# taz.de -- Neue Biografie über Adam Smith: Das alles aus Sympathie
       
       > Die Rezeptionsgeschichte des Ökonomen Adam Smith hat viele Irrtümer
       > hervorgebracht. Eine neue Biografie korrigiert die Sicht auf seine Lehre.
       
 (IMG) Bild: Wirkt recht schlaff, diese unsichtbare Hand…
       
       Verleumdung ist ein Delikt und strafbar. Politische und propagandistische
       Instrumentalisierung von Texten ist keines von beidem. Wenige
       Gesellschaftstheoretiker wurden so bis an die Grenze zur Verleumdung
       instrumentalisiert wie der Schotte Adam Smith. Die Biografie von Gerhard
       Streminger ist nicht das erste Buch, aber ein wichtiges, das diesen
       propagandistischen Missbrauch zurechtrückt.
       
       Alt- und neoliberale Marktpriester reduzierten Adam Smith auf zwei
       Kernsätze: Erstens habe Smith mit seinem Hinweis, der Bäcker verkaufe Brot
       nicht aus Wohlwollen, sondern aus Egoismus, den [1][„Ego-Kapitalismus“ (FAZ
       24. 8. 2013)] begründet. Und zweitens werde der nicht durch Willkür oder
       gar staatliche Intervention gesteuert, durch das Wirken der „unsichtbaren
       Hand“ des Marktes, der allen zum Vorteil gereiche und gleichsam
       interesselos verfahre wie ein Gott. Damit wurden um die 99,9 Prozent von
       Smiths Werk wegdisputiert und versimpelt. Die zum Volksvorurteil geronnene
       Beschwörung von Smiths „unsichtbarer Hand“ wird von den Neoliberalen seit
       einigen Jahren zur Phrase von der „spontanen Ordnung“ (Karen Horn im
       Anschluss an Friedrich A. von Hayek) geadelt, aber sie wird dadurch nicht
       richtiger.
       
       Adam Smith, Ökonom und Aufklärer (1730–1790), war von 1751 an für 12 Jahre
       Professor für Moralphilosophie in Glasgow, danach für zwei Jahre Begleiter
       eines jungen Adligen auf dessen Kavaliersreise („grand tour“) durch
       Frankreich und von 1766 an bis zu seinem Tod Rentner und Privatgelehrter –
       dank der gut dotierten Leibrente eines Großgrundbesitzers. In dieser Zeit
       entstand sein Meisterwerk „An Inquiry into the Nature an Causes of the
       Wealth of Nations“ („Eine Untersuchung über die Natur und die Ursachen des
       Wohlstands der Nationen“), das 1776 erstmals erschienen ist.
       
       Das Buch machte Smith bekannt und berühmt – und den Autor zum Begründer und
       Klassiker der politischen Ökonomie und einem der Begründer der schottischen
       Aufklärung. Smith begann als Moralphilosoph, wie Streminger ausführlich
       darlegt. Er veröffentlichte 1759 „The Theory of Moral Sentiments“. In
       diesem komplexen Werk versuchte Smith , die anthropologischen Grundlagen
       menschlichen Zusammenlebens zu klären sowie das paradoxe Zusammenspiel von
       Eigeninteresse und Sympathie empirisch zu belegen.
       
       ## Nicht ichbezogen, sondern genuin sozial
       
       Das 17 Jahre später erschienene Buch über den „Wealth of Nations“ dagegen
       handelt nicht von Sympathie und moralischen Urteilen, sondern von
       Wohlstand, Profit, Lohn und anderen wirtschaftlichen Themen. Zwischen den
       beiden Büchern – dem des ethischen Menschenfreundes von 1759 und dem
       berechnende Ökonomen von 1776 – konstruierte man bereits im 19. Jahrhundert
       einen Abgrund.
       
       Die Biografie Stremingers belegt, dass diese These unhaltbar ist. Der erste
       Satz der „Theorie der ethischen Gefühle“ lautet: „Man mag den Menschen für
       noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in
       seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer
       teilzunehmen.“ Diese „natürliche“ Grundausstattung nennt Smith Sympathie.
       Als Kontrollinstanz führt er den „unparteiischen Zuschauer“ ein, der als
       selbstreflexiv Analysierender sich und sein Handeln prüft, um
       herauszufinden, wie er selbst von „seinen Brüdern“ betrachtet und behandelt
       werden möchte, nämlich mit Sympathie, die der Analysierende als
       naturgegeben unterstellt. Die Argumentation ist zwar zirkulär, aber sie
       beruht eben nicht auf einem ichbezogenen Prinzip, sondern auf dem Prinzip
       der wechselseitigen Achtung und der Abhängigkeit von Menschen voneinander –
       als genuin soziale Wesen.
       
       ## Ideologen verfälschen Smith
       
       Auf dieser Basis argumentiert Smith auch in seinem Werk „Wealth of
       Nations“. Das heißt, er stützt sich eben gerade nicht – wie ihm unterstellt
       wird – auf borniert-egoistische Interessen- und Profitkalküle Privater.
       Seine grundlegende Einsicht lautet: „Nicht von dem Wohlwollen der
       Fleischers, Brauers oder Bäckers erwarten wir unsere Mahlzeit, sondern von
       ihrer Rücksicht auf ihr eigenes Interesse (but from their regard to their
       own interest). Wir wenden uns nicht an ihre Humanität, sondern an ihre
       Eigenliebe (but to their self-love) und sprechen ihnen nie von unseren
       Bedürfnissen, sondern von ihren Vorteilen.“ Die beiden Sätze werden
       meistens verkürzt-verfälschend interpretiert – nämlich im Horizont von
       Privatkalkülen des Ego-Kapitalismus beziehungsweise Marktradikalismus.
       
       Die Verfälschung besteht darin, dass Ideologen aus der oft zitierten Stelle
       kurzschließen, Smith betrachte Eigenliebe, Eigeninteresse oder Eigennutz
       als erstes und einziges Motiv sowie als entscheidende und treibende Kraft
       wirtschaftlichen Verhaltens. Das meint Smith jedoch an keiner Stelle seines
       1.000 Seiten starken Buches. Es geht Smith nie um die Motive, sondern vor
       allem um die anthropologische Basis des menschlichen Handelns. Im
       geselligen Zusammenleben ist es Sympathie, aus der heraus Menschen Gefühle
       und Gemütsausdrücke miteinander austauschen.
       
       ## Die Biografie wird dem radikalen Aufklärer gerecht
       
       Der Schlüssel zum Verständnis der oben zitierten Passage ist nicht das
       materielle Interesse oder Motiv des Fleischers oder Bäckers, sondern die
       existenzielle Voraussetzung jeden Lebens: das Interesse der
       Selbsterhaltung. „Gib mir, was ich will, und du sollst haben, was du
       willst.“ Denn der zivilisatorische Fortschritt in einer arbeitsteiligen
       Tauschgesellschaft besteht gerade darin, dass nicht jeder und jede selbst
       herstellen muss und kann, was er bzw. sie zum Überleben benötigt. Der Zwang
       zu Kooperation und zu gegenseitiger Hilfe entspringt nicht egoistischen
       Kalkülen, sondern ist die gemeinschaftliche Basis der Mitglieder von
       Tauschgesellschaften.
       
       Die politische Ökonomie hatte Smiths Meinung nach nicht die Aufgabe,
       Rezepte anzubieten, wie die Reichen reicher und die Armen ärmer gemacht
       werden konnten, sondern „erstens den Menschen reichlich Einkommen und
       zweitens dem Staat genügend Einnahmen zu verschaffen, um öffentliche
       Dienste zu erfüllen“. Mit Neoliberalen und Marktradikalen, die den
       „schlanken Staat“, niedrige Steuern für Unternehmen, niedrige Löhne und
       Markt predigen, hatte Adam Smith nur eines übrig: radikale Aufklärung und
       Kritik. Diese Biografie wird dem genialen Aufklärer gerecht.
       
       6 May 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftswissen/die-weltverbesserer/adam-smith-der-segen-des-egoismus-12536505.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Walther
       
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