# taz.de -- Comeback der Rockband Royal Trux: Die Neunziger haben nie aufgehört
       
       > Das beste, das kaputteste Rockduo der Welt ist auferstanden: Royal Trux.
       > Mit einem neuen Album und einem Deutschlandkonzert.
       
 (IMG) Bild: Hagerty und Herrema ging und geht es dabei nicht darum, Riffs zu schreiben. Ihre Musik soll sich vielmehr anhören, als würden sie selbst von Riffs gespielt werden
       
       Der französische Schriftsteller Charles Baudelaire beschrieb Mitte des 19.
       Jahrhunderts ein „Ungeheuer“, das so „hässlich und gemein“ sei wie kein
       anderes: „Die Langeweile ist’s.“
       
       Gut 100 Jahre später, in den 1950ern, trieb Baudelaires Ungeheuer junge
       Menschen schon nicht mehr in Weltkriege, sondern in Scharen dazu, aus
       Überdruss die freudvollsten Erfindungen zu machen. Eine davon: das Riff. Es
       besteht aus wenigen, in der Regel auf einer elektrischen Gitarre gespielten
       Akkorden.
       
       Bevor wir also zu dieser wegweisenden Band aus Washington D. C. kommen, von
       der noch die Rede sein wird, müssen wir Umwege gehen. Durch die britischen
       60er zum Beispiel. Da machten die Kinks das E-Gitarren-Riff mit [1][„You
       Really Got Me“] und [2][„All of the Day and All of the Night“]
       unsterblich. The Who griffen es wenig später in ihren unwiderstehlichen
       Uptempo-Songs [3][„I Can’t Explain“] und [4][„My Generation“] wieder auf.
       
       Doch in den siebziger Jahren fühlten sich Gitarristen durch die Frauen
       gestört, welche sich immer häufiger öffentlich, ganz selbstverständlich –
       und sogar ohne Gitarre! – zu Wort meldeten. Männer zeigten sich von diesem
       Elan einigermaßen überfordert. Um den viel zu präsenten Frauen nicht länger
       zuhören zu müssen, zogen manche aufs Land, um in ungestörten Einöden
       Kommunen zu gründen. Andere nahmen noch mehr und noch härtere Drogen, um
       sich so durcheinanderzubringen, dass sie die einfachsten Sätze von Frauen
       nicht mehr verstehen konnten. Aber auch Männer, die in Städten wohnten,
       fanden Mittel, um Frauen weiter von sich fernzuhalten.
       
       Derweil hatten das Riff und das Solo einige Änderungen vollzogen: Ein Solo
       konnte auf der Gitarre so lang dauern, dass es wie eine musikalische
       Entsprechung zu den rechthaberischen, endlosen Monologen wirkte, die Väter
       am Esstisch ihren konsternierten, nur noch psychologisch unterlegenen,
       bürgerlichen Kleinfamilien hielten.
       
       Ein bedrohliches, düsteres Riff wie das von [5][„Smoke on the Water“] von
       der britischen Hardrockband Deep Purple klang nun wie die Verneinung von
       vermeintlich sittenlos herumschlawinernden Melodien. Männern gefiel das
       schon deshalb, weil das Riff im Gegensatz zu Frauen ganz ohne Worte auskam.
       
       ## Langeweile und Porno
       
       Ihre größte Errungenschaft gelang den Riff-Produzenten aus ihrer Sicht bei
       der Umwertung der bis dahin noch bekämpften Langeweile. Denn sie
       argumentierten nun, dass die wiederholte Wiederholung weniger Töne gewissen
       Bewegungen von Menschen entspräche, die sich körperlich näherkommen. Ein
       Riff anzuhören ähnele dem Anschauen eines Porno-Films und erziele auf
       ähnliche Weise seine erprobte Wirkung.
       
       Es brauchte fast bis zum Ende des Jahrzehnts, bevor diese nur vermeintlich
       geile Langeweile als „großer Rock-’n’-Roll-Schwindel“, wie ihn die Sex
       Pistols nannten, durch Punk aufflog.
       
       Danach, in den achtziger Jahren, fühlten sich nicht mehr bloß
       Riff-Produzenten bedroht. Beträchtliche Teile der Menschheit sahen sich in
       Abwehrkämpfe verstrickt. Sie wollten Wälder retten und Robbenbabys
       schützen, sie wollten Häuser vor dem Abriss bewahren und das drohende
       nukleare Ende der Welt hinausschieben.
       
       Als sich fast alle daran gewöhnt hatten, ein Lebensgefühl aus der Defensive
       zu entwickeln, begannen Männer und Frauen zusammen, mit Gitarren bewaffnet,
       die Kunst anzugreifen. So zum Beispiel Yoko Ono und John Lennon, Patti
       Smith und Lenny Kaye, Debbie Harry und Chris Stein, Kim Gordon und Thurston
       Moore oder Madonna und Stephen Bray.
       
       ## Lieder aus Blut gemacht
       
       Die Stadt brachte auch den Jugendlichen Neil Hagerty darauf, mit seiner
       Freundin Jennifer Herrema eine Band zu gründen. Hagerty hatte mit der Band
       Pussy Galore in Washington D. C. Musik gemacht, die wie ein aus lauter
       Freude herbeigeführter Autounfall klang.
       
       Herrema sang, als läge ihr eine verrauchte Kneipe auf den Stimmbändern. Sie
       schrie, als würde sie sich mit dem Vermieter anlegen, wenn der gerade eine
       Mahnung über ihren Rückstand bei den Mietzahlungen in ihren Briefkasten
       warf.
       
       Zusammen entdeckten Herrema und Hagerty, dass sich Akkorde durch den Kakao
       ziehen und mit Füßen treten lassen. Geschmacksverirrungen können leuchten
       wie ein Licht am Ende eines Tunnels und Lieder werden aus Blut gemacht.
       Kompressoren, Delays sowie weitere Effektgeräte lassen sich an Gitarren und
       Keyboards anschließen, um womöglich die Musik, aber auch sich selbst
       bloßzustellen. So entsteht Lärm mit Rückgrat, Spacerock aus der Graswurzel
       oder Rockabilly, als wenn Sun Ra ihn spielen würde.
       
       Hagerty und Herrema ging und geht es dabei nicht darum, Riffs zu schreiben.
       Ihre Musik soll sich vielmehr anhören, als würden Hagerty und Herrema
       selbst von Riffs gespielt werden. Ihr Schwung steckte schon nach kurzer
       Zeit andere an. Ihre Debütsingle [6][„Hero/Zero“] etwa lieferte dem Label
       Drag City 1990 gleich den Anlass, um sich zu gründen: es war dessen
       allererste Veröffentlichung.
       
       ## Den Rock ’n’ Roll „dekonstruieren“
       
       Kurz nachdem Royal Trux dort auch ein genial zerstörendes Doppelalbum
       namens „Twin Infinitives“ veröffentlicht hatten, begannen Menschen zwischen
       Probe- und Seminarräumen davon zu sprechen, dass sie sowohl den Rock ’n’
       Roll als auch so gut wie alles andere „dekonstruieren“ könnten. Ihre
       Wortwahl erschien wie ein letzter Versuch von Linken, wenigstens in der
       Kunst Recht zu behalten, wenn es in der Gesellschaft schon nicht gelang.
       
       Royal Trux bestätigten sich Album für Album, dass sie recht behielten, bis
       schließlich Riffs, Musik und Langeweile für sie dasselbe bedeuteten. Anfang
       der nuller Jahre lösten sie ihre Band folgerichtig auf und verlegten sich
       auf andere Sparten. Herrema wurde bildende Künstlerin und Hagerty schrieb
       tolle Romane, die endlich mal jemand ins Deutsche übersetzen müsste.
       
       Nun sind sie wieder auferstanden und ihr neues, live eingespieltes Album
       „Platinum Tips and Ice Cream“ hört sich an, als hätten die neunziger Jahre
       für Royal Trux nie aufgehört. Was keine Beleidigung ist. Denn einerseits
       liegt dieser Eindruck nahe, weil es Bühnenversionen von damals im Studio
       aufgenommenen und auch veröffentlichten Stücken zu hören gibt.
       
       Die „Bananenfrage“ („The Banana Question“) wird immer noch gestellt. Die
       „Junkie-Krankenschwester“ respektive „Junkie Nurse“ verbessert weiterhin
       die Stimmung mit Medikamenten. Und 2017, wo Royal Trux etwas überraschend
       wieder live auf den Bühnen auch dieses Landes zu sehen sind, scheinen sie
       plötzlich kommerziellen Ehrgeiz zu entwickeln. Auch irgendwie lustig.
       
       3 Aug 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=-2GmzyeeXnQ
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=F4DV-5d6a5g
 (DIR) [3] https://www.youtube.com/watch?v=h3h--K5928M
 (DIR) [4] https://www.youtube.com/watch?v=qN5zw04WxCc
 (DIR) [5] https://www.youtube.com/watch?v=ikGyZh0VbPQ
 (DIR) [6] https://www.youtube.com/watch?v=Ssop_cdkJ3o
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kristof Schreuf
       
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