# taz.de -- Prozess gegen IS-Chef in Deutschland: Mit Brille und Puder gegen Abu Walaa
       
       > Der Kronzeuge erscheint verkleidet im Gericht und belastet den
       > Hauptangeklagten. Der krault sich nervös den Bart und grinst.
       
 (IMG) Bild: Auch Abu Walaa möchte nicht erkannt werden
       
       Celle taz | Anil O. trägt eine blonde Kurzhaarperücke, dazu eine dunkle
       Kunstoffbrille. Sein Gesicht scheint gepudert, der Körper unter dem blauen
       Jackett ausstaffiert zu sein; fast erinnert er an den Komiker Hape
       Kerkeling. So betritt der 23-jährige Deutschtürke am Mittwoch Saal 24 im
       Celler Oberlandesgericht, unter seinem Arm klemmt eine Thermoskanne.
       
       Auf seinem Weg zum Zeugentisch, der vorn bei der Richterbank steht, schaut
       er zu den fünf Angeklagten, die hinter einer Panzerglasscheibe sitzen. Ganz
       rechts sitzt der Hauptangeklagte: der 33-jährige Iraker Ahmad A., genannt
       [1][Abu Walaa]. Er ist es, der den Prozess vor dem Celler Staatsschutzsenat
       zum derzeit wichtigsten Verfahren gegen den islamistischen Terrorismus
       macht.
       
       Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft ist Abu Walaa der „Repräsentant des IS
       in Deutschland“; also der Cheforganisator der Terrororganisation
       hierzulande. Seit Ende September müssen er und die vier Mitangeklagten sich
       wegen Mitgliedschaft beziehungsweise Unterstützung einer terroristischen
       Vereinigung verantworten. Gemeinsam sollen sie ein
       „salafistisch-dschihadistisches Netzwerk“ gebildet und junge Männer zum IS
       nach Syrien und in den Irak geschleust haben.
       
       Einer dieser Männer ist Anil O., der im September 2015 mit Frau und Kind
       nach Syrien ging. Vor gut einem Jahr wurde aus dem Abu-Walaa-Bewunderer der
       Kronzeuge. Nachdem er von der Schreckensherrschaft des IS entsetzt gewesen
       und geflohen sei, sagte O. bei der Polizei umfassend aus. Jetzt ist er im
       Zeugenschutzprogramm. Weil sein Leben gefährdet ist, erscheint er
       verkleidet im Gericht.
       
       ## Aus Mitleid in den Dschihad
       
       Anil O. gießt sich etwas aus seiner Thermoskanne ein und erzählt dann, wie
       er in die salafistische Szene rutschte und mit 18 zum ersten Mal nach
       Syrien reiste, um humanitäre Hilfe zu leisten. „Das war eine heftige Zeit.“
       Das Leid der Muslime dort hätten ihn anfällig für den Dschihad gemacht.
       
       Zurück in Deutschland begann er ein Medizinstudium. Doch der „Islamische
       Staat“, der inzwischen das Kalifat ausgerufen hatte, sei zu „einer
       Obsession“ geworden. Schließlich landete O. im Islamunterricht des
       mutmaßlichen Terrornetzwerks. Der fand mal im Nebenzimmer eines Reisebüros
       eines der Angeklagten in Duisburg statt, mal in der „Madrasa“, einer
       Islamschule eines anderen Angeklagten in Dortmund. „Ziel war es, uns alle
       auf eine Ausreise vorzubereiten.“ Dann schickten die Lehrer ihn zu Abu
       Walaa nach Hildesheim, zur konkreten Planung der Ausreise. „Abu Walaa war
       sofort bereit, uns zu helfen und inoffiziell für uns zu bürgen.“ Den Rest
       hätten zwei weitere Angeklagte besorgt.
       
       Während O. mit fester Stimme in geschliffenem Deutsch erzählt, krault Abu
       Walaa sich den Bart und grinst. Ganz ähnlich reagieren drei seiner vier
       Mitangeklagten. Das wirkt nervös, soll aber wohl zeigen, Anil O. müsse man
       nicht ernst nehmen, schließlich nehme er es mit der Wahrheit nicht so
       genau. Hier setzen auch die Verteidiger an: Peter Krieger, Abu Walaas
       Anwalt, nennt den Kronzeugen einen „Hochstapler, der in weiten Teilen
       fabuliert“ und der mit seiner Aussage auf eine Strafmilderung aus sei.
       Tatsächlich hat das Oberlandesgericht Düsseldorf O. wegen Mitgliedschaft in
       einer terroristischen Vereinigung nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
       
       O.s Aussage soll am kommenden Dienstag weitergehen, sechs Tage hat das
       Gericht dafür reserviert. Bald wird der Kronzeuge nicht mehr erzählen,
       sondern sich kritischen Fragen stellen.
       
       8 Nov 2017
       
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