# taz.de -- Referendum in Katalonien: Zwei Züge, voll in Fahrt
       
       > Die Katalanen bestehen darauf, über eine Unabhängigkeit abzustimmen. Die
       > spanische Regierung setzt alles daran, die Wahl zu verhindern.
       
 (IMG) Bild: Konfrontation in Katalonien: Straßenszene aus Barcelona
       
       Madrid taz | Die Menge brüllt, die Menge tobt, sie schwenken rot-gold-gelbe
       Spanienflaggen, als sie die Männer auf den Weg schicken, der geradewegs in
       einen Kampf führen könnte. „Auf sie mit Gebrüll!“, rufen sie und: „Ihr seid
       nicht alleine!“, während ein Konvoi der paramilitärischen Polizeieinheit
       Guardia Civil die Kaserne in Guadalajara verlässt, um nach Katalonien zu
       fahren.
       
       Die Gardisten sollen dort am Sonntag verhindern, dass das von der
       Autonomieregierung in Barcelona angesetzte Unabhängigkeitsreferendum
       stattfindet. Das Verfassungsgericht hat die Abstimmung für illegal erklärt.
       Die Stimmung ist gerade an vielen Orten sehr aufgeheizt, und das lässt
       wenig Gutes erwarten.
       
       Unter den Jubelspaniern waren auch Mitglieder des Partido Popular (PP) von
       Ministerpräsident Mariano Rajoy. In Guadalajara beteiligte sich selbst der
       konservative stellvertretende Bürgermeister Jaime Carnicero am Abschied der
       Polizisten. „Unsere Guardia Civil wird die Freiheit in Katalonien
       verteidigen. Ganz Spanien steht hinter ihr“, sagt er. In Vororten Madrids
       lässt die PP Spanienfahnen verteilen, mit der Aufforderung, sie an den
       Balkonen anzubringen. Die durch Korruptionsvorwürfe schwer angeschlagene
       Partei nutzt die Katalonienkrise, um die Skandale vergessen zu machen.
       
       Rajoy setzt auf Justiz und Polizei, um die Abstimmung zu verhindern.
       Tausende Beamte der Nationalpolizei und der Guardia Civil wurden nach
       Katalonien verlegt. Für ihre Unterbringung wurden die Kreuzfahrt- und
       Fährschiffe „Rhapsody“, „GNV Azzurra“ und „Moby Dada“ gechartert. Sie
       liegen in den Häfen von Barcelona und Tarragona.
       
       Die Generalstaatsanwaltschaft verfolgt über 700 Bürgermeister, die das
       Referendum unterstützen. Die Guardia Civil nahm 14 Mitglieder der
       Autonomieregierung fest, beschlagnahmte Millionen von Plakaten,
       Flugblättern und Stimmzetteln. Das höchste Strafgericht Spaniens, die
       Audiencia Nacional, ermittelt gegen friedliche Demonstrationen wegen
       „sedición“, Aufstandes. Polizei und Guardia Civil sind auf der Suche nach
       allem, was der Auszählung der Stimmen dienen soll.
       
       Die katalanische Polizei Mossos d’Esquadra wurde angewiesen, die Schulen zu
       versiegeln. Wo dennoch eine Urne aufgestellt wird, sollen sie die
       Identitäten der Wahlhelfer feststellen. Der Chef der Mossos, Josep Lluís
       Trapero, will den Anweisungen nur bedingt Folge leisten. Er befürchtet,
       dass die Schließung der Schulen zu Unruhen führen könne. „Die Ausführung
       von Befehlen befreit nicht von der Verantwortung zu überprüfen, ob die
       Umsetzung dieser Befehle nicht unerwünschte Konsequenzen haben kann“, ließ
       er twittern und läuft nun selbst Gefahr, wegen Befehlsverweigerung belangt
       zu werden.
       
       ## Kaum Platz für Zwischentöne
       
       Der Präsident der katalanischen Autonomieregierung Generalitat de
       Catalunya, Carles Puigdemont, versichert: „Die Katalanen werden abstimmen.“
       Die Hafenarbeiter beschlossen, die Hotelschiffe der Polizeikräfte nicht zu
       versorgen. Schüler und Studenten streiken. Sie verlangen, dass ihre Schulen
       als Wahllokal dienen. Zehntausende haben sich als freiwillige Wahlhelfer
       eingetragen.
       
       Es ist die Stunde der Erklärungen und der Manifeste. Der FC Barcelona
       verteidigt in einem Kommuniqué „die katalanische Nation, die Demokratie und
       das Recht auf Redefreiheit und das Selbstbestimmungsrecht“. Nationalspieler
       Gerard Piqué hofft auf eine friedliche Abstimmung und Trainer Pep Guardiola
       macht keinen Hehl aus seiner Sympathie für die Unabhängigkeit.
       
       Über 600 katalanische Schriftsteller unterstützen das Referendum, 1.400
       Professoren und Wissenschaftler und 300 Priester verlangen ebenfalls das
       Recht, frei zu entscheiden. Ihnen gegenüber stehen 230 Uni-Professoren aus
       dem restlichen Spanien, die Ministerpräsident Rajoy auffordern, alle
       verfassungsgemäßen Mittel einzusetzen, „um die demokratischen Institutionen
       und die Einheit der spanischen Nation zu wahren“.
       
       Über 2.000 namhafte Persönlichkeiten veröffentlichten eine Erklärung, in
       der sie das Referendum als „undemokratischen Betrug“ bezeichnen, unter
       ihnen die katalanische Regisseurin Isabel Coixet.
       
       Für Zwischentöne ist kaum Platz. Die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada
       Colau, sowie die linksalternative Partei Podemos versuchen, mit einem
       „Manifest für Freiheit, Brüderlichkeit und Zusammenleben“ einen Dialog
       anzuregen – die Zentralregierung in Madrid solle mit der Generalitat und
       mit allen politischen Akteuren kommunizieren, heißt es da.
       
       ## Ein halb unabhängiger Staat?
       
       „Die repressive Aktion wird nicht zur Lösung führen“, warnt auch der
       ehemalige Richter Baltasar Garzón. Der Jurist, der sich durch den Fall des
       ehemaligen chilenischen Diktators Augusto Pinochet international einen
       Namen machte, warnt: „Die Einschränkung des Demonstrationsrechts wird sich
       auf ganz Spanien ausweiten.“ Auch für Garzón muss „die Lösung des
       katalanischen Konfliktes politisch und nicht juristischer Natur sein.“
       
       Während in Katalonien alles auf den „Zusammenprall zweier Züge“ – wie die
       Presse den Konflikt zwischen Barcelona und Madrid nennt – wartet, ziehen
       andere bereits ihre Schlussfolgerungen. Die Ratingagentur JP Morgan warnt
       die Investoren davor, ihr Geld in Spanien anzulegen. Die Lage sei zu
       instabil. Katalonien stellt ein Fünftel der spanischen Wirtschaft.
       
       JP Morgan-Direktor Marco Protopapa empfiehlt der spanischen Regierung „eine
       vollständige Revision der Verfassung“. In einem Brief schreibt Protopapa,
       Katalonien würde sich mit mehr Zugeständnissen durch Madrid dem Status
       eines halb unabhängigen Staates innerhalb einer Föderation annähern, damit
       würde die Provinz abgesehen von einer eigenen Fahne kaum noch etwas von
       einer Abspaltung haben.
       
       Rajoy möchte davon nichts wissen. Und Puigdemont wirbt weiter für die
       Unabhängigkeit. Zwar schließt der Katalane mittlerweile eine unverzügliche
       einseitige Unabhängigkeitserklärung nach der Abstimmung aus, spricht aber
       von einer Übergangsphase, in der mit Madrid und Brüssel verhandelt werden
       solle.
       
       ## Kompromiss droht zu scheitern
       
       Rajoys Politik stößt bei vielen Spaniern auf Sympathie, doch im Parlament
       wird die Lage seiner Minderheitsregierung immer schwieriger. Die
       Konservativen hatten in monatelangen Gesprächen einen Haushalt für 2018
       ausgehandelt, der dank der Baskischen Nationalistenpartei (PNV) eine
       hauchdünne Mehrheit erhalten sollte. Jetzt droht der Kompromiss zu
       scheitern.
       
       Der PNV-Sprecher im spanischen Parlament, Aitor Esteban, sagte: „Auch wenn
       wir einen Haushalt hätten, wäre das Thema Katalonien nicht gelöst. Würde
       das heißen, dass wir eine stabile Legislatur haben?“
       
       Wenn der Haushalt nicht in den kommenden Monaten verabschiedet wird,
       müssten Neuwahlen angesetzt werden. Damit dies nicht geschieht, erhöhen
       Rajoy und die rechtsliberalen Ciudadanos den Druck auf die sozialistische
       PSOE, die Rajoy vor einem Jahr überhaupt erst zum Regierungschef machte.
       Die PSOE solle sich bei der Haushaltsabstimmung enthalten, verlangen sie.
       So mancher Sozialist ist dem nicht abgeneigt.
       
       Der ehemalige Regierungschef der südspanischen Region Extremadura, Juan
       Carlos Ibarra, geht noch einen Schritt weiter. Er fordert seine Genossen in
       einem Artikel in der konservativen Tageszeitung ABC auf, an einer Regierung
       derer teilzunehmen, „die bereit sind, die Demokratie zu stärken und die
       Aufständischen mit dem Strafrecht in der Hand zu stoppen, koste es was es
       wolle“.
       
       Eine solche große Koalition zur Rettung des Vaterlandes müsse Härte zeigen.
       „Ab dem 2. Oktober gibt es mit Katalonien nichts zu verhandeln“, sagte
       Ibarra in einem Radiointerview, „die Befürworter der Unabhängigkeit werden
       eh nichts akzeptieren.“
       
       Statt den Dialog zu suchen, gräbt sich Madrid immer tiefer ein.
       
       29 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reiner Wandler
       
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