# taz.de -- Die Wahrheit: Heil dir im Siegerkranz
       
       > In einem Ort in Sachsen bekam die AfD die höchste Stimmenzahl.
       > Wissenswertes über Dorfchemnitz. Ein Literaturbericht aus dem Osten der
       > Republik.
       
 (IMG) Bild: Leere Bank in Dorfchemnitz: „Hier bin ich daheeme.“
       
       Was ist das für ein Ort, in dem die AfD bei der Bundestagswahl sage und
       schreibe 47,4 Prozent der Zweitstimmen abgeräumt hat? Die mittelsächsische
       Gemeinde Dorfchemnitz steht nun im Rampenlicht, und alle Welt fragt sich,
       was dort los ist. Für Leser, die sich aus Kosten-, Zeit- oder
       Sicherheitsgründen nicht selbst an den Schauplatz begeben können oder
       wollen, folgt hier ein vollständiges, kommentiertes Verzeichnis der
       Literatur über Dorfchemnitz.
       
       Als Standardwerk gilt die 32-seitige Broschüre „Unser Dorfchemnitz“ von
       Olfert Gödel, die 1944 im Münchner Franz-Eher-Verlag erschien, dem
       Zentralverlag der NSDAP. Sie hat freilich den Nachteil, dass sie zu zwei
       Dritteln aus reproduzierten Urkunden für Mutterkreuze besteht, die Adolf
       Hitler kinderreichen Dorfbewohnerinnen verliehen hatte.
       
       ## Segen für Geschwisterehen
       
       In vielem stützte Gödel sich auf das 1935 von dem Dorfchemnitzer Pfarrer
       Bodobert Lieberwirth edierte „Dorfsippenbuch“, in dem sich die Ahnenreihen
       alteingessener Gemeindemitglieder teilweise bis ins frühe 14. Jahrhundert
       zurückverfolgen lassen. Auffallend ist dabei die große Zahl von
       Geschwisterehen, denen die Kirche ihren Segen erteilt hatte, weil das Dorf
       sonst ausgestorben wäre.
       
       Von Belang sind in diesem Zusammenhang auch die Untersuchungen, die der
       englische Molekularbiologe Edwin Hays in Dorfchemnitz durchgeführt hat, um
       das Phänomen der „Verdummung durch Inzucht“ näher zu ergründen
       (Stultification through inbreeding. Dorfchemnitz as a paradigm. In: Journal
       of the Royal Society of Medicine [91] 1998, S. 601–612). Der Forschung war
       das in Dorfchemnitz besonders stark ausgeprägte Problem der Paarung naher
       Blutsverwandter schon seit Langem bekannt (vgl. Carl Giesebrecht:
       Fäulnisfieber und Gehirnfraß im Wochenbett als Folge der Blutschande am
       Beispiel einer erzgebirgischen Großfamilie. Dresden 1882, S. 204).
       
       Aus einer gänzlich anderen Perspektive stellt das Dorf sich in den Werken
       des sächsischen Lyrikers Utz Zietzschmann dar. In seinem recht kurz nach
       der Wende publizierten Gedichtband „Sternentanz“ hat er seinem Geburtsort
       ein sprachspielerisches Denkmal gesetzt: „Häuser wie / flirrendes / Glas
       aus / Gebeten im / Drahtver- / hau / des Gesetzes der / Zuckungen //
       Dorfchemnitz / Chemdorfnitz / Norfchemditz / Dotznemchirf // Hier / bin ich
       / daheeme.“
       
       Von epischer Breite ist dagegen der großenteils in Dorfchemnitz spielende
       Regionalkrimi „Death by Bliemchengaffee“ von Ebefried Ziegenbalg aus dem
       Jahr 2012. Die markanteste Szene spielt in einer Schnapsbrennerei, die der
       Dorfchemnitzer Serienmörder Witiko Fleischer im Keller seiner
       Doppelhaushälfte eingerichtet hat, um dort sein nächstes Opfer einzulullen:
       „Witiko atmete schwer und nahm den Schlagbohrer zur Hand. Gewiss, er liebte
       Odalinde, und es gefiel ihm, dass sie selbst noch mit 2,3 Promille das Lied
       ‚Heil dir im Siegerkranz‘ anzustimmen vermochte, doch er liebte auch die
       Schreie der gequälten Kreatur, seit er mit angesehen hatte, wie seine
       Stiefschwester Erkenhilde vom reußischen Fronvogt Ottokar und seinen
       Spießgesellen vergewaltigt worden war. Und schon stieß er Odalinde den
       brüllenden Bohrer ins Jochbein, ohne zu ahnen, dass sie gleichzeitig in
       einem Vampirkrimi mitspielte. Während der tödliche Stahl in ihrem Schädel
       rotierte, rammte sie ihre Zähne in Witikos ledrige Halsschlagader. Eine
       Blutfontäne schoss aus dem Kellerfenster und bildete im Rinnstein einen
       breiten Strom, der sich schäumend in den Chemnitzbach ergoss. ‚Business as
       usual‘, dachte ein Angler, der dort seit Stunden saß und vergeblich auf
       eine Giftflunder hoffte, mit der er seine Schwiegermutter um die Ecke
       bringen könnte. Er hatte wieder nur lauter rostige NSDAP-Parteiabzeichen
       aus dem Bach gefischt …“
       
       ## Bürger für Monarchen
       
       Erwähnenswert ist außerdem der Leserbrief von Odalberta Troschitz aus
       Dorfchemnitz, der in der Ausgabe 34/1991 der Zeitschrift Frau im Spiegel
       erschien: „Was Sie über Beatrix schreiben, kann ich nicht gutheißen. Wir
       Sachsen wären froh, wenn wir unser Leben lang eine so gute Königin gehabt
       hätten! Stattdessen sind wir vierzig Jahre lang belogen und betrogen
       worden, und jetzt sollen wir sogar noch unser Erspartes für irgendwelche
       Asylanten ausgeben. Mein Mann ist übrigens auch derselben Meinung. Dafür
       hat er nicht in Russland gekämpft!“ Wie man sieht, hatten einige Bürger in
       Dorfchemnitz damals selbst noch dem monarchistischen Gedanken die Treue
       bewahrt.
       
       Darüber hinaus liegt uns keine Literatur zu Dorfchemnitz vor. Und das ist
       vermutlich auch besser so.
       
       2 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gerhard Henschel
       
       ## TAGS
       
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