# taz.de -- Transnationales Korruptionsnetz: Der Kronzeuge, vor dem sich die AKP fürchtet
       
       > Reza Zarrab gesteht vor US-Gericht, einen türkischen Minister bestochen
       > zu haben, um Sanktionen gegen den Iran zu umgehen. Auch der Erdoğan-Clan
       > muss mit Korruptionsvorwürfen rechnen.
       
 (IMG) Bild: Wen die Nachtigall stört: Zarrabs Geständnisse könnten die türkische Regierung in Bedrängnis bringen
       
       Ein umstrittenes Verfahren gegen einen Goldhändler, der die US-Sanktionen
       gegen den Iran vorsätzlich und unterstützt von politischen Partnern in der
       Türkei umgangen haben soll, markiert ein neues historisches Tief der
       ohnehin belasteten Beziehungen zwischen den Regierungen in Ankara und
       Washington.
       
       Reza Zarrab, der sowohl die iranische als auch die türkische
       Staatsangehörigkeit besitzt, ist zusammen mit acht weiteren Beschuldigten
       in den USA angeklagt. Darunter ist auch Zafer Çağlayan, der für die AKP
       Wirtschaftsminister in der türkischen Regierung war. Ihnen wird
       vorgeworfen, unter Verletzung internationaler Sanktionen Handel mit der
       iranischen Regierung im Umfang von mehreren Hundert Millionen US-Dollar
       vermittelt zu haben.
       
       Der Prozess gegen Zarrab und Mehmet Hakan Atilla, der frühere
       stellvertretende Vorstandsvorsitzende der in türkischem Staatsbesitz
       befindlichen Halkbank, begann am Mittwoch vor dem Distriktgericht Manhattan
       Süd.
       
       ## Illegales Transaktionsnetzwerk
       
       Zarrab war im März 2016 während eines Familienurlaubs in Disney World
       festgenommen worden, Atilla im März dieses Jahres am JFK Airport in New
       York. Zarrab plädierte am 26. Oktober auf schuldig, wie aus einem
       Gerichtsdokument hervorgeht, das am 29. November 2017 veröffentlicht wurde.
       Die Staatsanwälte konzentrieren sich nun auf den Angeklagten Mehmet Hakan
       Atilla, ehemaliger Vizedirektor der staatlichen türkischen Halkbank. Atilla
       soll maßgeblich an der Architektur des illegalen, internationalen
       Transaktionsnetzwerks beteiligt gewesen sein, das von China und
       Turkmenistan bis in die Vereinigten Arabischen Emirate, Kanada und andere
       Länder reicht.
       
       Die Verteidigung Atillas dagegen bemüht sich mit allen Mitteln, den
       türkisch-iranischen Geschäftsmann Zarrab in Verruf zu bringen. So
       bezeichnete Victor Rocco, Verteidiger von Atilla, den Goldhändler Zarrab
       als Meister von Lügen und Bestechung: „Für Zarrab ist Bestechung eine
       Lebensart, eine nie zu enden wollende Geschichte,“ sagte Rocco und bezog
       sich auf ein mutmaßliches Zitat Zarrabs in einem Telefongespräch: „Alle
       haben ihren Preis“.
       
       Zarrab erklärte sich bereit, zu kooperieren und als Zeuge gegen Atilla
       auszusagen. In seiner ersten Aussage vor Gericht gestand er, den ehemaligen
       türkischen Wirtschaftsminister Zafer Çağlayan zwischen März 2012 und März
       2013 mit Beträgen von 45 bis 50 Millionen Euro, sowie 7 und 4,5 Millionen
       türkische Lira bestochen zu haben.
       
       ## Ex-Wirtschaftsminister angeklagt
       
       Zafer Çağlayan hat bislang nicht öffentlich zu der Anklage Stellung
       genommen. Ihm wird vorgeworfen, für Gewinne aus falschen
       Warendeklarationen, die er als Wirtschaftsminister ausfertigte, „mehrere 10
       Millionen Dollar als Bestechung in Bargeld und Schmuck“ empfangen zu haben.
       
       Die diplomatischen Beschwerden der Regierung in Ankara konzentrieren sich
       darauf, dass die USA alte Vorwürfe einer Korruptionsuntersuchung aus dem
       Jahr 2013 aufwärmen würden. Die damaligen Untersuchungen in der Türkei
       setzten die damalige Regierung unter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan
       unter Druck. Im Dezember 2013 waren mehr als 50 Personen mit Verbindungen
       zur Regierung im Zuge der Ermittlungen inhaftiert worden. Auch Reza Zarrab,
       damals Vorstandsvorsitzender der Halkbank, aber auch Verwandte mehrerer
       Minister fanden sich unter dem Vorwurf der Bestechlichkeit und Korruption
       hinter Gittern wieder.
       
       Obwohl Erdoğan selbst nicht Ziel der Ermittlungen war, wurden mutmaßliche
       Gespräche mit seinem Sohn verbreitet, die eine Verbindung mit illegalen
       Geldschiebereien implizierten. Erdoğan stellte sein Kabinett um und wies
       die Entlassung von 300 Ermittlern gegen das organisierte Verbrechen an. Die
       Untersuchung wurde unmittelbar darauf eingestellt.
       
       ## Vorwurf des erneuten Putschversuchs
       
       Die Vorwürfe seien eine Art Putsch der Judikative gegen seine Regierung
       gewesen, erklärte Erdoğan damals, just in dem Moment, da er eine starke
       Protestwelle rund um den Gezi-Park in Istanbul überlebt hatte.
       
       Die Anschuldigungen der Regierung konzentrierten sich damals auf Erdoğans
       früheren Verbündeten Fethullah Gülen, den die Regierung heute als
       Mastermind hinter dem gescheiterten Militärputsch im Juli 2016 ausgemacht
       hat. Das Verfahren gegen Reza Zarrab in den USA wird in diesem Kontext als
       weiterer Versuch gewertet, die inzwischen 15-jährige Herrschaft der AKP in
       der Türkei zu beenden.
       
       Die von den USA nun vorgelegten Beweise der Anklage betreffen den Zeitraum
       zwischen 2010 und 2015, als Tausende Gülen-Anhänger bei der türkischen
       Polizei und Justiz aufgrund von Säuberungen längst nicht mehr in der Lage
       gewesen wären, Beweise zu sichern.
       
       ## Herzensangelegenheit für Erdoğan
       
       Bekir Bozdağ, ein Sprecher der türkischen Regierung, ist in diesem Fall
       folgender Meinung: „Das ist nichts anderes als der Versuch der US-Justiz,
       den gescheiterten Justizputsch doch noch zum Erfolg zu führen. Das ist
       nicht rechtmäßig. Vergiftete Bäume tragen vergiftete Früchte. Sie führen
       eine Verhandlung auf, die auf nicht existierenden Dokumenten fußt, von
       denen sie bloß behaupten, sie hätten sie.“
       
       Präsident Erdoğan bekräftigte diese Kritik in einer Rede am 21. November
       vor AKP-Anhängern. Weil der Putsch gescheitert sei, so Erdoğan, seien die
       Putschisten „jetzt in die USA gegangen, um es dort zu versuchen“.
       
       Erdoğans großes persönliches Interesse an dem Fall des Goldhändlers gilt
       nicht nur der Aufdeckung illegaler Aktivitäten der Gülen-Organisation. Der
       Präsident brachte das Thema wiederholt auf höchster Ebene sowohl gegenüber
       der Obama-Administration als auch im Gespräch mit Donald Trump zur Sprache.
       „Obwohl ihm persönlich gar kein Verbrechen vorgeworfen wird, wäre die
       Entdeckung von Korruption peinlich für ihn, seine Familie und den engeren
       Kreis um ihn“, erläutert Amanda Sloat, die früher für das
       US-Außenministerium tätig war und jetzt Analystin beim Brookings Institute
       in Washington ist.
       
       ## Gefahr für türkische Wirtschaft
       
       Sloat führt aus: „Es wäre auch gefährlich für die türkische Wirtschaft und
       könnte der internationalen Reputation türkischer Banken schaden und
       möglicherweise zu einer Wirtschaftskrise vor den Wahlen 2019 führen.
       Während ähnliche Vorwürfe vor türkischen Gerichten 2014 niedergeschlagen
       wurden, scheint es nun unmöglich, sie vor amerikanischen Gerichten
       verschwinden zu lassen.“
       
       Da die Vorwürfe nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden können,
       versucht die türkische Regierung nun, die mit dem Fall befassten
       US-Ankläger zu diskreditieren. Preet Bharara, der frühere
       US-Generalstaatsanwalt, der die ursprüngliche Anklage gegen Zarrab in Gang
       gebracht hatte, wurde in einer medialen Schmutzkampagne als
       „Gülen-Verbündeter“ beschimpft. Inzwischen ermitteln türkische Behörden
       gegen Bharara und seinen Nachfolger Joon Kim wegen angeblicher Verbindungen
       zur „Gülen-Terrororganisation“.
       
       „Es muss wohl kaum gesagt werden, dass wir der Ansicht sind, dass diese
       Behauptungen lächerlich sind“, erklärte Kim der New York Times. „Hier wird
       ein tief gehendes Missverständnis deutlich oder auch ein mangelndes
       Verständnis dessen, wie unser Rechtssystem funktioniert und, ganz offen
       gesprochen, wie ein Rechtsstaat überhaupt arbeitet.“
       
       Als Preet Bharara im März 2017, kurz nach Bekanntwerden der Anklage gegen
       Zarrab, von Donald Trump entlassen wurde, frustrierte das die türkische
       Opposition. Für sie war Bharara ein Held mit dem Mut, genau auf die
       Vorwürfe zu schauen, die den Führer ihres Landes in Bedrängnis bringen
       konnten. Die Begeisterung ging so weit, dass die Zahl von Bhararas
       Twitter-Followern an einem Tag von 20.000 auf 110.000 anstieg – fast alle
       aus der Türkei.
       
       ## Vorwürfe der türkischen Regierung
       
       Die Washington Post berichtete später, dass Präsident Erdoğan bereits 2016
       von dem damaligen US-Vizepräsidenten Joe Biden die Entlassung des
       Staatsanwalts verlangt hatte, was Bharara in einem Interview mit dem
       US-Sender CNN bestätigte. Den Vorgang nannte er dabei „verstörend“.
       
       Auch den in dem Fall zuständigen Richter, Richard Berman, trifft die Wut
       von AKP-Anhängern und Regierungsoffiziellen. In der letzten Anhörung vor
       dem formellen Verfahrensbeginn beantwortete Berman die Kritik an der
       Anklage mit einer Aufforderung an die türkischen Behörden, aussagekräftige
       Dokumente und Zeugen zu übermitteln, „wenn sie der Verteidigung von Atilla
       und Zarrab wirklich helfen wollen“.
       
       Die Vorwürfe der türkischen Regierung an die US-Behörden und ihre Vertreter
       machen in den USA nicht viel Eindruck. „Die türkische Regierung folgt dem
       Spielplan von 2013 mit ihrem Versuch, Beweise und Anklage zu
       diskreditieren, um auf diese Weise die Vorwürfe zu delegitimieren und als
       politisch motiviert darzustellen“, beobachtet Amanda Sloat. „Das mag in der
       Türkei eine effektive politische Strategie sein, in den USA ist so etwas
       schlicht unwirksam.“
       
       ## Alle Augen auf Zarrab
       
       Alle Augen richten sich nun auf Zarrab, der sich schuldig bekannt hat und
       bereits mit den US-Behörden kooperiert. Angesichts der sehr detaillierten
       Anklage müsste er allerdings weitere Verbindungen zur türkischen Regierung
       offenbaren und genauere Beschreibungen des Systems abliefern, um für sich
       selbst eine Verkürzung seiner Haftstrafe erwirken zu können.
       
       Der Fall ist ein wenig mysteriös. Der angeklagte Zarrab ist seit September
       nicht mehr bei öffentlichen Anhörungen in Erscheinung getreten und wurde
       aus dem New Yorker Bundesgefängnis in ein anderes Gefängnis verlegt. Die
       türkische Regierung erkundigte sich deshalb in zwei diplomatischen Noten
       nach seinem Verbleib, was die US-Regierung mit dem Hinweis beantwortete,
       dass er noch immer in Haft und in guter Verfassung sei.
       
       Normalerweise muss ein Angeklagter für ein Schuldbekenntnis vor einem
       Richter erscheinen; dies kann jedoch in besonders sensiblen Fällen hinter
       verschlossenen Türen stattfinden.
       
       ## Diplomatische Belastung
       
       Daniel Richmann, Rechtsprofessor an der Columbia Law School, geht davon
       aus, dass Zarrab an einem geheimen Ort inhaftiert sein kann, jedoch mit
       Zugang zu seinen Anwälten und der Möglichkeit, sich mit Beschwerden an das
       Gericht zu wenden. „Eine andere Möglichkeit, die unter seltenen und sehr
       besonderen Umständen besteht, ist, dass er ganz aus dem Gefängnissystem
       genommen ist und sich in der Obhut des FBI befindet.“
       
       Es sei außerdem möglich, dass die Staatsanwälte, abhängig von den
       preisgegebenen Informationen, Zarrabs Verfahren aus den bisherigen
       Ermittlungen herausgelöst haben oder über neue Vorwürfe an weitere
       Personen in einem zusätzlichen Verfahren verhandeln wollen. Während sie
       sich offiziell immer noch als „traditionell Alliierte“ bezeichnen, würden
       die USA und die Türkei durch ein solches Vorgehen sicher in ein noch
       schwierigeres Verhältnis eintreten, als es ohnehin schon ist.
       
       So weigert sich Washington bislang, auf Ankaras Ansinnen, Fethullah Gülen
       auszuliefern, zu reagieren. Der mit Arbeits- und Niederlassungserlaubnis
       ausgestattete Prediger würde in der Türkei als Anführer einer
       Terrororganisation angeklagt, der vorgeworfen wird, eine demokratische
       Regierung mit militärischen Mitteln stürzen zu wollen.
       
       ## Außenpolitische Fragen
       
       Genauso umstritten in der türkischen Regierung ist Washingtons regionales
       Engagement. So unterstützen die USA syrische Kurden, die sowohl von der
       Türkei als auch von der Europäischen Union als Arm einer terroristischen
       Vereinigung angesehen werden. In diesem Kontext nahmen die türkischen
       Behörden vor mehr als einem Jahr den in der Türkei lebenden
       US-amerikanischen Pfarrer Andrew Brunson fest – unter Terrorverdacht.
       
       Das verschlechterte die Beziehungen deutlich und verstärkte in den USA den
       Eindruck einer „Politik der Geiselnahme“ durch Ankara. „Ihr habt doch auch
       einen Pfarrer“, erklärte Erdoğan mit Blick auf den gesuchten Fethullah
       Gülen. „Ihr gebt uns den, und wir klären das mit unserer Justiz und geben
       euch euren wieder.“
       
       Aus dem Englischen von Daniél Kretschmar
       
       30 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Şebnem Arsu
       
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