# taz.de -- Debatte Geldschöpfung der EZB: Das Geld kommt aus dem Nichts
       
       > Die Folgen sind ungeheuer. Die herrschende Lehre in der Ökonomie ist
       > falsch – sagt die Bundesbank. Das ist eine Revolution.
       
 (IMG) Bild: Geldschöpfung, die: Schaffung von Geld beispielsweise durch die Zentralbank
       
       Moderner Kapitalismus ist ohne Geld nicht denkbar. Wir tauschen nicht Güter
       gegen Güter, sondern kaufen Waren mit Geld. Die spannende Frage für die
       Ökonomie lautet also: Woher kommt dieses Geld? Die Bundesbank hat jetzt
       eine Antwort geliefert, die revolutionär ist: Geld entsteht aus dem Nichts
       – durch Buchungsvorgänge bei den Banken. Dies mag zunächst abstrakt
       klingen, aber die Folgen sind ungeheuer. Denn die Bundesbank sagt damit,
       dass die herrschende Theorie in der Ökonomie falsch ist. Millionen von
       Studenten lernen an den Universitäten ein Märchen.
       
       Dieses Märchen verbreitet zum Beispiel der Harvard-Professor Gregory
       Mankiw, dessen Lehrbuch „Makroökonomie“ weltweit millionenfach verkauft
       wurde und auch an deutschen Universitäten gern genutzt wird. Für Mankiw
       sind die Banken nur Zwischenhändler, „Intermediäre“ genannt: Von ihren
       Sparern bekommen sie angeblich das Geld, das sie dann an andere Kunden
       weiterverleihen.
       
       Diese Idee mag einleuchtend klingen, hat aber mit der Realität absolut
       nichts zu tun. Die Banken benötigen überhaupt keine Sparer, um Kredite zu
       vergeben. Sie sind keine „Intermediäre“, sondern schöpfen das Geld einfach
       selbst. Dies schreibt die Bundesbank unmissverständlich. Ihre Prosa ist
       zwar etwas umständlich, trotzdem lohnt es sich, den zentralen Absatz einmal
       zu lesen: „Wenn eine Bank einen Kredit vergibt, verbucht sie die damit
       verbundene Gutschrift für den Kunden als dessen Sichteinlage […] Dies
       widerlegt einen weit verbreiteten Irrtum, wonach die Bank im Augenblick der
       Kreditvergabe nur als Intermediär auftritt, also Kredite lediglich mit
       Mitteln vergeben kann, die sie zuvor als Einlage von anderen Kunden
       erhalten hat.“ Harvard-Professor Gregory Mankiw mit seiner
       „Intermediär“-Theorie, so sagt es die Bundesbank ganz deutlich, unterliegt
       also einem „weit verbreiteten“ Irrtum.
       
       ## Neues Geld ist in der Welt
       
       Worte wie „Gutschrift“ oder „Sichteinlage“ klingen kompliziert, aber man
       kann sich die Geldschöpfung einer Bank wie die Spielstandsanzeige in einem
       Fußballstadion vorstellen: Erst fallen die Tore auf dem Rasen – dann wird
       die Anzeigetafel entsprechend angepasst.
       
       So ist es bei den Banken auch: Erst sagt die Bank einen Kredit zu – und
       dann bucht sie dieses Geld einfach auf das Konto ihres Kunden. Das Geld gab
       es vorher nicht, sondern es entsteht erst durch diese Kreditvergabe.
       
       Nehmen wir an, ein Kunde beantragt ein Darlehen von 1.000 Euro, um ein
       gebrauchtes Auto zu kaufen. Dann bucht die Bank dieses Geld auf sein Konto.
       Fertig. Neues Geld ist in der Welt. Wenn der Kunde die geliehenen 1.000
       Euro an die Bank zurückzahlt – dann ist dieses Geld wieder verschwunden.
       
       Diese Erkenntnis hat enorme Konsequenzen, denn die Bundesbank sagt:
       Schulden und Ersparnisse stehen in einem ganz anderen Verhältnis
       zueinander, als sich dies die berühmte „schwäbische Hausfrau“ vorstellt.
       Diese Klischeedame denkt bekanntlich, dass Sparen immer gut ist – und
       Schulden eher zu vermeiden sind. Auch die deutsche Sprache legt nahe, dass
       Kredite von Übel sind. Denn das Wort „Schulden“ erinnert sofort an die
       moralische Schuld. Wer Kredite aufnimmt, gilt schnell als anrüchig.
       
       ## Zwei praktische Fragen
       
       Doch wie die Bundesbank zeigt, sind die Kredite die Treiber der Wirtschaft.
       Ohne sie gäbe es weder Investitionen noch Wachstum. Erst wenn Kredite
       aufgenommen werden, können auch Ersparnisse entstehen. Die Welt der
       schwäbischen Hausfrau steht also kopf: Ersparnisse sind nur der Restposten,
       gesamtwirtschaftlich gesehen.
       
       Um bei dem banalen Beispiel vom Autokauf zu bleiben: Wenn jemand einen
       Kredit von 1.000 Euro aufnimmt, um eine gebrauchte Karre zu erwerben – dann
       wird Geld geschöpft, das anschließend zum Verkäufer wandert, der nun eine
       zusätzliche Ersparnis von 1.000 Euro hat. Diese Ersparnis ist genauso „aus
       dem Nichts“ entstanden wie der Kredit. Oder auf Ökonomisch ausgedrückt: Die
       Schulden des einen sind das Finanzvermögen des anderen.
       
       Bleiben zwei praktische Fragen: Wenn Banken gar keine Ersparnisse
       benötigen, um Kredite zu finanzieren – warum wird dann überhaupt gespart?
       Und warum wurden, zumindest in der Vergangenheit, zum Teil sehr hohe Zinsen
       für diese Spareinlagen gezahlt, obwohl sie doch eigentlich überflüssig
       sind?
       
       Um beim Sparen zu beginnen: Die meisten Bundesbürger wissen instinktiv,
       warum sie gern Geld zurücklegen würden. Sie wollen für die Zukunft
       vorsorgen. Sie sparen für ein Haus, fürs Alter oder für die Ausbildung
       ihrer Kinder. Auch die Unternehmen wollen gern sparen. Denn ein Gewinn
       fällt nur an, wenn die Einnahmen höher sind als die Ausgaben.
       
       ## Die Deutschen sparen
       
       Haushalte und Unternehmen sparen also oft auch dann, wenn es kaum oder gar
       keine Zinsen gibt. Dieses Phänomen ist auch jetzt wieder gut zu beobachten:
       Obwohl viele Banken sogar Negativzinsen verlangen oder ihre Kontogebühren
       erhöhen, sparen die Deutschen unverdrossen weiter.
       
       Damit stellt sich aber verschärft die zweite Frage: Warum gibt es überhaupt
       Zinsen, wenn doch sowieso munter gespart wird – und die Banken diese
       Ersparnisse eigentlich gar nicht benötigen, um Kredite zu vergeben?
       
       Der Zins ist die Kredit- und Inflationsbremse. Wenn Geld aus dem Nichts
       entsteht, indem Darlehen vergeben werden – dann könnte theoretisch
       unendlich viel Geld in die Welt gepumpt werden. Wenn jedoch unbeschränkt
       investiert und konsumiert wird, dann sind irgendwann sämtliche Fabriken und
       Arbeitskräfte ausgelastet, und es setzt eine Inflation ein.
       
       Genau in diesem Moment greifen die Notenbanken ein: Sie setzen den Zins
       hoch, sobald eine Inflation droht. Wenn aber die Zinsen steigen, ist es
       unattraktiv, noch Kredite aufzunehmen. Die Geldschöpfung endet vorerst.
       
       ## Was folgt?
       
       Mit ihren Ausführungen zur Geldschöpfung hat die Bundesbank Geschichte
       geschrieben – in Deutschland. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass andere
       Notenbanken schneller waren. Die Bank of England hat bereits 2014 auf ihrer
       Homepage erklärt, wie das Geld aus dem Nichts entsteht.
       
       Aber was folgt daraus politisch? Dazu sagt die Bundesbank nichts. Doch ist
       offensichtlich, dass Schäubles Politik der „Schwarzen Null“ genauso falsch
       ist wie der Sparkurs in der Eurozone.
       
       Um noch einmal an die Darstellung der Bundesbank zu erinnern: Ersparnisse
       können nur entstehen, wenn Kredite aufgenommen werden. Schulden und
       Vermögen gehören zusammen. Aber genau diese Realität ignorieren die
       meisten Deutschen und auch ihr Finanzminister beharrlich. Sie vertrauen
       lieber ihrem Bauchgefühl: Sie möchten zwar unbedingt sparen – aber
       gleichzeitig die Staatsschulden abbauen. Das funktioniert nicht. Wenn
       Schäuble spart und jede Kreditaufnahme vermeidet, dann verhindert er, dass
       seine Bürger neues Vermögen aufbauen können.
       
       Noch schlimmer ist es in der Eurozone: Die Krisenländer werden gezwungen,
       ihre Staatsausgaben zusammenzustreichen, und sollen möglichst keine neuen
       Schulden machen – sondern alte Kredite zurückzahlen. Auch das kann nicht
       funktionieren.
       
       ## Schäuble soll Kredite aufnehmen
       
       Denn woher sollen die Einnahmen kommen, um die Schulden abzubauen? Wer
       Kredite zurückzahlt, spart faktisch. Aber Ersparnisse kann es nur geben,
       wenn irgendjemand neue Schulden macht.
       
       Mainstreamökonomen mokieren sich über diese Tatsache gern mit der Sentenz,
       es sei Unsinn, „eine Schuldenkrise mit neuen Schulden zu bekämpfen“. Es mag
       zwar paradox sein, aber genau so funktioniert die Welt des Geldes, wie die
       Bundesbanker nun dargelegt haben.
       
       EZB-Chef Mario Draghi hat als langjähriger Notenbanker schon weit früher
       als die Bundesbank verstanden, dass neue Staatsschulden nötig sind. Keine
       Rede, in der er nicht dazu aufruft, dass die starken Euroländer, vorneweg
       Deutschland, „Fiskalpolitik“ betreiben sollen. Damit ist gemeint: Schäuble
       soll endlich Kredite aufnehmen. Investitionsprojekte gäbe es genug. So sind
       sich alle einig, dass das Internet die ökonomische Zukunft ist – aber
       leistungsfähige Internetverbindungen fehlen an vielen Orten Deutschlands.
       
       Außerdem gibt es jetzt noch ein ganz neues Investitionsprojekt, das
       zwingend ist: Alle Universitätsbibliotheken benötigen neue Lehrbücher über
       die „Makroökonomie“. Mankiw und alle anderen Mainstreamökonomen haben
       endgültig ausgedient, seit sich die Bundesbank zu Wort gemeldet hat.
       
       2 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dirk Ehnts
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Lesestück Meinung und Analyse
 (DIR) Geld
 (DIR) EZB
 (DIR) Finanzen
 (DIR) Europäische Zentralbank
 (DIR) EZB
 (DIR) Nobelpreis
 (DIR) EZB
 (DIR) Banken
 (DIR) G20-Gipfel
 (DIR) Schwerpunkt Krise in Griechenland
 (DIR) Schwerpunkt Emmanuel Macron
 (DIR) EZB
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kurswechsel der EZB: Zurück zum Gesetz des Dschungels
       
       So wie im Zoo Tiere gezielt gefüttert werden, versorgt die Europäische
       Zentralbank Staaten und Firmen mit Geld. Damit soll wohl bald Schluss sein.
       
 (DIR) Zinswende lässt auf sich warten: EZB kauft weiter Anleihen
       
       Die Europäische Zentralbank bleibt bei der Politik des billigen Geldes.
       Zinserhöhungen kommen frühestens, wenn auch mit den Anleihekäufen Schluss
       ist.
       
 (DIR) Treffen der Wirtschaftsnobelpreisträger: Ein Preis, der nicht nobel ist
       
       In Lindau am Bodensee tagen die 18 Preisträger. Es gibt Ärger um den Namen
       der Auszeichnung. Mario Draghi eröffnet das Treffen.
       
 (DIR) Geldpolitik der Europäischen Zentralbank: Umstrittener Anti-Krisen-Kurs
       
       Gegen die Geldschwemme der Europäischen Zentralbank gibt es Bedenken – vor
       allem in Deutschland. Jetzt meldet auch das Verfassungsgericht Zweifel an.
       
 (DIR) Kommentar Gebühren für Bankendienste: Unfaire Kleckerfinanzierung
       
       Banken bringen ihre Gebühren immer kreativer unter, das Nachrechnen wird
       immer komplizierter. Aber: Verbraucher haben die Wahl.
       
 (DIR) G20 und die Banken: Godzilla lebt!
       
       Die Finanzmärkte zerstörten 2008 fast die Weltwirtschaft. Seitdem erfanden
       die G20-Staaten eine Menge Regeln für Banken – und verfehlen doch das
       Thema.
       
 (DIR) Wirtschaftsprognosen zu Griechenland: Tausendmal verrechnet
       
       Seit Jahren fantasiert die EU-Kommission von sonnigen Aussichten für die
       griechische Wirtschaft. Stets sind die Prognosen falsch.
       
 (DIR) Frankreichs Präsident und Weltwirtschaft: Macrons bester Freund ist der Zins
       
       Der Weltgeist meint es gut mit dem neuen Präsidenten. Die ökonomische
       Wetterlage ist gut, die Effekte kann er alsbald für sich verbuchen.
       
 (DIR) Finanzpolitik in der EU: Die Inflation lässt die EZB kalt
       
       Die Preissteigerungsrate zog zuletzt im Euroraum an. Doch die Europäische
       Zentralbank bleibt bei einem Leitzins von null.