# taz.de -- Skandal bei der Tour de France: Den Ellenbogen ausfahren
       
       > Weltmeister Peter Sagan wird wegen seiner Rücksichtslosigkeit von der
       > Tour ausgeschlossen. Viele Radprofis halten das für zu hart.
       
 (IMG) Bild: Rohe Sitten: Mark Cavendish kommt neben Peter Sagan zu Fall
       
       Die Tour de France hat einen neuerlichen Skandal. Dieses Mal geht es nicht
       um Doping, sondern um Rangeleien beim Hochgeschwindigkeitssprint. Erstes
       Opfer ist Mark Cavendish, der nach dem Sturz auf der 4. Etappe mit
       gebrochener Schulter aufgeben muss. Zweiter Leidtragender ist Peter Sagan.
       Dem Weltmeister wurde zur Last gelegt, mit einem Ellenbogencheck Schuld am
       Sturz Cavendishs gewesen zu sein. Der Bora-Fahrer wurde vom Rennen
       verbannt. Eine Sensation.
       
       Die Stimmung war gedrückt im Club Med in Vittel. Schweigsam schoben die
       Mechaniker Räder über den Rasen der Ferienanlage. Auch die Stimmen waren
       gedämpft. Nicht nur bei Team Bora hansgrohe, das damit umgehen musste, dass
       ihr großer Star, Weltmeister Peter Sagan, von der Tour de France
       weggeschickt worden war. Auch bei anderen Teams, die auf der Anlage
       untergebracht waren, herrschte eher gedämpfte Atmosphäre.
       
       „Der Ausschluss ist zu hart. Einen Tag Pause, ok, aber nicht für die
       gesamte Tour“, sagte Alexander Winokurow, Rennstallmanager von Astana, taz.
       Winokurow fügte noch spöttisch hinzu: „Wenn es sich um Astana gehandelt
       hätte, wäre die Entscheidung vom Ausschluss ganz schnell getroffen
       worden.“.
       
       Der Kasache mag nicht unrecht haben. Bei Verfehlungen Adstanas wurde in den
       letzten Jahren schnell reagiert. Bei Sagans Ausschluss jedoch agierte die
       Jury erst zögerlich. Sie verpasste ihm zunächst eine 30-Sekunden-Strafe und
       einen Abzug von 80 Punkten in der Wertung des Grünen Trikots. Dann aber
       rang sie sich zum Ausschluss durch. Der Jury zufolge gab die „ernsthafte
       Gefährdung anderer Fahrer“ den Ausschlag für die harte Strafe.
       
       ## Kein Schuldbewußtsein
       
       Die Tour de France hatte damit ihren Skandal. Wie vor zehn Jahren, als
       Dopingrazzien und Rennfahrerausschlüsse die Tour de France zeichneten,
       schlugen auch jetzt Fernsehanstalten vor dem Teamhotel ihr Lager auf. Live
       wurde vom grünen Rasen vor dem Club Med gesendet. Zu vermelden gab es lange
       aber nichts. Team Bora gab erst um 11 Uhr am Folgetag eine erste Erklärung
       ab. Peter Sagan bedauerte dabei die Verletzung Cavendishs. „Ich hoffe, er
       wird schnell gesund werden“, meinte er. Selbst war er sich aber keiner
       Schuld bewusst. „Ich habe nichts falsch gemacht im Sprint“, behauptete er.
       
       Und tatsächlich sind die TV-Bilder auch schwer zu deuten. Cavendish geht in
       eine Lücke zwischen Sagan und der Absperrung. Dabei berührt er zuerst den
       Weltmeister. Dann, als der Brite fast auf gleicher Höhe mit dem Slowaken
       ist, fährt letzterer den Ellenbogen aus. Bruchteile von Sekunden später
       stürzt Cavendish – und holt sich eine Schulterfraktur. „Das ist ein
       Gewaltakt“, empörte sich Cavendishs Manager Rolf Aldag.
       
       Sagan sieht es anders. „Ich wollte nur mein Gleichgewicht halten, deshalb
       der Ellenbogen“, erklärte er.
       
       ## „Viel zu harte Entscheidung“
       
       Es ist nicht einmal klar, ob der Ellenbogen tatsächlich den Sturz auslöste.
       Cavendishs Teammanager forderten unmittelbar nach der Etappe aber vehement
       den Ausschluss Sagans. „Es reicht einfach nicht, dass er sich nur
       entschuldigt. Das hier sah mir nach Absicht aus, nach nackter Gewalt. Der
       Weltmeister in diesem Sport boxt seinen Kontrahenten bei 65 km/h weg – das
       geht einfach nicht!“, meinte Aldag. Er forderte: „Es gibt eine Jury, die
       die Regeln durchsetzen muss.“ Und er erinnerte an einen Präzedenzfall vor
       sieben Jahren: „Wenn ein Mark Renshaw mal wegen eines Kopfstoßes
       ausgeschlossen wurde, dann ist auch klar, wie man jetzt reagieren muss.“
       
       Nach durchschlafener Nacht wurden Aldags Meinung und die Entscheidung der
       Jury nur noch von einer Minderheit geteilt. „Das ist viel zu hart, die alte
       Entscheidung mit der Zeitstrafe und dem Punktabzug wäre angemessen
       gewesen“, meinte Ex-Profi Michael Rasmussen. Der Däne, 2007 selbst von der
       Tour ausgeschlossen, damals wegen Dopingverdachts, konnte am besten
       nachfühlen, wie sich Sagan jetzt fühlen mochte: „Er hat sicher die ganze
       Nacht nicht geschlafen und das ganze als ungerecht empfunden. Aber er wird
       mit alter Stärke zurückkommen, da bin ich sicher.“
       
       Auch aktive Fahrer hielten den Ausschluss für zu hart. „Nach allem, was ich
       mir angesehen habe, war das zu hart, ganz klar“, sagte Sunweb-Profi Simon
       Geschke. „Aber vielleicht ist das auch eine Art Aufwecksignal für die
       Sprinter, dass sie sich im Finale anders verhalten“, mutmaßte er.
       
       Für „hart am Limit“ hielt Brian Holm, sportlicher Leiter von Marcel Kittel,
       die Entscheidung. Auch er sah darin ein Achtungssignal für größere
       Rücksichtnahme im Finale.
       
       Zeichen für einen Wandel 
       
       Komplett ungerecht behandelt fühlte sich indes Team Bora. „Für uns ist
       unverständlich, dass die Entscheidung gefällt wurde, ohne unsere
       Sportlichen Leiter und ohne die Fahrer anzuhören“, sagte Teamchef Ralph
       Denk am Mittwochmorgen vor dem Start der 5. Etappe am Bus. Da war, trotz
       laufendem Protest des Rennstalls, Sagan schon auf dem Weg zum Flughafen.
       
       Die harte Entscheidung gegen Sagan kam auch zustande, weil die Sprinter die
       Aufforderungen der Jury, sich mehr an die Regeln zu halten, zuletzt nicht
       ernst genommen hatte. Auch der Tagessieger am Mittwoch, der französische
       Meister Arnaud Demare, verließ im Finish seine Linie. „Er hätte fast
       Bouhanni zu Fall gebracht. Und er hat ja auch die Dynamik von Sagan und
       Cavendish mit beeinflusst. Eigentlich hätte man ihn auch ausschließen
       müssen“, meinte Sunweb-Profi Geschke zu taz.
       
       Viel aufzuräumen für die Jury also, um den Massensprint bei der Tour de
       France wieder mehr zu zivilisieren.
       
       Eine Sache ist immerhin bemerkenswert. Der aktuelle Aufreger bei der Tour
       de France ist kein Dopingskandal mehr, sondern eine Debatte über Disziplin.
       Zeichen für einen Wandel in dieser Sportart.
       
       5 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tom Mustroph
       
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