# taz.de -- G20-Ergebnisse: Vieles sehr vage und unkonkret
       
       > Nur wenig Neues und Konkretes ist zu vermelden – aber das gilt in diesen
       > schwierigen Zeiten für viele schon als Erfolg.
       
 (IMG) Bild: Spitzengespräch in Hamburg: Tusk, Merkel und Trump auf dem G20-Treffen
       
       Welthandel: Der Handelskonflikt schwelt weiter 
       
       Ein Thema, das die Bundesregierung im Vorfeld mit viel Sorge betrachtet
       hatte, war der internationale Handel. Und daran hat sich auch beim Gipfel
       nicht viel geändert. Ob sie glaube, dass die Gefahr eines Handelskrieges
       zwischen der EU und den USA durch das Abschlusskommuniqué des Gipfels
       gebannt sei, wurde Angela Merkel gefragt. „Ich glaube, dass die
       Diskussionen weiter schwierig bleiben wird“, sagte die Kanzlerin, was
       übersetzt heißt: Die Gefahr ist nicht gebannt.
       
       Hintergrund ist ein seit Jahren tobender und seit Trumps Amtsübernahme
       eskalierender Streit über die zu hohen Exportüberschüsse der EU,
       insbesondere Deutschlands, in die USA. Das erzeugt ein wirtschaftliches
       Ungleichgewicht – das zu ändern ist eines der Kernanliegen der
       Trump-Regierung. Washington schwebt ein neues Steuersystem vor, das
       ausländische Unternehmen, die Waren in die USA einführen wollen, stark
       benachteiligen würde. Das wiederum würde einen Gegenschlag der
       EU-Kommission auslösen und könnte zu dem führen, was Journalisten gern
       martialisch „Handelskrieg“ nennen, de facto aber Protektionismus bedeutet.
       
       Nun seht immerhin ein Satz im Kommuniqué, dass die G20 „Protektionismus
       einschließlich aller unfairen Handelspraktiken“ ablehnen. Gleichzeitig
       setzte Trump aber durch, dass „rechtmäßige Handelsschutzinstrumente“
       erlaubt bleiben. Was sich dahinter verbirgt, bleibt offen.
       
       Außerdem will man sich „um die Verringerung übermäßiger globaler
       Ungleichgewichte bemühen“. Heißt das also, weniger deutschen
       Exportüberschuss? Im Prinzip kann auch in diesen Satz jeder
       hineininterpretieren, was er will. Erst einmal köcheln die Konflikte also
       weiter. Bis zum Treffen der Handelsminister der Welthandelsorganisation in
       Buenos Aires im Dezember dieses Jahres. Da soll dann weiter über das heikle
       Thema verhandelt werden. INGO ARZT
       
       Migration: Sie wollen auf Bedürfnisse achten 
       
       „Merkel-Plan“ hatten einige afrikanische Staatschefs sie getauft: eine
       G20-Initiative der deutschen Kanzlerin für mehr Wachstum in Afrika – und
       weniger Flüchtlinge in Europa. Das Projekt soll Privatinvestitionen in
       großem Stil nach Afrika lotsen. Seit Monaten hatte die deutsche
       G20-Präsidentschaft das Vorhaben im Haus von Finanzminister Wolfgang
       Schäuble (CDU) ausarbeiten lassen.
       
       In Hamburg nun sollten sich die G20-Staaten hinter die offiziell „Compact
       with Africa“ genannte Initiative stellen. Sie sieht vor, dass einzelne
       G20-Staaten und reformwillige afrikanische Länder
       Investitionspartnerschaften eingehen. Das Modell strebt ein Gegengeschäft
       nach dem Grundsatz „Reformen gegen Investitionen“ an: Ein afrikanisches
       Land entwirft eine konkrete Strategie und verpflichtet sich, neue
       Voraussetzungen zu schaffen, um mit Unterstützung von Partnern aus dem
       G20-Kreis für private Investoren interessanter zu werden.
       
       Äthiopien, Elfenbeinküste, Ghana, Marokko, Ruanda, Senegal und Tunesien
       legten in Hamburg diese Pläne für Investitionsabkommen vor. Angeleitet
       durch die jeweiligen afrikanischen Länder, die Afrikanische
       Entwicklungsbank und den IWF sollen diese Pläne nun umgesetzt werden.
       
       „Unsere gemeinsamen Anstrengungen […] werden so helfen, Armut und
       Ungleichheit als Ursachen von Migration anzugehen“, heißt es im
       Abschlussdokument des Gipfeltreffens.
       
       Argentinien versprach in Hamburg als nächstes G20-Präsidentschaftsland,
       diesen Weg weiterzuverfolgen.
       
       Im Abschlussdokument „verpflichten“ sich die G20-Staaten, „auf die
       Bedürfnisse von Flüchtlingen und Migranten zu achten“ heißt es: „Die Welt
       erlebt ein nie da gewesenes Ausmaß an Flucht und Vertreibung.“ Das Dokument
       betont den Wunsch nach einem Kampf gegen Schleuser, das Recht auf
       Grenzkontrollen und Hilfen für Herkunfts- und Transitländer. CHRISTIAN
       JAKOB
       
       Gesundheit: Entwicklung von Impfstoffen forcieren 
       
       Erstmals wurde bei einem G20-Gipfel über globale Gesundheit beraten. Diesen
       Umstand werteten Teilnehmer wie Beobachter als Erfolg – ungeachtet der
       teils schwammigen Absichtserklärung der Staats- und Regierungschefs:
       Epidemien wie Ebola oder Sars verhindern, Antibiotikaresistenzen überwinden
       und nationale Gesundheitssysteme stärken – diese drei Ziele globaler
       Gesundheitspolitik umreißt das Abschlussdokument.
       
       Erreicht werden sollen sie über eine bessere, schnellere und
       sektorübergreifende Zusammenarbeit im Fall eines Pandemie-Ausbruchs. Die
       „zentrale Koordinierungsrolle“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO), heißt
       es in der Erklärung, soll durch „Reformen ihrer Strukturen für solche
       Notfälle“ gestärkt sowie „hinreichend und nachhaltig“ finanziell
       unterstützt werden. Daneben erkennen die G20 Forschungsbedarf für
       Impfstoffe gegen infektiöse Erreger wie Zika oder Lassa. Hierbei helfen
       soll die auch von der deutschen Regierung geförderte „Coalition for
       Epidemic Preparedness Innovations“, die sich für eine beschleunigte
       Entwicklung von Impfstoffen einsetzt.
       
       Die Erforschung neuer Medikamente ist auch Teil des Kampfes gegen wachsende
       Antibiotikaresistenzen. Daneben sollen „nationale Aktionspläne“ bis 2018
       auf den Weg gebracht werden, um den verantwortungsvollen Umgang mit
       existierenden Antibiotika zu fördern. In der Tiermedizin soll ihr Einsatz
       „allein auf therapeutische Zwecke“ begrenzt werden. Ob und welche
       Sanktionen andernfalls drohen, wird nicht thematisiert.
       
       In zwei Punkten aber wird das Dokument konkret: Erstens soll die
       Kinderlähmung, wie einst die Pocken, durch konsequente Impf- und
       Gesundheitsprogramme weltweit ausgerottet werden. Zweitens wird die
       Tuberkulose ins Visier genommen: Die G20 wollen die antimikrobielle
       Grundlagenforschung, die klinische Forschung und die Produktentwicklung
       ausbauen. „Alle interessierten Länder und Partner“ laden die G20 ein, „sich
       an dieser neuen Initiative zu beteiligen.“
       
       Gesundheitsexperten und Nicht-Regierungsorganisationen bewerteten die
       Beschlüsse unterschiedlich. „Es muss als Erfolg gelten, wenn eine
       Erkrankung explizit genannt wird“, sagte der Leiter des Klinischen
       Tuberkulosezentrums am Leibniz-Zentrum für Medizin, Christoph Lange, der
       taz. Auch die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen lobte das Engagement
       gegen Tuberkulose, kritisierte aber, die Staatschefs hätten es „versäumt,
       Angriffe auf medizinisches Personal und medizinische Einrichtungen in ihrer
       Abschlusserklärung zu verurteilen“.
       
       Oliver Razum, Professor für International Public Health an der Uni
       Bielefeld, mahnte, „dass Global Health nicht nur auf Health Security
       beschränkt werden darf. Es muss sich auch etwas an der Art verändern, wie
       wir wirtschaften – nicht nur an der Verfügbarkeit von Impfstoffen.“ HEIKE
       HAARHOFF
       
       Digitalisierung: Die Ungleichheit wird größer 
       
       Das Thema Digitalisierung und die Ungleichheit im globalen Netz stand nicht
       ganz oben auf der Agenda des G20-Gipfels. Die Diskussion darüber fand dann
       Samstagmittag auch eher unter dem Titel „Ferner liefen“ statt.
       
       In der Abschlusserklärung heißt es zwar vielversprechend dazu: „Der
       digitale Wandel ist eine Triebkraft des globalen, innovativen, inklusiven
       und nachhaltigen Wachstums“. Die Schlussfolgerungen daraus sind dann jedoch
       sehr vage geblieben. So sollen alle Bürger der G20-Staaten bis 2025
       „digital eingebunden“ sein. Konkrete Pläne für die Umsetzung wurden nicht
       verabschiedet.
       
       Versprochen wurde auch, dass die Staaten bei der Digitalisierung auf
       „Verbraucherschutz, Datenschutz und die Einhaltung von Eigentumsrechten“
       achten. Das sieht eher nach einem Lippenbekenntnis aus und nicht nach einer
       ernstzunehmenden Absichtserklärung. Dabei ist es längst überfällig, die
       Datensammelgier von Internetkonzernen und auch von kleinen IT-Firmen in den
       Griff zu bekommen.
       
       Die Digitalisierung könne auch dazu beitragen, Ungleichheiten abzubauen,
       heißt es in der Abschlusserklärung. Die Frage nach der global betrachtet
       immer größer werdende digitalen Kluft wurde nicht angegangen. Dabei geht es
       längst nicht mehr nur um den Zugang zu einem schnellen Internetanschluss.
       Viel wichtiger sind Medienkompetenz, Bildung und die politischen
       Rahmenbedingungen geworden, ob zum Beispiel Zensurbehörden Teile des
       Internets unzugänglich machen. Aufgenommen in die Abschlusserklärung sind
       die „neuen Herausforderungen“ der Digitalisierung. So wollen die
       G20-Staaten dafür sorgen, dass Risiken und Nachteile der Digitalisierung
       gerade im Finanzbereich nicht aus den Augen verloren werden. Auch hier sei
       eine stärkere internationale Zusammenarbeit notwendig. (mit epd und dpa)
       WOLFGANG LÖHR
       
       Steuern: Chance verpasst 
       
       Fortsetzung folgt: Die G20-Gruppe will weiter gegen Steuertricks von
       Konzernen kämpfen. Die Staats- und Regierungschefs haben in Hamburg ihr
       Aktionsprogramm namens BEPS bekräftigt. Es sieht unter anderem einen
       automatischen Datenaustausch ab September vor. Neues und Konkretes darüber
       hinaus wurde beim Gipfel nicht auf den Weg gebracht.
       
       Damit hat die G20 die Chance für eine Steuerpolitik verpasst, „die dazu
       beiträgt, die Welt gerechter zu machen“, kritisiert die
       Entwicklungsorganisation Oxfam. Die Teilnehmer hätten die Konzerne besser
       darauf verpflichten sollen, ihre Gewinne – und darauf gezahlte Steuern –
       nach Ländern aufgeschlüsselt zu berichten.
       
       Überdies sei die bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit
       und Entwicklung (OECD) zum Gipfel in Hamburg bestellte Liste unkooperativer
       Steueroasen nur ein „stumpfes Schwert“. Darauf war nur noch ein einziges
       Land zu finden: den Karibikstaat Trinidad und Tobago.
       
       Markus Henn vom deutschen Netzwerk Steuergerechtigkeit sieht weitere
       Aspekte in der Abschlusserklärung der G20 skeptisch: So begrüßen die
       Staaten die internationale Zusammenarbeit bei „steuerpolitischen Maßnahmen
       zur Förderung von Wachstum“. Henn befürchtet, dahinter stecke eine
       „Ablenkung von der Agenda der Steuervermeidung und im schlimmsten Fall eine
       Gegenagenda“. Es sei allerdings noch völlig unsicher, was sich konkret
       dahinter verbirgt.
       
       Und der Aktionsplan gegen Steuertricks, den die G20 weiterverfolgen? Da
       fehle es noch an der Umsetzung: Zu bestimmten Punkten gebe es etwa
       „Verteilungskonflikte zwischen den Staaten“, sagte Henn: Verhandelt werde
       derzeit etwa noch die Gewinnaufteilung – also welche Gewinne eines
       Unternehmens wann in welchem Land angerechnet und besteuert werden. Das sei
       auch eine Machtfrage zwischen Schwellen- und reicheren Industrieländern.
       EVA OER
       
       Finanzmärkte: Die Finanzkrise soll sich verwachsen 
       
       Die Finanzmärkte sind der Gründungsmythos der G20, das erste Treffen der
       Staatschefs fand 2008 als Reaktion auf die damalige Krise statt. Doch viel
       passiert ist zu dem Thema in Hamburg nicht. Die großen Reformen sind längst
       durch. Auch die Öffentlichkeit misst dem Thema, ob Banken, Versicherer und
       Investmentgesellschaften mittlerweile eigentlich so weit reguliert sind,
       dass sie keine weltweiten Wirtschaftskrisen wie 2008 auslösen, kaum mehr
       Aufmerksamkeit bei.
       
       Trotzdem könnte man die Ergebnisse in Hamburg als Minierfolg werten. Die
       US-Regierung hat die neuen globalen Finanzmarktregeln immerhin nicht über
       den Haufen geworfen. Dazu zählt, dass Großbanken größere Kapitalpuffer für
       Krisen vorhalten müssen oder Pläne entwickeln müssen, wie sie im Fall einer
       Pleite erst ihre Anleger und Anteileigner zahlen lassen und dann nach
       Steuergeldern rufen. Die Regeln dazu macht der Finanzstabilitätsrat in
       Basel. Momentan arbeitet der Rat daran, wie Schattenbanken besser
       kontrolliert werden, also etwa billionenschwere Investmentfonds. Oder wie
       verhindert wird, dass Geschäfte außerhalb üblicher Wertpapierbörsen aus dem
       Ruder laufen.
       
       Die USA sind also noch dabei, aber angesichts der sonstigen Probleme ist
       das viel zu wenig. Eigentlich ist einer der großen Fragen unserer Zeit, wie
       Investoren ihre Gelder aus Öl, Gas und Kohle abziehen und in
       klimafreundliche Anlagen stecken können. Die G20 hatten dazu im vergangenen
       Jahr in China Arbeitsgruppen wie die Green Finance Study Group
       eingerichtet, die Ideen erarbeiten sollte, wie grüne Geldanlagen endlich im
       Finanz-Mainstream ankommen können. Auch die großen Finanzinstitute arbeiten
       seitdem mit. Die haben in einer Arbeitsgruppe unter der Leitung der
       Börsenlegende Warren Buffett Ideen erarbeitet, wie die Bilanzierungsregeln
       für Unternehmen international geändert werden könnten, damit Investoren
       sehen, wer wie viel Geld in fossilen Energien stecken hat.
       
       Anders ausgedrückt: Die Sprache der Märkte ist es, Risiken gegen
       Gewinnerwartungen abzuwägen. Wird Klimawandel zum finanziellen Risiko,
       sorgen die Märkte dafür, dass das Problem verschwindet. Ob diese Erzählung
       vom grünen Kapitalismus klappt, weiß freilich keiner. Die Arbeit um den
       Milliardär Warren Buffett und die der Green Finance Study Group ist
       jedenfalls erst mal degradiert worden – im Abschlusskommuniqué tauchen sie
       nicht mehr auf, sondern nur noch im „Hamburg Action Plan“, ein
       Zusatzpapier. Mehr war mit Trump nicht zu machen.
       
       Geradezu putzig ist der Umstand, dass die G20-Staaten sehr viel Energie
       dazu aufwenden, die letzten Details für die Finanzmarktregulierung
       auszuformulieren, während ihre Notenbanken eben diese Märkte mit viel zu
       viel Geld überschwemmen. Dass das zu noch größeren Finanzblasen führen kann
       als 2008, scheint zumindest einigen Beteiligten bewusst, man liest es
       verteilt in den Dokumenten des Gipfels – da ist zumindest an einigen
       Stellen von möglichen neuen „Schocks“ die Rede.
       
       Die G20-Strategie gegen die neuen Finanzblasen ist, dass die Risiken aus
       dem System rauswachsen sollen: Die Staaten setzen auf einen „positiven
       Kreislauf aus großer Widerstandsfähigkeit [der Wirtschaft, die Red.] und
       starkem Wirtschaftswachstum.“ Wachstum führt zu Widerstandsfähigkeit und
       das dann wieder zu Wachstum, heißt es weiter im „Hamburg Action Plan“. Und
       immer so weiter. Die nächste Finanzkrise soll also gefälligst so lange auf
       sich warten lassen, bis die internationale Wirtschaft genug
       Widerstandsfähigkeit gegen sie entwickelt hat. INGO ARZT
       
       9 Jul 2017
       
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