# taz.de -- Eingestürzte Autobahn A20: Ausdruck des Abgehängtseins
       
       > Der Wiederaufbau der A20 in Mecklenburg-Vorpommern ist ein Kampf zwischen
       > Mensch und Natur. Und gegen die Angst im Osten.
       
 (IMG) Bild: Als hätte ein Riese mit einem Hammer auf die Fahrbahn eingeschlagen
       
       Kein Auto fährt, in keiner Richtung. Auf der Fahrbahn liegt ein
       aufgeschütteter Sandberg. Ein paar hundert Meter weiter kommt das Loch.
       Zwischen Tribsees und Bad Sülze, an der Grenze von Mecklenburg zu
       Vorpommern, sieht die A20 aus, als hätte ein Riese mit einem Hammer auf die
       Fahrbahn eingeschlagen. Eine verbogene Leitplanke hängt samt Pfosten in der
       Luft. Zweieinhalb Meter tief ist die Straßendecke abgestürzt und liegt in
       große Teile zerbrochen am Hang.
       
       Wegen dieses Lochs schleichen die Autos schon seit Ende Oktober in von Lkws
       angeführten Grüppchen über Landstraßen, deren Belag sich zu den kahl
       gewordenen Alleebäumen nach unten neigt. Und fahren dann weiter, durch die
       Straßendörfer der Gemeinde Lindholz. In den Dörfern, durch die nun 24
       Stunden am Tag der Autobahnverkehr rollt, fragen sich die Leute: Wie kann
       es sein, dass eine deutsche Autobahn einfach so ins Moor abrutscht?
       
       Mitte November steht Verkehrsminister Christian Pegel in einer
       Veranstaltungshalle bei Tribsees, ein paar Kilometer von der Abbruchstelle
       entfernt. Pegel, 43 Jahre alt, groß, runde Brille, ist ein Schüler von
       Erwin Sellering, der sein Amt im Sommer wegen einer Krebserkrankung an
       Manuela Schwesig abgeben musste. Sellering war bekannt dafür, einen Draht
       zu den Menschen im Nordosten zu haben.
       
       Die Schweriner Landesregierung schickt ihre Minister zweimal im Jahr in
       alle Ecken des Flächenlandes. „Landesregierung vor Ort“ heißt das.
       Normalerweise gelten die Veranstaltungen schon mit 50 Teilnehmern als gut
       besucht. Aber heute hat die Feuerwehr Wiesenflächen zu Parkplätzen
       umgewidmet, drinnen reichen die Sitzplätze nicht aus.
       
       Dann beginnt eine zweieinhalbstündige Gruppentherapie. Erste Phase: Alles
       muss raus. Wir Bauern kommen nicht mehr zu unseren Viehweiden! Ein Kind
       wurde beim Überqueren der Straße fast überfahren! Lkws bremsen nicht ab und
       fahren auf der falschen Seite der Straße! Kann man nicht wenigstens mehr
       Schilder aufstellen? Radarfallen? Jeder Redebeitrag wird von lautem
       Klatschen supportet. Die Gemeinde steht wie eine Eins.
       
       ## Drei bis vier Jahre wird der Neubau dauern
       
       In der ersten Reihe, Mitte, sitzt der parteilose Bürgermeister von
       Lindholz, Hartmut Kolschewski, wie ihr Heerführer. 600 Einwohner hat seine
       Gemeinde, ein Drittel davon hört jetzt, wie er sagt: „Seit drei Wochen
       wohnen wir auf der Autobahn! Und das Einzige, was uns dazu gesagt wird,
       ist, dass wir das zu dulden haben!“ Besonders wütend ist er darüber, dass
       sich kein Landespolitiker in Lindholz blicken lässt. Um den Verkehr aus den
       Dörfern zu bekommen, fordert er, eine alte Straße, die zum Bau der A20
       verwendet und anschließend rückgebaut wurde, wiederzubeleben. Dummerweise
       liegt sie mitten in einem Naturschutzgebiet.
       
       Christian Pegel hört sich die Vorwürfe an, macht sich Notizen und
       antwortet, bemüht um Deeskalation. Er nennt ein paar Zahlen: Drei bis vier
       Jahre wird der Neubau dauern und einen „mittleren zweistelligen
       Millionenbetrag“ kosten. Er verstehe die Emotion, man sehe, unter welchem
       Druck die Menschen stünden, Priorität sei, den Verkehr schnell wieder aus
       dem Ort zu holen.
       
       Hier geht es darum zu zeigen, dass die Landesregierung, immerhin die, noch
       da ist. Und die Situation im Griff hat. Das Thema ist symbolträchtig. Nicht
       nur in Vorpommern, im ganzen Bundesland ist die kaputte Autobahn
       Gesprächsthema. Auf einer Raststätte bei Rostock erzählen sich die
       Mitarbeiterinnen Geschichten über Autofahrer, die orientierungslos Runden
       drehen. Denn um den Autobahnverkehr abzufangen, hat man ganze Landstraßen
       und Dörfer in Einbahnstraßen verwandelt, in deren Gewirr man sich verfahren
       kann.
       
       In Greifswald entschuldigt sich ein Apotheker für eine verspätete Lieferung
       mit einem Hinweis auf die Umleitung. Oft klingt es, als wäre die kaputte
       Autobahn eine Naturkatastrophe, die das ganze Land lahmlegt. Dabei kostet
       der Umweg nur 15 Minuten. Aber die landesweite Empörung verhält sich nicht
       proportional zum Zeitverlust.
       
       Die kaputte Autobahn funktioniert wie ein Verstärker für Konflikte, die als
       gesellschaftspolitische Unterströmungen seit über 25 Jahren im Land spürbar
       sind. Der Konflikt zwischen Mensch und Natur. Narben aus der Nachwendezeit.
       Der ausbleibende wirtschaftliche Erfolg. Und: die Kluft zwischen Vorpommern
       im Osten und Mecklenburg im Westen.
       
       ## Abbruchstelle in ockerfarbener Wildnis
       
       Von der Abbruchstelle der Autobahn aus blickt man auf die Trebel hinter
       gelbem Schilf. Die Landschaft drum herum sieht ein bisschen aus wie die
       Serengeti im Herbst. Eine große, flache, ockerfarbene Wildnis. Die Trebel
       ist der Grenzfluss zwischen Mecklenburg und Vorpommern – ausgerechnet hier
       ist die Autobahn gebrochen. Aus vorpommerscher Perspektive wirkt das wie
       eine Manifestation des Abgehängtseins.
       
       Mecklenburg hat die Landeshauptstadt Schwerin und die Großstadt Rostock,
       außerdem Hamburg und Lübeck in der Nachbarschaft. Vorpommern hat Rügen und
       Usedom, ansonsten viele sterbende Dörfer. Die große Unzufriedenheit im
       Osten konnte man an den Ergebnissen der Landtagswahl vom letzten Herbst
       ablesen: Die AfD hat in Vorpommern drei Direktmandate bekommen und in allen
       Wahlkreisen mehr als 20 Prozent der Zweitstimmen.
       
       Als Signal, dass der Ostteil des Landes nicht vergessen ist, hat die
       Schweriner Landesregierung vor einem Jahr einen „Staatssekretär für
       Vorpommern“ eingerichtet und die Stelle mit Patrick Dahlemann, einem
       aufstrebenden SPD-Mann, besetzt. Der berief als „Anwalt Vorpommerns“ kurz
       nach der Vollsperrung eine Krisensitzung mit Unternehmern aus Vorpommern
       ein.
       
       Besonders hart trifft die Sperrung die Eisengießerei Torgelow, die ihre
       Schwerlasttransporte mit Rotornaben und Turbinengehäusen für
       Windkraftanlagen auf dem Weg nach Dänemark nun über Berlin umleiten muss.
       „Für uns ist das natürlich eine Katastrophe“, sagt der Geschäftsführer.
       „Wir haben sechs bis sieben Stunden Umweg, dazu der organisatorische
       Aufwand mit Genehmigungen in den anderen Bundesländern.“
       
       Die A20 gehört zu den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit. Sie sollte den
       Städten an der Ostsee Infrastruktur nach westdeutschem Standard und
       Wettbewerbsfähigkeit bringen. Geklappt hat das nie so richtig. Die
       Industriegebiete an den Autobahnabfahrten dümpeln bis heute vor sich hin,
       die Kleinstädte dahinter haben an Einwohnern verloren. Die meisten Lkws auf
       der A20 tragen polnische Nummernschilder.
       
       Statt dass die A20 Investoren nach Osten lockte, fuhren die Menschen in die
       entgegengesetzte Richtung mit vollgepackten Autos über die neue Autobahn in
       den Westen. Vorläufig für immer. Das Ergebnis ist ein leergezogenes
       Bundesland – mit einer meist leeren Autobahn.
       
       ## Das Loch kann nicht überbrückt werden
       
       Sosehr die A20 für Verkehrsplaner und Wirtschaftsstrategen eine
       Enttäuschung ist, so sehr wird sie von den Menschen im Land geliebt.
       „Lebensader“ und „Nabelschnur in den Westen“ sind die derzeit
       meistverwendeten Bezeichnungen für die A20. Auch weil die Erinnerung an die
       Zeit vorher noch frisch ist. Damals dauerte eine Autofahrt von Stralsund
       nach Kiel über sechs Stunden. Heute sind es drei. Und auf der Autobahn,
       deren Hauptaufgabe längst ist, dem Tourismus zu dienen, steht man selbst im
       Hochsommer nur selten im Stau. Hier kommt man schnell voran! Richtig
       schnell voran!
       
       Bis jetzt. Neuerdings müssen all die Urlauber, Pendler und Lkw-Fahrer an
       Renate Urlaub vorbeifahren. Trotz der Kälte verkauft sie in weißer
       Kittelschürze aus einem Bungalow auf ihrem Grundstück in Lindholz Softeis.
       Vanille-Schoko oder Cassis-Vanille, eine große Portion für zwei Euro.
       Normalerweise nehmen Autofahrer Umwege für das Eis in Kauf. „Meine
       Stammkundschaft kommt nicht mehr. Wer fährt jetzt schon freiwillig los?
       Parken kann man auch nicht mehr“, sagt sie.
       
       Eine Seitenstraße weiter zieht eine ältere Anwohnerin mit einer Petition um
       die Häuser. „Um uns kümmert sich ja keiner. Zu DDR-Zeiten hätte das Militär
       längst eine neue Straße gebaut.“ Ihren Namen will sie nicht sagen. Nur,
       dass die Unterschriften für Tempolimits und eine Ersatzstraße an
       Verkehrsminister Christian Pegel übergeben werden sollen.
       
       Dessen wichtigster Mann ist zurzeit Ronald Normann, Abteilungsleiter
       Autobahn im Güstrower Landesamt für Straßenbau. Seit Wochen ist er der
       Manager der Umleitungen. Deshalb kriegt er jeden Tag um die 200 E-Mails,
       darunter Drohungen und Beschimpfungen. Er lässt den Baugrund aufbohren, um
       zu klären, warum der Damm über der Trebel abgesackt ist. Anfang Dezember
       dann stellt sich heraus, dass auch der Rest des Dammes nicht mehr trägt –
       das Loch kann nicht, wie gehofft hatten, durch eine Behelfsbrücke
       überbrückt werden. Also plant Normann jetzt eine Entlastungsstrecke.
       
       Die Querung des Trebeltals besteht aus einer Brücke und einem Damm. Die
       Brücke steht noch. Abgesackt ist ein Teil des Damms, den man in einem
       bisher einmalig angewendetem Verfahren auf fast 80.000 schmalen Säulen
       gegründet hatte. Bisher hat man nur einzelne kaputte Säulen unter der
       Abbruchstelle gefunden. Wie die anderen aussehen, könnte Aufschluss über
       die Gründe des Absackens geben.
       
       ## „Wer billig baut, baut oft“
       
       Normann sagt, dass immerhin die Neubrandenburger Ingenieurfirma, die den
       Baugrund untersuche, festgestellt habe, dass die Verhältnisse unter der
       Erde genau so aussähen wie in der Planung berücksichtigt. Auf Nachfrage
       stellt sich dann heraus, dass das Ingenieurbüro auch schon zu Bauzeiten die
       Landesregierung wegen der geologischen Fakten beraten hat. Ihr Interesse
       dran, Abweichungen aufzudecken, dürfte nicht sehr groß sein. Normann hebt
       entschuldigend die Achseln: „Ich habe das Büro beauftragt, weil die sehr
       gut arbeiten. Auf die kann ich mich verlassen.“
       
       Solange die Ursache nicht klar ist, blühen die Theorien. Auch Ronald
       Normann hat eine: „In den 1990er Jahren war Deutschland arm“, sagt er, „die
       Firmen haben sich gegenseitig unterboten, die kostengünstigste Lösung ist
       es geworden, und das Ergebnis sehen wir jetzt.“ Was er sagt, entspricht in
       etwa dem offiziellen Standpunkt der Landesregierung. In
       Mecklenburg-Vorpommern gibt es ein Sprichwort dazu: „Wer billig baut, baut
       oft.“
       
       In der Versammlung im Guthof bei Tribsees verliert Verkehrsminister
       Christian Pegel langsam die Geduld. Denn für die Anwohner ist klar: Das
       Moor, genauer gesagt, die Renaturierung der Trebel ist schuld! „Seit der
       Renaturierung haben wir wieder Wasser im Keller!“, sagt einer, „war doch
       klar, dass das mit der Autobahn passieren musste.“ „Vögel sind ja auch
       wichtiger als Menschen“, sagt ein anderer. Und der Vorsitzende des
       Bauernverbandes bekommt den größten Applaus, als er sagt, dass „die
       Akzeptanz in der Bevölkerung für den Naturschutz schwindet“.
       
       Ein Anwohner fordert Verkehrsminister Pegel auf, 24 Stunden am Tag
       Polizisten im Dorf zu postieren. „Gut genug werden die ja bezahlt.“ Dann
       klagt eine Mutter, dass sie nun mehr als doppelt so lange zur Kita ihres
       Sohnes braucht. „Wie soll ich jetzt noch 40 Stunden arbeiten?“ Da platzt
       Pegel der Kragen: „Das weiß ich auch nicht! Und das zu lösen ist auch nicht
       mein Job.“
       
       ## Schuld sind das Moor und das Sparen
       
       Der Regierungsstil der Mecklenburg-Vorpommern-SPD ist wohlwollend und
       paternalistisch. Als hätte man die Zutaten in Erziehungsratgebern wie
       Jan-Uwe Rogges „Kinder brauchen Grenzen“ oder Jesper Juuls „Nein aus Liebe“
       gesammelt. Nach der Empathiephase kommt jetzt: Grenzen setzen. Die
       Atmosphäre beruhigt sich wieder.
       
       Und warum ist die Autobahn nun kaputtgegangen? Gut möglich, dass es mit
       beidem zu tun hat: mit dem Moor und mit dem Sparen. Vor zehntausend Jahren
       schoben eiszeitliche Gletscher dort, wo heute die südliche Ostseeküste
       liegt, ein paar Sandhaufen zu einer Landschaft zusammen. Als die Gletscher
       schmolzen, entwickelten sich rauschende Gletscherflüsse, die in die Ostsee
       entwässerten. Einer davon war die Trebel. Und in deren Flussbett wuchs im
       Laufe der Jahrtausende das Moor. Bis zu 20 Meter ist der Moorkern hier
       mächtig.
       
       Hinter Schilf fließt die Trebel, nicht sichtbar, aber im Jahresmittel
       Richtung Ostsee. Die Flusstalmoore, das Trebeltal, das Recknitz- und das
       Peenetal sind europaweit einzigartige Landschaftsformationen, Perlen der
       Biodiversität. So etwas gibt es nur hier. Das heißt aber auch: Erfahrungen,
       wie man auf dieser Art von Moor kostengünstig und umweltschonend eine
       Autobahn baut, gab es bis vor dem Bau der A20 nicht.
       
       Um so ein Moor zu überwinden, gibt es zwei sichere, konventionelle
       Methoden. Man hätte eine Brücke bauen können. Aber das ist teuer. Oder man
       hätte das Moor ausbaggern und unten in der Tiefe neue, tragende
       Erdschichten aufbauen können. Aber das verhindert die Durchströmung.
       
       ## „Autobahnen der Tiere und Pflanzen“
       
       „Die Schlacht um die Autobahn war die Schlacht um die Flusstalmoore“, sagt
       Rainer Holz und schaut durch das Fenster seines Arbeitszimmers in
       Greifswald auf einen Apfelgarten. Es war auch seine Schlacht. Holz war in
       der Staatlichen Umweltverwaltung von Beginn an, seit 1991, bis zur
       Eröffnung des letzten Bauabschnitts 2009 an den Planungen beteiligt.
       
       Wenn man ein Gefühl dafür bekommen will, wie besonders diese erst mal
       unscheinbaren Flusstäler sind, muss man mit jemandem wie ihm sprechen. Er
       nennt die Flusstäler „Autobahnen der Tiere und Pflanzen“ und „Arterien der
       Landschaft“. Sie sind artenreich und über all die Jahrhunderte halbwegs
       wild geblieben. Deswegen standen sie im Zentrum des Kampfes um die A20.
       Aber sie wurden von Umweltschützern auch als Instrument genutzt, um für
       eine Trassenführung zu werben, bei der die A20 weiter im Inland, südlich
       des heutigen Verlaufs, gebaut worden wäre.
       
       Bei diesem vom Landesamt für Naturschutz präferierten Verlauf hätte man
       alle Flusstäler gleichzeitig bei Demmin queren können, mit geringerer
       Beeinträchtigung der Umwelt. „Wir haben lange darauf bestanden, das ganze
       Trebeltal mit einer Brücke zu queren“, sagt Holz. „Natürlich in der
       Hoffnung, doch noch Punkte für unseren Trassenverlauf zu sammeln.“
       Daraufhin hatte die Deges, die für die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit
       gegründete Planungsgesellschaft, die Idee, eine kurze Brücke mit einem
       langen Damm zu kombinieren, der durchströmt werden kann. Dieser Damm ist
       jetzt im Moor versunken.
       
       Auf der Versammlung bei Tribsees fragt eine Anwohnerin: „Ist denn dieses
       System seither noch mal woanders angewendet worden?“ Soweit er wisse, nicht
       in Europa, aber in Arabien, sagt der Minister, worauf das erste Mal an
       diesem Abend im Saal gelacht wird.
       
       ## Hätte der Minister mal ein Eis gegessen!
       
       Die Bauer AG, die für die Produktion der dünnen Säulen aus Sand und Beton
       zuständig war, hat sich mit Gründungen in schwierigen Böden einen Namen
       gemacht und bietet ihre Leistungen im Oman, in Saudi-Arabien oder in
       Indonesien an. Ein Sprecher der Firma bedauert, dass bisher der Eindruck
       entstanden sei, dass die Autobahn wegen der Arbeit der Bauer AG
       eingebrochen sei. Und betont, dass man bei dem Gesamtkonstrukt mit
       regionalen Firmen kooperiert habe. Man wisse ja noch nicht, welcher Teil
       des in dieser Form erstmals angewendeten Gesamtgründungssystems versagt
       habe. „Moorgebiete sind immer ein schwieriges Thema“, sagt der Sprecher.
       Und: „So eine Situation findet man an nicht sehr vielen Orten in der Welt“.
       
       Auch Eugen Perau, Professor für Geotechnik an der Universität
       Duisburg/Essen, fällt kein vergleichbarer, mit einer Autobahn bebauter
       Boden in Deutschland ein. Annähernd ähnlich sei es im Rheinland, wo eine
       Autobahn über die ehemaligen, zugeschütteten Braunkohlereviere geführt
       wurde. „Aber Moor ist schon noch mal ganz anders, das ist ein extrem
       weicher Boden, in dem zusätzlich chemische Prozesse wirken können. Ich
       hätte auch Bauchschmerzen gehabt, da eine Autobahn drüber zu führen.“
       
       Klar könnte auch noch eine fehlerhafte Bauausführung das Problem sein. Aber
       wahrscheinlicher ist, dass der Fehler irgendwo in diesem Kuddelmuddel aus
       schwierigem Baugrund, Kostendruck und politischen Entscheidungen über die
       Trassenführung liegt.
       
       In der Halle bei Tribsees geht der Abend langsam zu Ende. Nach dem letzten
       Wortbeitrag steht Bürgermeister Hartmut Kolschewski vorne auf der Bühne.
       Eine Landtagsabgeordnete beschwert sich bei ihm: „Ich habe mir für Sie den
       Arsch aufgerissen! Und Sie behaupten, keiner war da.“ Kolschewski räuspert
       sich und schaut zu Boden. „Sie hätten sich persönlich zeigen müssen!“. sagt
       er. „Hätte der Minister ein Eis bei uns gegessen! Das hätte Wellen
       geschlagen.“ Christian Pegel lacht. „Ich bin auch für Windkraftanlagen
       zuständig. Da müsste ich sehr viel Eis essen.“
       
       Nach dem Abend scheint das Gewitter vorbeigezogen zu sein. Pegel hat der
       Gemeinde einen neuen Radweg versprochen. Und zugesagt, dass der Verkehr zum
       nächsten Sommer wieder aus dem Dorf raus ist. Wahrscheinlich wird dafür
       doch noch die Baustraße im Naturschutzgebiet wiederbelebt.
       
       Einige Tage später klingt der Bürgermeister am Telefon versöhnlich. „Das
       halbe Jahr werden wir den Lärm noch aushalten“, sagt er, „irgendwann muss
       man das Kriegsbeil begraben.“ Der Sprecher des Tourismusverbandes Rügen
       sagt: „Da müssen die Touristen durch. Wer ans Meer will, muss mit Sturm
       rechnen.“ Sogar der Geschäftsführer der Eisengießerei Torgelow vergleicht
       den Abbruch mit dem Wetter. „Da kann man sich nicht gegen versichern, da
       muss man mit klarkommen.“ Erst mal ist wieder Ruhe in Vorpommern. Aber die
       Angst vorm Abgehängtwerden im Osten, der Ärger über den Naturschutz – das
       alles ist noch da.
       
       15 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anke Lübbert
       
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