# taz.de -- G20 und die Banken: Godzilla lebt!
       
       > Die Finanzmärkte zerstörten 2008 fast die Weltwirtschaft. Seitdem
       > erfanden die G20-Staaten eine Menge Regeln für Banken – und verfehlen
       > doch das Thema.
       
 (IMG) Bild: Eindeutig: die Deutsche Bank
       
       Was haben Fußball und Immobilien gemeinsam? Man kann auf der ganzen Welt in
       jeder Kneipe darüber reden. Geht immer. Das letzte Fußball-WM-Endspiel ist
       ein globales Ereignis, gleich den unerschwinglichen Mieten und Immobilien
       in den Großstädten dieser Welt.
       
       Jeder kennt ein Glückskind, das vor ein paar Jahren diese Wohnung oder
       jenes Haus gekauft hat, die heute das Doppelte wert sind. Ein paar ärgern
       sich, dass sie nicht rechtzeitig zugeschlagen haben. Der Rest stellt
       resigniert fest: Erben, eine Menge Kohle verdienen, ewig mieten oder ab
       aufs Dorf. Die Stadt wird zum Refugium für Spitzenverdiener und das
       weltweit.
       
       Die politische Verantwortung dafür tragen die G20-Staaten. Wer auch sonst?
       
       Die G20 ist die politische Antwort auf die globalisierten Finanzmärkte. Sie
       ist der Versuch, den Geist des Kapitalismus freundlich zu bitten, zumindest
       seinen kleinen Zeh wieder in die Flasche zu stecken.
       
       ## Durch Schock geformt
       
       Sie erinnern sich an 2008? Die Investmentbank Lehman Brothers brach am 15.
       September 2008 zusammen, weil in den USA eine Immobilienblase platzte. Vor
       der hatten zwar seit 2004 regelmäßig verschiedene Medien gewarnt. Aber wie
       vogelwild das Finanzsystem wirklich war, das hatte niemand auf dem Schirm.
       Bundeskanzlerin Angela Merkel musste öffentlich versichern, dass ganz
       normale Gehaltskonten in Deutschland sicher seien, weil sie es längst nicht
       mehr waren.
       
       Dieser Schock formte die G20, wie wir sie heute kennen: Die Chefs der
       ökonomisch wichtigsten Staaten der Welt treffen sich regelmäßig, um ihre
       Finanz- und Wirtschaftspolitik abzustimmen. Der erste Gipfel dieser Art im
       November 2008 war explizit eine Antwort auf die Finanzkrise. Ein halbes
       Jahr später gipfelte man sich erneut in London zusammen – und für das, was
       die politischen Chefs der Welt dort ausgebrütet haben, gibt es zwei
       Erzählungen.
       
       Die eine lautet: Sie legten den Grundstein für ein widerstandsfähiges,
       krisensicheres Finanzsystem.
       
       Die andere lautet: Sie haben die historische Chance verpasst, ein
       Finanzsystem, das kein Mensch braucht, durch ein System zu ersetzen, das
       Mensch braucht.
       
       ## Widerstand ist zweckvoll
       
       Die erste Erzählung fasst am besten Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble
       zusammen. „Die Welt spürt immer noch Auswirkungen der letzten Finanzkrise.
       Wir können künftige Turbulenzen nicht ausschließen. Es ist deshalb
       entscheidend, die Widerstandsfähigkeit unserer Wirtschaften zu erhöhen und
       Puffer zu bilden, die künftige Schocks abfangen, egal welche“, sagte er
       kürzlich auf einer Tagung des Finanznachrichtendienstes Bloomberg.
       
       Das ist die Philosophie der G20: Es geht nicht darum, Krisen wie 2008 zu
       verhindern. Das geht nicht, lehrt die historische Erfahrung. Nein, Krisen
       müssen ausgehalten werden. Das Wort „Widerstandsfähigkeit“ zieht sich durch
       sämtliche G20-Dokumente.
       
       Die Chefs der Mission Widerstandsfähigkeit sitzen in Basel, wo die
       G20-Staaten seit 2009 eine Art Weltfinanzregierung aufgebaut haben – den
       sogenannten Finanzstabilitätsrat. Mitglieder im Finanzstabilitätsrat sind
       sämtliche G20-Finanzministerien und Regulierungsbehörden, dazu kommen
       Weltbank, Internationaler Währungsfonds, EU-Kommission. Der Rat sitzt
       direkt bei ihrer Schwesterorganisation, der 1930 gegründeten Bank für
       Internationalen Zahlungsausgleich, bei der sich die weltweit wichtigsten
       Notenbanken koordinieren.
       
       Die beide Organisationen sind die Dompteure des internationalen
       Finanzsystem. Sie erarbeiten Standards für Banken, Fonds und Versicherer.
       Die G20-Staaten beschließen die Empfehlungen, die zwar nie bindend sind,
       aber von der EU, den USA und anderen Staaten bisher tatsächlich umgesetzt
       worden sind.
       
       Treffen wir also einen der Dompteure, den Norweger Svein Andresen,
       Generalsekretär des Finanzstabilitätsrats. Er weilte kürzlich in Berlin.
       Der Mann ist zufrieden.
       
       ## Der Airbag
       
       Die Grundlagen seiner Arbeit haben die G20-Staaten 2009 in einer Agenda
       formuliert. Großbanken, so schrieben sie damals, müssten mehr Geld für
       Notzeiten bereithalten. Muss ja nicht sein, dass man in der nächsten Krise
       gleich wieder nach dem Staat ruft. Und voilà, heute stehen 1,5 Billionen
       Dollar mehr an Sicherheiten in den Bilanzen der 30 sogenannten
       systemrelevanten Banken als 2009. Systemrelevant heißt, die sind so groß,
       wenn da eine stolpert, dann reißt sie die halbe Weltwirtschaft mit um. Wie
       ein erlegter Godzilla, der ein paar Wolkenkratzer unter sich begräbt. „To
       big to fail“, zu groß zum Pleitegehen.
       
       Auch ein zweites Symptom der Krise von 2008 hat sich laut Andresen deutlich
       verbessert. Das Problem damals war, dass die Banken ihre Geschäfte zum
       Großteil mit geliehenem Geld machten. Nennt sich „hebeln“. Hat den
       Nachteil, dass man schnell pleite ist, wenn man sich verzockt und das
       geliehene Geld nicht mehr zurückzahlen kann. Ergebnis der neuen Standards
       für systemrelevante Banken ist laut Andresen, dass sie nur noch halb so
       viel „hebeln“. Also mehr mit eigenem Geld arbeiten.
       
       Allerdings steckt da viel Schönrechnerei mit drin. Das hat eine Analyse des
       EU-Parlaments aus dem Jahr 2016 ergeben. Banken müssen ihre Risiken heute
       besser gegen Verluste absichern als vor der Krise, ja. Aber was ist ein
       Risiko? Wie riskant ist es, auf steigende Kurse eines
       Silicon-Valley-Start-ups zu wetten. Oder Daimler, der portugiesischen
       Regierung, der Pommesbude am Hauptbahnhof einen Kredit zu geben? Wie
       riskant ist es, Ihnen Geld für ein Haus zu leihen?
       
       Der Clou ist, dass die systemrelevanten Gozillabanken intern selbst
       entscheiden, was sie für riskant halten. Die Deutsche Bank findet zum
       Beispiel nur rund ein Viertel ihrer Anlagen risikoreich, bei der UniCredit
       sind es knapp über 45 Prozent. Ob Godzillabanken ihre Risiken kleinrechnen,
       überprüft in Europa zwar die Europäische Zentralbank und in Deutschland die
       Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Beide sagen im Prinzip:
       Der Markt bildet die Risiken von Finanzgeschäften besser ab als jede
       Behörde. Also nicht überkontrollieren.
       
       Der unabhängige Experte Christian Stiefmüller widerspricht. „Die Banken
       ziehen riesige computergestützte Modelle heran, um ihre Risiken
       kleinzurechnen“, sagt Stiefmüller, der zwei Jahrzehnte als Investmentbanker
       gearbeitet hat und heute für die Brüsseler NGO Finance Watch die
       Regulierung der Banken- und Finanzmärkte verfolgt.
       
       An den Schönrechnereien habe jede Großbank ein massives kommerzielles
       Interesse, sagt Stiefmüller. Je geringer die Risiken ausfallen, desto
       weniger Puffer für Notzeiten müssen die Banken vorhalten. Das spare schnell
       mehrere 100 Millionen Euro an Kapital.
       
       „Die Behörden sind den Banken personell und technisch deutlich unterlegen“,
       sagt Stiefmüller. Das System bevorzuge ausgerechnet die großen Banken, weil
       nur die Mittel für die aufwändige Technik zum Schönrechnen haben.
       Ausgerechnet kleine Banken – die keine Gefahr für das Finanzsystem
       darstellen – haben durch das System einen Wettbewerbsnachteil.
       
       ## Nörgelnde Banker
       
       Apropos kleine Banken und große Banken. Während der Krise 2008 fragten sich
       viele vernunftbegabte Menschen, warum es überhaupt so große Banken gibt,
       dass Steuerzahler sie retten müssen. Einfache Lösung wäre gewesen: kleinere
       Banken. Doch das ist nicht passiert.
       
       „Die größten systemrelevanten Banken von heute sind viel, viel größer als
       es Lehman Brothers 2007 war“, sagt Andresen vom Finanzstabilitätsrat. Und
       was machen die G20-Staaten dagegen? Nichts. Sie verpflichten sich nur
       gegenseitig, Regeln zu schaffen, die ermöglichen, dass Gozillabanken ohne
       Steuermilliardenhilfe pleitegehen können. In der EU wurde daraus
       beispielsweise der „Einheitliche Bankenabwicklungsmechanismus“.
       
       Hilft das im Krisenfall? Das weiß niemand. Binden sie einen schlafenden
       Bären an einen Pflock und raten Sie, ob er im Boden bleibt, wenn das Tier
       aufwacht. „Das Too-big-to-fail-Problem ist nicht gelöst. Und Europa erlaubt
       seinen Banken weiterhin, ihre Risiken kleinzurechen“, sagt Gerhard Schick,
       Finanzexperte der Grünen.
       
       Die USA haben seit der Krise 22.000 Seiten neue Regeln für Banken erlassen,
       in der EU sprechen Experten von rund 10.000 Seiten. Das alles ist zu viel
       und zu komplex, darin sind sich Kritiker wie Schick oder Finance Watch
       einig mit den Bankenverbänden. „Overbanked“, sagt man dort gern, also
       überbankt, überreguliert.
       
       „Es braucht weniger, einfachere und effektivere Regeln“ sagt
       Grünen-Politiker Schick. Zu viele Regeln, das kritisierten die
       Godzillabanken zu Recht. Nur nutzten sie das Argument aus, um ausgerechnet
       die wirksamsten einfachen Regeln zu kippen – etwa die, welche Kapitalpuffer
       sie vorhalten müssten, warnt Schick.
       
       Ein zweiter Effekt ist, dass immer mehr Geld außerhalb des Bankensektors
       zirkuliert. Investmentfonds setzen mittlerweile 76 Billionen Dollar im Jahr
       um – 40 Prozent des weltweiten Finanzmarkts. Auch diese Fonds haben Regeln,
       allerdings laxere als Banken. Das Kapital fließt also in die schlechter
       kontrollierten Bereiche des Finanzsektors. Viele Godzillabanken wollen
       jetzt auch selbst wieder weniger Regeln. Und ihr Einfluss sorgt dafür, dass
       sie damit zunehmend Gehör finden.
       
       Womit wir bei der verpassten Chance von 2009 wären.
       
       ## Einfach die Frage: Warum?
       
       Warum braucht es Investmentfonds, die 5 Billionen Dollar verwalten? Warum
       Banken mit einer Bilanzsumme von über 2 Billionen Dollar? Die G20-Staaten
       haben solche Fragen bis heute nicht gestellt. Ihre stillschweigende
       Grundthese ist: Viel Finanzmarkt ist gut. Und das ist falsch. Große
       Finanzmärkte schaden der Wirtschaft sogar. Ein Team aus Finanzexperten des
       Internationalen Währungsfonds erarbeitete bereits 2012 ein Thesenpapier
       dazu: „Too much Finance.“ Frei übersetzt: „Zu viel Finanzmarkt“.
       
       Die IWF-Ökonomen untersuchten, bis wann die Realwirtschaft eines Landes –
       Fabriken, Krankenhäuser, Zeitungskioske – vom Wachstum des Finanzsektors
       profitiert. Sie entdeckten dabei einen Grenzwert. Sind die Banken ungefähr
       so groß wie die gesamte Volkswirtschaft, dann ist es schlecht für das Land,
       wenn sie noch größer werden.
       
       Das hat zwei Gründe. Der eine ist, dass ein zu großer Finanzsektor
       Ressourcen abzieht – schlaue Köpfe zum Beispiel. Wenn die Cleversten im
       Staate lieber Aktienkurse künstlich aufblähen, statt was Brauchbares zu
       erfinden, dann ist das schlecht fürs Land. Der zweite Grund ist noch
       simpler. Seit der ersten Spekulationsblase mit Tulpenzwiebeln im Jahr 1637
       in den Niederlanden crashen Finanzmärkte unvermeidlich immer wieder. Je
       kleiner sie sind, desto weniger schlimm. Logisch.
       
       Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich – ein Teil der
       Weltfinanzregierung in Basel – formulierte es 2015 knapp und präzise:
       „Wächst in einem Land der Finanzsektor, ist das schlecht für die
       Produktivität.“ Man müsse den Zusammenhang zwischen Finanzmärkten und
       echtem Wachstum völlig neu vermessen, schrieben die Ökonomen. Doch seit der
       Krise hat sich der Sektor immer weiter aufgebläht – weil die Notenbanken
       Geld ohne Ende in den Markt pumpen, auf dass die Wirtschaft wachse. Ein
       Teil davon macht Häuser so teuer.
       
       ## Zurück in die Verteidigung
       
       Doch all das – der aufgeblähte Finanzsektor, bezahlbare Immobilien für
       normale Menschen – wird nicht Thema auf dem G20-Gipfel sein. Die Lehre aus
       der Krise sind gezogen, das war’s. „Es geht um die Finalisierung letzter
       Details von im Grundsatz vereinbarten Reformen sowie um deren
       Implementierung“, heißt es aus deutschen Regierungskreisen.
       
       Stattdessen ist die Politik wieder in der Defensive und sorgt sich darum,
       die erreichten Regeln zu sichern. Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der
       Europäischen Kommission, warnte kürzlich auf dem Deutschen Bankentag: „Uns
       wird mal wieder die Gefahr einer Abwärtsspirale zwischen Aufsehern bewusst,
       die zum Preis der Finanzstabilität Business anlocken.“ Dombrovskis sprach
       dabei von der Gefahr, dass Großbritannien Regeln kippt, um Banken nach dem
       Brexit im Land zu behalten. In den USA könnte die neue US-Regierung
       Ähnliches versuchen, warnte der Bundesverband deutscher Banken kürzlich.
       
       Der deutsche Bankmanager Hans Reich, Aufsichtsratschef bei Citigroup Global
       Markets, glaubt, dass die nächste Krise nicht mehr von Notenbanken und
       Regierungen aufgehalten werden kann, wie noch 2008. Wenn all das Geld auf
       den Finanzmärkten echte, harte Gegenwerte auf den Globus suchen sollte,
       Rohstoffe, Ländereien, Häuser, dann sei das „wie eine Lawine, die niemand
       mehr aufhalten kann“, warnte er. Widersprochen hat auf dem Panel, auf dem
       er saß, keiner der anwesenden Experten.
       
       7 Jul 2017
       
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