu menschlich.
       
       Der Promi-Kult führt zu einer enormen Polarisierung. Das sah man letztes
       Jahr im Trennungsepos der bei „Deutschland sucht den Superstar“ bekannt
       gewordenen Sänger Sarah und Pietro Lombardi (siehe Spalte). Beide
       Fangruppen hassten sich bis aufs Blut. 
       
       Gut, die beiden waren auch eine spezielle Konstellation: beide sehr jung,
       aus dem Nichts berühmt geworden und dann ab ins Haifischbecken der
       öffentlichen Aufmerksamkeit. In den meisten Fällen können Stars ja
       irgendetwas: singen, tanzen, schauspielern. Sarah und Pietro Lombardi sind
       dagegen vor allem berühmt geworden, weil sie die Öffentlichkeit an ihrem
       Berühmtwerden teilhaben ließen – in den sozialen Netzwerken, auf RTL2.
       
       Das ist eine völlig neue Medienwelt, in der man nichts mehr so richtig
       können muss. Sie bringt Prominente hervor, die den Zuschauern sehr nah
       sind: Das könnte der beste Freund, die beste Freundin sein. Die Trennung
       war dementsprechend wie eine, die im direkten Freundeskreis passiert. Und
       da schlägt man sich auch ganz automatisch auf die Seite des- oder
       derjenigen die einem am nächsten steht. Daher kam der ganze Hass.
       
       Gab es Trash-Promis nicht schon immer? Paris Hilton ist immerhin Ende
       dreißig. 
       
       Ja, aber es wird schlimmer. Das Niveau fällt, die Distanz nimmt ab. Ganz
       ehrlich: Das finde ich wirklich erschreckend… Ich finde Promis toll, die
       was können. Es wäre zu einfach, jetzt auf die neuen Instagram-Influencer
       einzuprügeln. [1][Caro Daur] beispielsweise hat mehr als eine Million
       Follower, und das ganz ohne Management. Die macht alles alleine. Aber dafür
       werden die Fotos eben auch stundenlang bearbeitet, damit sie oberflächlich
       gut aussehen.
       
       Das führt natürlich auch dazu, dass wir Problemthemen gerne verdrängen. Es
       geht nur noch um Äußerlichkeiten, gefakte Fotos und Klicks von wildfremden
       Menschen. Nach außen hin muss alles gut aussehen. Wenn diese Influencer
       dann erst mal Mitte dreißig sind, interessiert sich wahrscheinlich niemand
       mehr für sie.
       
       Wird Ihnen nicht langweilig? Immer dasselbe: Kinder, Ehen, Scheidungen,
       Krisen, Affären, Skandale, Geschichten, Tanten, Mütter, Onkels, Krebs und
       Tod … 
       
       Ich mag das Leben. Man darf ja nie vergessen: Es stecken Menschen hinter
       all diesen Geschichten. Echte Schicksale! Manchmal treffe ich
       Hollywood-Stars und denke, das könnte meine beste Freundin sein. Wenn Boris
       Becker gerne heiratet, soll er das gerne tun. Wenn hingegen selbst im
       Showgeschäft Leute noch Angst haben, sich als homosexuell zu outen – ich
       kenne einige –, dann finde ich das wahnsinnig traurig. Und wenn wir dann
       mal wie nach dem Coming-out Thomas Hitzlspergers zwei Wochen über
       Homophobie diskutieren, ändert das auch nichts daran, dass sich kein
       aktiver Fußballer outen mag.
       
       Aber bei #metoo habe ich schon das Gefühl, dass sich was bewegt hat. Das
       höre ich in vielen Gesprächen: „So etwas, das kann man sich heute aber
       nicht mehr erlauben.“ Da hat der ganze Klatsch und Tratsch doch auch mal
       was Gutes, finden Sie nicht?
       
       31 Dec 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.instagram.com/carodaur/?hl=de
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Adrian Schulz
       
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