# taz.de -- Kolumne Knapp überm Boulevard: Foucault und die „unsichtbare Hand“
       
       > Vor über 30 Jahren hat Michel Foucault das Dilemma der politisch
       > undurchdringlichen Ökonomie beschrieben. Seine Analyse ist gerade in der
       > Krise hochaktuell.
       
       Heute mal leicht verdientes Kolumnistengeld: die Nacherzählung von dem, was
       ein anderer gesagt hat. Dieser andere ist Michel Foucault, und was er
       gesagt hat, hat er 1979 gesagt, am 28. März.
       
       In einer Vorlesung über liberales und neoliberales Denken hat er sich der
       „unsichtbaren Hand“ gewidmet, jenem Topos, mit dem Adam Smith, der
       Begründer der Nationalökonomie, die Mechanik des Marktes zu denken
       versucht: eine Mechanik, wonach jeder nur seinem eigennützigen Interesse
       folgt und dennoch – „wie von unsichtbarer Hand geleitet“ – ein
       funktionierender ökonomischer Gesamtprozess entsteht.
       
       Diese Vorstellung wurde in den vergangenen Jahren zu einer zentralen
       Metapher des neoliberalen Diskurses: der Markt als jene wundersame
       Maschine, in die man Eigennutz einspeist und Gemeinwohl herauskommt.
       
       Was ist diese „unsichtbare Hand“, fragt Foucault. Die gängigen Erklärungen
       lauten: das sei Smith’ ökonomischer Optimismus oder ein theologischer Rest,
       die Vorsehung oder der Platz eines wohltätigen Gottes, der über den
       Wirtschaftsprozess wachen würde. In jedem Fall aber gehe es darum, dass es
       eine Transparenz der ökonomischen Welt gebe, zwar nicht für den Einzelnen,
       aber für einen privilegierten Blick. An diesem Punkt hakt Foucault ein.
       
       Für ihn ist nicht Adam Smith’ „Hand“ das Entscheidende, sondern das andere
       Element: die Unsichtbarkeit. Diese Unsichtbarkeit bewirkt, dass kein
       ökonomischer Akteur „das Kollektivwohl suchen soll und kann“. Kein
       ökonomischer Akteur, aber auch kein politischer – ergänzt Foucault. Das ist
       der springende Punkt: Die Welt der Wirtschaft bleibt für den politischen
       Souverän undurchdringlich. Das hat zweierlei zur Folge.
       
       ## Eigennutz als wesentliche Produktivkraft
       
       Zum einen: Die Politik hat nicht einzugreifen. Wenn die ökonomische
       Mechanik dadurch funktioniert, dass jeder seinem eigenen Interesse folgt,
       dann darf gemäß dieser Logik die Regierung die Individuen darin nicht
       behindern. Der Eigennutz ist deren wesentliche Produktivkraft. Deshalb muss
       für diese das Laisser-faire gelten.
       
       Zum anderen aber heißt es auch, dass es keinen übergeordneten Blick gibt,
       der den Wirtschaftsprozess vollständig erfasst – auch und vor allem nicht
       jenen der Politik. Die Wirtschaft ist für die Politik nicht planbar. Die
       Vorstellung einer willentlichen Lenkung der ökonomischen Prozesse sind in
       dieser Perspektive nur ein Trugbild, ein Fehlschluss.
       
       Die politische Ökonomie der Mitte des 18. Jahrhunderts „befreit“ den
       politischen Souverän von der Aufgabe, die Gesamtheit des
       Wirtschaftsprozesses zu überwachen. Sie behauptet die Welt der Wirtschaft
       als unkontrollierbar. Diese Unerkennbarkeit sei Grundlage für ihr
       Funktionieren.
       
       Es ist nicht nur bemerkenswert, dass Foucault diese ganze Diskussion
       bereits 1979 vorwegnahm. Seine Dekonstruktion der zentralen Metapher des
       neoliberalen Diskurses ist auch heute noch ein Erkenntnisgewinn. Denn er
       zeigt, dass die „unsichtbare Hand des Marktes“ das Gegenteil von dem ist,
       was man gemeinhin darunter versteht: weder Transparenz noch theologischer
       Rest. „Die Ökonomie ist“, so Foucault, „eine atheistische Disziplin; die
       Ökonomie ist eine Disziplin ohne Gott; die Ökonomie ist eine Disziplin, die
       die Unmöglichkeit einer souveränen Perspektive manifestiert.“
       
       ## Fluch der Ökonomie
       
       Die Zurückweisung des Souveräns beschränkt sich nicht darauf, die
       politische und die ökonomische Welt als unvereinbare und unverträgliche
       Welten darzustellen. Der Theorie der „unsichtbaren Hand“ geht es vielmehr
       darum, die Rolle des politischen Machthabers herabzusetzen. Der moderne
       Liberalismus ist eine Ablehnung des „gesamten politischen Projekts“, eine
       Ablehnung „der politischen Vernunft“. Und Sozialismus, Planwirtschaft,
       gesteuerte Wirtschaft oder Wohlfahrtsökonomie sind, so Foucault, Versuche,
       den „Fluch der politischen Ökonomie“ gegen den politischen Souverän zu
       überwinden. Versuche, die Frage zu stellen: Kann es nicht trotz allem eine
       ökonomische Souveränität geben?
       
       Und Foucault schließt mit der Feststellung: „Das Regieren kann nicht die
       Ökonomie als Prinzip, Gesetz, Richtlinie oder innere Rationalität haben.
       Man muss mit der Ökonomie regieren, man muss an der Seite der Ökonomie
       regieren, aber es ist ausgeschlossen, dass die Ökonomie die Rationalität
       der Regierung ist.“
       
       24 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Isolde Charim
 (DIR) Isolde Charim
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Aufklärung
 (DIR) Sido
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Neue Biografie über Adam Smith: Das alles aus Sympathie
       
       Die Rezeptionsgeschichte des Ökonomen Adam Smith hat viele Irrtümer
       hervorgebracht. Eine neue Biografie korrigiert die Sicht auf seine Lehre.
       
 (DIR) Kolumne Knapp überm Boulevard: Authentischer Fausthieb
       
       Street Credibility hat bei Rapper Sido immer noch höchste Priorität. Das
       bekam nun auch ein Society-Reporter des österreichischen Fernsehns zu
       spüren.
       
 (DIR) Kolumne Knapp überm Boulevard: Weniger Ich
       
       Die Frage an die Schule muss lauten: Welche Art von Subjekten soll sie am
       Ende ihrer Tätigkeit der Gesellschaft, dem Leben, übergeben.
       
 (DIR) Kolumne Knapp überm Boulevard: Schafft das Feuilleton nicht ab!
       
       Schon lange galt es als überholt, doch immer wieder hat sich das Feuilleton
       neu erfunden. In ihm werden nicht mehr Zensuren vergeben, sondern das Leben
       hinterfragt.