# taz.de -- Film über Polizeigewalt in Detroit: Berauscht vom Bösen
       
       > Kathryn Bigelows Film fängt die Polizeigewalt im Jahr 1967 handwerklich
       > virtuos ein, verrennt sich aber im Studium eines sadistischen
       > Einzeltäters.
       
 (IMG) Bild: In Detroit eskalierte 1967 der Rassismus
       
       Kathryn Bigolow ist eine Meisterin des physischen, hautnahen, suggestiven
       Erzählens. Sie verfügt über eine formale Virtuosität, mit der sie ihr
       Publikum in eine Situation hineinkatapultieren kann, die die Grenzen
       zwischen Leinwand und Zuschauerraum nahezu überwindet. In ihrem neuen Film
       „Detroit“ fühlt man sich mit den Figuren in die Enge getrieben,
       buchstäblich an die Wand gestellt. Fast meint man, den Pistolenlauf des
       unablässig brüllenden Polizisten selbst im Nacken zu spüren, zuckt
       innerlich zusammen, weil man fürchtet, dass wieder seine Faust zuschlägt.
       
       Der dynamischen Kamera entgeht kein Detail: Jeder verbale und körperliche
       Übergriff wird hyperaufmerksam registriert. Konsequente Nahaufnahmen
       zeigen, dass es nicht nur die hochsommerliche Hitze ist, sondern schiere
       Angst, die den Schweiß in der Nacht vom 25. auf den 26. Juli 1967 fließen
       lässt.
       
       Kathryn Bigelow nimmt den Zuschauer mit in das Motel Algier in Detroit, das
       Polizei und Militär während der sogenannten 12th Street Riots stürmten.
       Auslöser der Proteste und Straßenschlachten war eine Polizeirazzia in einer
       Bar ohne Schankgenehmigung in einem überwiegend von Schwarzen bewohnten
       Stadtviertel. Der darauf folgende fünftägige Aufstand endete mit über 40
       Toten, 1.189 Verletzten, 7.200 Verhaftungen und 2.000 zerstörten Gebäuden.
       Die aufgeladene Stimmung jener Tage rekonstruiert „Detroit“ zu Beginn mit
       einer Mischung aus nervös geschnittenen, reportagenhaften Aufnahmen und
       Archivmaterial.
       
       Dann fallen plötzlich Schüsse im Motel Algier. Der Zuschauer weiß, dass es
       sich nur um Platzpatronen handelt, aus reinem Übermut von einem jungen
       schwarzen Mann abgefeuert. Die Polizei vermutet jedoch einen Scharfschützen
       auf dem Dach.
       
       Nachdem das Gebäude eingenommen wurde, versucht der Streifenpolizist
       Philipp Krauss (Will Poulter), Geständnisse aus den Gästen herauszuprügeln.
       Mit allen Mitteln will er den Besitzer der Pistole unter den schwarzen
       Gästen finden. Zwei junge weiße Frauen kompromittiert er mit sexistischen
       Bemerkungen. In dieser aufgeputschten, aggressiven Atmosphäre versteht ein
       Kollege einen von Krauss als Einschüchterung gemeinten Befehl falsch – und
       erschießt einen jungen schwarzen Mann.
       
       ## Politische Unschärfe
       
       Was wird hier eigentlich erzählt? Muss man die fünfzig Jahre
       zurückliegenden, erschütternden Ereignisse in Detroit in eine virtuose
       Nachinszenierung fassen, die den Zuschauer wie eine Schraubzwinge im Griff
       hält? Ein irritierendes Unwohlsein, eine Beklemmung kommt beim Zuschauen
       auf. Das Gefühl, dass die strukturelle Gewalt eines von Weißen dominierten
       Machtapparats auf einen einzelnen, mit psychopathischen Zügen gezeichneten
       Polizisten verschoben wird. Krauss wird als Freak inszeniert, als
       durchgedrehter, geradezu wahnhaft agierender Sadist. An seiner Bösartigkeit
       und seinen von Hass verzerrten Zügen scheint sich die Kamera in manchen
       Momenten schier zu berauschen. Man glaubt sich in einem Horrorfilm.
       
       Vielleicht folgt der Film auch einer hier falsch eingesetzten
       Genrekonvention, wenn er diese Polizisten-Figur in einer Anfangsszene als
       Mörder einführt: Nach einer Straßenschlacht schießt Krauss einem
       flüchtenden schwarzen Demonstranten in den Rücken, beim anschließenden
       Verhör lässt er keinerlei Unrechtsbewusstsein erkennen. Damit wird
       „Detroit“ zur Bühne für einen aus allen gesellschaftlichen Zusammenhängen
       herausgelösten, immer schon „gegebenen“, im Individuum angelegten
       Rassismus, der in der Mordnacht erneut seine tödliche Erfüllung findet.
       
       In früheren Filmen von Kathryn Bigelow finden sich ähnlich haltungslos
       erzählte Situationen. Szenen, in denen die Position der Regisseurin hinter
       der filmischen Einstellung nicht ersichtlich ist. In „Zero Dark Thirty“
       (2012) wird Waterboarding ausführlich und en détail in Szene gesetzt, die
       Folter als Mittel bei der Suche nach Osama bin Laden jedoch nicht weiter
       reflektiert oder in Frage gestellt. Ist es die traurige Deformation des
       Soldaten, die den Bombenentschärfer in „The Hurt Locker“ (2008) beim
       Einkaufen im heimischen Supermarkt den Thrill des Krieges vermissen lässt?
       Oder sehnt sich hier auch ein Film nach Action?
       
       Es mag auch Bigelows Inszenierungslust sein, die eine politische Unschärfe
       mit sich bringt, ihr Bestreben, Actionsequenzen aus allen erdenklichen
       Blickwinkeln einzukreisen. In den Motelszenen von „Detroit“ spielt sich die
       agile Kamera als allwissende Erzählerin auf, übergeht aber die Ohnmacht der
       von den Polizisten an die Wand gedrängten Schwarzen. Wann immer diese
       versuchen, den Blick nach links oder rechts zu wenden, bekommen sie einen
       Schlag in den Nacken versetzt. Der Zuschauer hingegen wird auch über die
       blutigen Ereignisse in den Nebenräumen ins Bild gesetzt. Dieser
       Wissensvorsprung und die Perspektivwechsel erzeugen eine künstliche
       Spannung, unter der das, was die Wirklichkeit sein könnte, hinwegrutscht.
       
       ## Ein Zwitterwesen der Kinolandschaft
       
       Dennoch bleib „Detroit“ wie auch „The Hurt Locker“ und „Zero Dark Thirty“
       ein merkwürdiges, provokantes und auf seine Weise beeindruckendes
       Zwitterwesen in der US-amerikanischen Kinolandschaft. Alle drei Filme
       entwickelte Bigelow zusammen mit dem Journalisten, Drehbuchautor und
       Filmproduzenten Mark Boal. Die Scripts beruhen auf ausführlichen
       investigativen Recherchen und Interviews. Im Fall von „The Hurt Locker“
       sind es Boals Reportagen aus dem Irak. Für „Detroit“ durchforstete der
       Autor Polizei- und Gerichtsakten, sprach mit Überlebenden und Augenzeugen.
       
       In Bigelows Filmen kann man dem Kino bei der Arbeit zusehen, beobachten,
       wie Realitäten in konventionellen Genreregeln ihren Widerhall finden, wie
       Fakten für eine eingängige Dramaturgie verdichtet und überformt werden.
       Immer wieder sieht man die von Jessica Chastain gespielte CIA-Agentin in
       „Zero Dark Thirty“ während langer Nächte vor dem Computer sitzen, beim
       erneuten Studium von Aufzeichnungen und Verhörprotokollen. Ihre Geduld und
       Hartnäckigkeit werden für den Zuschauer zum Faszinosum. Im Gewand eines
       Actionfilms wiederum untersucht Bigelow in „The Hurt Locker“ die
       Materialität des Irakkrieges, den Kampf von Zangen gegen Zünder, von
       US-amerikanischen Hightech-Geräten gegen selbstgebastelte Bomben.
       
       In „Detroit“ überführen Bigelow und Boal ihr Erzählmaterial in einen
       dreiaktigen Film. Mit seinen Schauplatz- und Tonlagenwechseln verhandelt er
       auch ein Stück US-amerikanischer (Rassismus-)Geschichte und Gegenwart.
       Pragmatisch und zügig läuft der Gerichtsprozess gegen die Polizisten ab,
       dessen bitterer Ausgang schon vor dem ersten Hammerschlag des weißen
       Richters zu erahnen ist.
       
       Im letzten Teil wird der Film persönlicher – dann nämlich bekommt eines der
       Opfer eine eigene Geschichte. Bei einem der Überlebenden handelt es sich um
       Larry (Algee Smith), den Sänger der Band The Dramatics. Traumatisiert von
       dem Geschehen kann er sich nicht mehr vorstellen, vor einem überwiegend
       weißen Publikum aufzutreten. Bei einer Plattenaufnahme versagt seine
       Stimme. Im Augenblick der Sprachlosigkeit wird „Detroit“ zum Sprachrohr für
       die Opfer. In solchen Momentaufnahmen hat der Film eine Intensität und
       Wahrhaftigkeit, die ihm vor lauter Erzählwut zwischendurch abhanden kommt.
       
       22 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anke Leweke
       
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