# taz.de -- Gericht zu Dieselfahrzeugen in Stuttgart: Fahrverbot gefordert
       
       > Das Verwaltungsgericht Stuttgart verlangt ein rasches Fahrverbot für
       > Dieselfahrzeuge. Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe.
       
 (IMG) Bild: Sensoren zur Feinstaubmessung am Neckartor in Stuttgart
       
       Stuttgart taz | Ab Januar 2018 dürfen in Stuttgart nur noch Diesel-PKW
       fahren, die die strenge Euro-6-Norm einhalten. Das müsste laut
       Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart das Land Baden-Württemberg beschließen,
       damit in Stuttgart die Luftgrenzwerte künftig eingehalten werden können.
       Ein kurzfristiges Verkehrsverbot für schmutzige Diesel sei die „derzeit
       einzige“ geeignete Maßnahme, sagte der Vorsitzende Richter Wolfgang Kern.
       
       Seit 2010 gelten europaweite Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2), ein
       Reizgas, das Atemwege und Kreislauf belastet. Nach Angaben der Deutschen
       Umwelthilfe (DUH) führt die NO2-Belastung in deutschen Großstädten zu rund
       10.000 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr. Stuttgart gilt bei der
       NO2-Belastung als bundesweit schmutzigste Großstadt. Die Grenzwerte wurden
       hier seit 2010 noch nie eingehalten. Deshalb klagte die DUH auf
       Verschärfung des vom Land aufgestellten Luftreinhalteplans. Mit Erfolg. Das
       Verwaltungsgericht Stuttgart gab der Klage nun statt.
       
       Zwar kann das Regierungspräsidium Stuttgart als Planbehörde theoretisch
       frei wählen, mit welchen Maßnahmen es vorgehen will. Faktisch ließ ihm das
       VG aber keinen Spielraum. Die Maßnahmen die das Land im Planentwurf vom Mai
       vorgeschlagen hatte, seien allesamt ungeeignet, die Grenzwerte
       „schnellstmöglich“ einzuhalten, erklärte Richter Kern. Das gelte für
       verbesserten Nahverkehr, Geschwindigkeitsbegrenzungen und auch für zeitlich
       und örtlich begrenzte Fahrverbote.
       
       Nur die Maßnahme „M1“ des Landesentwurfs sei geeignet, wenn man die vom
       Land vorgesehen Einschränkungen weglasse. Danach müsse in Stuttgart ein
       ganzjähriges „Verkehrsverbot“ für alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotoren
       unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 gelten, ebenso für alle
       Kraftfahrzeuge mit benzin- oder gasbetriebenen Ottomotoren unterhalb der
       Schadstoffklasse Euro 3. Damit dürften nach derzeitigem Stand rund ein
       Drittel der Stuttgarter PKW in der Landeshauptstadt nicht mehr fahren.
       
       ## Grundrecht auf Leben und Gesundheit
       
       Das Land wollte die Maßnahme „M1“ allerdings erst 2020 einführen und auch
       nur dann, wenn der Bund zuvor eine blaue Plakette für besonders saubere
       Fahrzeuge geschaffen hat. Solange könne allerdings nicht gewartet werden,
       betonte Richter Kern. Die Grenzwerte würden schon seit siebeneinhalb Jahren
       überschritten. Der rechtswidrige Zustand könne nicht weitere zweieinhalb
       Jahre verlängert werden.
       
       Auch auf die Einführung der blauen Plakette durch den Bund müsse nicht
       gewartet werden. „Es ist derzeit nicht absehbar, wann sie kommt und ob sie
       überhaupt kommt“, sagte Richter Kern. Diese Unterlassung durch die
       Bundesregierung sei „ohne sachlichen Grund“ und könne deshalb nicht dazu
       führen, dass das erforderliche Verkehrsverbot unterbleibt.
       
       Das Grundrecht auf Leben und Gesundheit der betroffenen Wohnbevölkerung sei
       höher zu gewichten als Eigentum und Handlungsfreiheit der vom
       Verkehrsverbot erfassten Autofahrer. Ein baldiges Verkehrsverbot verstoße
       „unter keinem denkbaren Grund“ gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit,
       so das Gericht.
       
       Das Land hatte in der mündlichen Verhandlung vor einer Woche davor gewarnt,
       ein verfrühtes Fahrverbot könne zur Verlagerung von Verkehr ins Stuttgarter
       Umland führen und dort eine unzulässige Überschreitung der Grenzwerte
       auslösen. Dies ließ das Verwaltungsgericht aber nicht gelten. Dass es zu
       solchen Ausweichverkehren kommt, sei nicht belegt. Und falls doch, müsse
       das Land eben die Verkehrsverbote auf den ganzen Ballungsraum Stuttgart
       ausweiten, so die Richter.
       
       ## „Wir hatten keine andere Wahl“
       
       Die zuletzt von Land und Autoindustrie bevorzugte freiwillige Nachrüstung
       von schmutzigen PKW hält das Gericht für keine geeignete Alternative.
       Selbst unter günstigsten Annahmen sei so nur eine Reduzierung der
       Stuttgarter NO2-Werte um neun Prozent möglich. Erforderlich wäre aber eine
       Halbierung.
       
       Ein Verkehrsverbot sei auch heute schon „rechtlich umsetzbar“, betonte
       Richter Kern. Der VGH München hatte dies in einem ähnlich radikalen Urteil
       im Februar noch bezweifelt – weil passende Verkehrsschilder fehlen. Dieses
       Problem sah das Stuttgarter Gericht nicht, es gebe verschiedene
       Möglichkeiten. Näheres müsse das Land entscheiden.
       
       Zum Schluss der knapp halbstündigen Urteilsverkündung wurde Richter Kern
       noch etwas pathetisch: „Wir hatten keine andere Wahl, weil wir an das
       geltende Recht gebunden sind“, sagte er. Das Publikum reagierte mit
       langanhaltendem Beifall.
       
       Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Das Land kann noch
       Rechtsmittel einlegen. Eine Berufung, bei der der Prozess am
       Verwaltungsgerichtshof Mannheim in vollem Umfang neu auferollt würde, hielt
       Richter Kern nicht für sinnvoll, da das Gericht alle Annahmen des Landes
       zur Schadstoffbelastung und zur Wirkung der diskutierten Maßnahmen
       übernommen habe. „Das ist alles unstrittig, wir haben uns nichts
       ausgedacht“, betonte der Richter. Es gehe nur noch um Rechtsfragen, weshalb
       das VG auch die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig
       zugelassen hat. Die DUH ist mit einer Sprungrevision einverstanden. Das
       Land will erst die schriftliche Urteilsbegründung prüfen, die Richter Kern
       für „spätestens Ende August“ angekündigt hat.
       
       DUH-Chef Jürgen Resch freute sich nach der Verkündung des Urteils, obwohl
       es nicht das von der DUH geforderte totale Dieselfahrverbot beinhaltete.
       „Wenn Diesel-Fahrzeuge mit Euro-6-Norm diese auch auf der Straße einhalten
       und nicht nur auf dem Prüfstand, können sie gerne in Stuttgart fahren“, so
       Resch.
       
       (Az.: 13 K 5412/15)
       
       28 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Dieselskandal
 (DIR) Stuttgart
 (DIR) Fahrverbot
 (DIR) Diesel
 (DIR) Horst Seehofer
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
 (DIR) Ökostrom
 (DIR) Diesel
 (DIR) Dieselskandal
 (DIR) Diesel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Forderungen vor dem Diesel-Gipfel: Umweltministerium gegen Kaufhilfe
       
       Die Ministerpräsidenten von Bayern und Niedersachsen wollen
       Steuererleichterungen für neue Diesel-Autos. Unklar ist indes, wie die
       Umrüstung passieren soll – und wer zahlt.
       
 (DIR) Die Deutschen und das Auto: Die Sehnsucht nach dem Knall
       
       Erst Dieselskandal, jetzt Kartellverdacht: Das deutsche Auto ist unter
       Beschuss wie nie. Warum kommen wir dennoch nicht los?
       
 (DIR) Sprit aus Strom: Ökodiesel, ein leeres Versprechen
       
       Sunfire stellt Treibstoff aus Wasser, Kohlendioxid und Strom her. Klingt
       revolutionär, ist aber technisch nicht neu und macht ökologisch selten
       Sinn.
       
 (DIR) Luftreinhalte-Prozess in Stuttgart: Grün-Schwarz vor Niederlage
       
       Richter am Verwaltungsgericht Stuttgart tendieren zu Maßnahmen gegen ältere
       Diesel-Pkw. Sonst stehen die Grenzwerte nur auf dem Papier.
       
 (DIR) Diesel-Skandal bei Daimler: Millionen Autos werden nachgerüstet
       
       Zehntausende Autos ließ Daimler bereits umbauen, um den Schadstoffausstoß
       zu verringern. Nun sollen es mehr als drei Millionen Fahrzeuge werden.
       
 (DIR) Dicke Luft im Stuttgarter Talkessel: Streit um Fahrverbote
       
       Die Deutsche Umwelthilfe will Baden-Württemberg zur Grenzwert-Einhaltung
       zwingen. Aber das Land tut sich mit Fahrverboten schwer. Warum nur?