# taz.de -- Anwohner über G20-Krawalle: „Mit den Kids ging die Randale los“
       
       > Haben Autonome das Hamburger Schanzenviertel verwüstet? Ein Anwohner
       > sagt, die Randale ging von Gaffern aus, während die Polizei
       > eingeschüchtert wirkte.
       
 (IMG) Bild: Randalierer im Schanzenviertel – aber wer war das genau?
       
       taz: Herr Piña Otey, Sie haben gemeinsam mit anderen Läden aus dem
       Schanzenviertel eine Stellungnahme zu den Ausschreitungen während des
       G20-Gipfels herausgegeben. Warum erschien Ihnen das nötig? 
       
       Alvaro Piña Otey: Wir hatten das Gefühl, dass die Debatte in eine ganz
       falsche, völlig unterkomplexe Richtung geht. Dass da versucht wird, einen
       Sündenbock zu stilisieren mit der Erzählung, der schwarze Block hätte die
       Stadt zerlegt, um über andere Dinge nicht mehr sprechen zu müssen. Dinge,
       die aber eigentlich dazugehören, wenn man verstehen will, was da am Freitag
       passiert ist.
       
       Welche denn? 
       
       Man muss auch über die Verbalradikalisierung von Seiten der Polizei
       sprechen, über die Hysterisierung der Situation hier im Viertel die ganzen
       letzten Monate über, die immer massivere Polizeipräsenz, die hier wirklich
       fast alle als unangenehm und bedrückend empfunden haben. Insgesamt wurden
       von Seiten der Polizei hier sehr viele Fehler gemacht, über die jetzt
       keiner mehr reden will.
       
       Hat nur die Polizei im Viertel Fehler gemacht? 
       
       Nein, das sage ich nicht. Die Rote Flora muss sich jetzt zu Recht auch
       Kritik anhören an ihrem Verhalten in der Freitagnacht. Niemand hier im
       Viertel unterstellt der Flora, dass sie dort in den Ausschreitungen selbst
       aktiv waren, aber sie hätten an diesem Abend stärker rausgehen müssen, sich
       stärker verhalten müssen, als klar war, dass die Polizei sich zurückzieht
       und das Ding sich verselbstständigt. Dass sie das nicht genug getan haben,
       lag sicher auch an den Gerüchten, das Haus solle gleich geräumt werden.
       Trotzdem finde ich diese Kritik berechtigt.
       
       Die Polizei hat in das Geschehen auf der Schanze über Stunden nicht
       eingegriffen. War das für Sie verständlich? 
       
       Ich habe das sehr genau beobachtet. Am Anfang war es so, dass ein sehr gut
       organisierter schwarzer Block von etwa 200 Personen die Polizei angegriffen
       hat, in einer Massivität, wie ich sie in Hamburg bisher nicht erlebt habe.
       Die Polizei wurde mehrmals massiv zurückgeschlagen. Aber als sie sich
       zurückgezogen haben, hat der allergrößte Teil der Leute, die sich daran
       beteiligt hatten, das Weite gesucht. Auch zu diesem Zeitpunkt gab es schon
       Zerstörung: Pflastersteine und Straßenschilder waren herausgerissen worden,
       zum Werfen und zum Barrikadenbau. Aber es war kein einziger Laden
       angegriffen worden.
       
       Was passierte dann? 
       
       Dann kamen die ganzen Gaffer, die eh schon zu Tausenden im Viertel waren.
       Und dann, in diesem Windschatten, kamen die Kids. Dann ging es los mit den
       Plünderungen, der Randale. Viele migrantische Kids, die Bilder haben mich
       erinnert an die von den Aufständen in den Banlieues von Paris oder den
       Riots von London 2011. Das ist etwas, das man sich mal anschauen sollte:
       Was da für ein Gewaltpotenzial ist, für eine Wut, die man auch mal erkennen
       muss. Aber eben nicht erkennen kann, wenn man alles nur unter schwarzer
       Block zusammenfasst.
       
       Was denken Sie über die Motive dieser Jugendlichen? 
       
       Definitiv war da eine große Wut auf die Polizei, man hatte das Gefühl, da
       schlägt sich eine Ohnmacht Bahn. Dann auch die Gier nach Exzess, nach
       Grenzüberschreitung, nach Spektakel. Und, ganz stark, nach
       Selbstproduktion: Man kann ja kaum dämlicher sein, als unvermummt Steine
       auf die Polizei zu werfen, sich dabei von seinen Freunden filmen zu lassen
       und sich direkt danach am Straßenrand die Videos anzuschauen, ob die auch
       gut geworden sind. Das habe ich dort gesehen. Auch, wie Leute sich
       gegenseitig auf die Schnauze gehauen haben.
       
       Gab es Menschen, die versucht haben, dort einzugreifen? 
       
       Ja, die gab es. Und darunter waren auch Vermummte, die versucht haben,
       gemeinsam mit Anwohnern mäßigend auf die Situation einzuwirken. Ich habe
       beobachtet, wie zwei Anwohnerinnen versucht haben, einen jungen Mann davon
       abzuhalten, mit einem Straßenschild eine Markise aufzustemmen. Als er nicht
       aufgehört hat, kamen Vermummte und haben ihm gesagt: „Du lässt das Ding
       jetzt sofort fallen!“
       
       Und? 
       
       Das hat er dann auch gemacht und ist weggerannt. Oder die Fahrräder, die in
       einer gemeinsamen Aktion auf einen Hinterhof in Sicherheit gebracht wurden.
       Solche Szenen gab es. Natürlich nicht ausschließlich, und es wäre auch
       falsch, jetzt zu sagen, dass die Autonomen sich dort als Bürgerwehr oder
       Polizeiersatz aufgespielt hätten, aber sie gab es.
       
       Laut Polizei war ein Eingreifen zeitweise zu gefährlich. Wie sehen Sie das? 
       
       Ich kann auf jeden Fall nicht bestätigen, dass es einen organisierten
       Hinterhalt gab und die Polizei um ihr Leben fürchten musste. Ich glaube,
       die Polizei war geschockt und eingeschüchtert von der sehr massiven und
       entschlossenen Gegenwehr, die sie am Anfang abbekommen hat. Aber wie
       gesagt, diese Leute waren dann weg, und dann hätten sie sehr wohl in das
       Viertel reingehen können, so wie sie es sonst bei den Schanzenfesten auch
       machen.
       
       Schließlich entschied sich die Polizei dafür, das SEK einzusetzen. 
       
       Das waren wirklich gespenstische Szenen: Mit Schnellfeuergewehren
       bewaffnete Polizisten, die aussehen wie Soldaten aus einem
       Science-Fiction-Film. Und auf dem Gesicht deines Nachbarn, der gegenüber
       aus dem Fenster schaut, kreisen drei Laserpunkte. Man hat das auch nicht
       verstanden. Dieses Baugerüst, wo die Menschen draufstanden, das wäre sehr
       leicht zu sichern gewesen. Und wenn bei Schanzenfesten etwas von Dächern
       auf Polizisten geworfen wird, braucht die Polizei normalerweise keine zwei
       Minuten, um die da runterzuholen.
       
       Welche Reaktionen haben Sie auf Ihre öffentliche Stellungnahme bekommen, in
       der Sie Ähnliches schildern? 
       
       Wir haben die ja bei Facebook veröffentlicht, da war es interessant zu
       sehen, wie sich das verändert hat: Am Anfang kamen fast nur positive
       Reaktionen, von unseren Followern und deren Freunden, aus der
       Nachbarschaft. Dann, als das weitere Kreise zog, ging der Shitstorm los.
       Jetzt bekommen wir Drohmails aus Oberammergau: „Wenn ich das nächste Mal in
       Hamburg bin, fackel ich euren Zeckenladen ab.“ Ich komme gar nicht
       hinterher mit dem Löschen.
       
       Wie ist die Stimmung im Viertel jetzt? 
       
       Ich glaube, es gibt Leute hier, die sind wirklich traumatisiert von dem,
       was passiert ist. Und gerade ist die Stimmung sehr polarisiert, sehr
       vergiftet. Dieser Schein, dass hier alle irgendwie links sind und
       zusammenhalten, der sowieso nicht stimmt, der bröckelt jetzt. Es werden
       Leute angepöbelt, weil sie in schwarzen Klamotten über die Straße gehen.
       Deshalb haben wir uns ja auch für diese Stellungnahme entschieden, um zu
       einer ruhigeren Diskussion zurückzukommen.
       
       Es gibt viel Redebedarf? 
       
       Ja, auf jeden Fall. Es liegt so viel Druck hier auf diesem Stadtteil, der
       so klein ist. So viele Augen sind auf uns gerichtet, so viele Leute
       versuchen, sich vor dieser Kulisse zu inszenieren, Profit aus der Situation
       zu schlagen. Es gibt diese Stimmung, dass den Leuten das Viertel
       weggenommen wurde, erst von dem Gipfel und der Polizei als auch von den
       Randalierern. Es gehen auch Risse durch Freundeskreise. Jetzt, wo sich die
       Situation langsam beruhigt, ist es wirklich wichtig, dass wir versuchen,
       der Komplexität der Situation gerecht zu werden.
       
       14 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Malene Gürgen
       
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