# taz.de -- Prostitution bei Geflüchteten in Berlin: Perspektivlos im Park
       
       > Junge Geflüchtete prostituieren sich im Tiergarten, viele finanzieren
       > damit ihre Drogenabhängigkeit. Streetworker scheitern an bürokratischen
       > Hürden.
       
 (IMG) Bild: Dunkles Kapitel: Geflüchtete Sexarbeiter
       
       Die jungen Männer stammen aus Afghanistan, Iran oder Pakistan. Im
       Tiergarten bieten sie älteren Männern Sex gegen Geld an. Er rechne damit,
       dass ihre Zahl nun, wo es warm wird, weiter ansteigen werde, sagt Ralf
       Rötten vom Verein „Hilfe für Jungs“. So war es auch im vergangenen
       Frühling, als er und seine Mitarbeiter die jungen Geflüchteten erstmals im
       Tiergarten antrafen. Die Verbindung Flucht und Prostitution sei altbekannt,
       sagt Rötten. „Überall auf der Welt wählt ein Teil junger Männer im
       Zuwanderungsland diese Möglichkeit des Gelderwerbs.“
       
       Die Streetworker suchen die sich prostituierenden Männer regelmäßig auf, um
       mit ihnen über Safer Sex und die Gefahren einer HIV-Infektion zu sprechen
       sowie über Hilfsangebote zu informieren. 382 Beratungskontakte hatten die
       Mitarbeiter von „Hilfe für Jungs“ vergangenes Jahr im Tiergarten mit
       Menschen aus dem arabischen oder mittelasiatischen Raum. Auch junge Männer
       aus Südosteuropa, aus Rumänien und Bulgarien, gehören seit mehreren Jahren
       zu ihren Klienten. Auch sie prostituieren sich im Tiergarten, doch anders
       als die jungen Geflüchteten haben sie keine größere öffentliche
       Aufmerksamkeit erlangt.
       
       Die Angehörigen beider Gruppen – der Geflüchteten und der EU-Bürger – seien
       zwischen 18 und 30 Jahre alt, sagt Ralf Rötten. Minderjährige unbegleitete
       Flüchtlinge seien nicht dabei. Nachvollziehbar, meint er, denn die bekämen
       sozialpädagogische Betreuung, würden in Jugendhilfeeinrichtungen
       untergebracht, gingen zur Schule, lernten Deutsch, würden engmaschig
       betreut.
       
       Wer aber gerade volljährig alleine nach Deutschland gekommen sei, habe auf
       all das keinen Anspruch. Stammten sie nicht aus Syrien oder dem Irak, seien
       diese gerade erwachsen gewordenen Männer während des monatelangen
       Asylverfahrens zum Nichtstun verdammt. Sie dürften keinen Integrationskurs
       belegen, nicht arbeiten, keine Ausbildung anfangen und seien auf sich
       allein gestellt. „Diese Männer sind die wirklich Gefährdeten“, so Rötten.
       Dass sie sich selber Wege des Gelderwerbs suchten, findet er „menschlich
       völlig nachvollziehbar“.
       
       ## Sex gegen Kost und Logis
       
       Nach den Erkenntnissen des Streetworkers prostituiert sich keiner der
       jungen Geflüchteten im Tiergarten aus Zwang. Einige kommen aus anderen
       Bundesländern, sind nach Ablehnung ihres Asylantrags in Berlin
       untergetaucht und fürchten nun eine Abschiebung. Andere haben Plätze in
       Berliner Flüchtlingsunterkünften, manche mussten ihre Heime wegen Verstößen
       gegen die Hausordnung verlassen und sind bei Bekannten untergekommen.
       
       Auch sind Fälle bekannt, in denen junge Männer bei Freiern eingezogen sind
       – Sex gegen Kost und Logis. Und sehr viele sind drogenabhängig: 90 Prozent,
       schätzt Rötten, in ganz unterschiedlichen Stadien der Abhängigkeit. Sie
       alle benötigten das mit der Prostitution verdiente Geld für ihre Sucht.
       
       Der junge Mann, der für diesen Artikel Sam genannt werden möchte, hat bis
       vor zwei Wochen im Tiergarten gelebt. Der 29-jährige Iraner gehörte zu
       einer Gruppe junger Männer, die dort Drogen konsumiert, sich zum Teil
       prostituiert und auch übernachtet haben. Dank der Unterstützung einer
       Sozialarbeiterin des Vereins KommMit e. V. hat Sam seit zwei Wochen einen
       Wohnheimplatz. KommMit ist vom Bezirksamt Mitte seit März beauftragt, sich
       um die Männer im Tiergarten zu kümmern. Die Sozialarbeiterstelle umfasst 20
       Wochenstunden und läuft zunächst bis Ende Mai.
       
       Sam ist ein schmaler, ernster junger Mann. Während des Gesprächs in den
       Räumen von KommMit behält er seine Steppjacke an. Sie seien zu acht im
       Tiergarten gewesen, erzählt Sam, manchmal auch mehr oder weniger, die
       meisten aus Afghanistan. Er stieß zu der Gruppe, als er es im
       Flüchtlingswohnheim, wo er untergebracht war, nicht mehr aushielt.
       
       ## Opium und Heroin
       
       Eng, voll und laut sei es dort gewesen, die Verpflegung so schlecht, dass
       er nichts habe essen können. Dort habe er wieder begonnen, Drogen zu
       nehmen, was er nicht getan hatte, seit er 2015 allein nach Deutschland
       gekommen war. Drogen und psychische Probleme begleiteten ihn seit seiner
       Kindheit im Iran, sagt Sam. 2016 verbrachte er einige Zeit in der
       Psychiatrie. Prostituiert habe er sich im Tiergarten nicht, auch mit den
       Drogen habe er wieder aufgehört.
       
       Unter Suchthilfeexperten ist die Rede von einer „merklichen Zunahme“
       Drogenabhängiger unter den nach Deutschland Geflüchteten. Im Mai 2016 lud
       die Drogenbeauftragte der Bundesregierung deshalb zu einer Konferenz zum
       Thema „Flüchtlinge und Sucht“. In einem Artikel der Ärztezeitung hieß es
       vor einem knappen Jahr, nach Schätzungen sei jeder zweite Flüchtling
       traumatisiert, und nicht selten stelle die Einnahme von Drogen „eine
       Selbstmedikation“ dar. In vielen Herkunftsländern Geflüchteter ist
       Drogenkonsum auch kulturell verankert: Afghanistan und Iran etwa zählen
       weltweit zu den Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Konsum von Opium und
       Heroin.
       
       In der Organisation KommMit wird damit derzeit Pionierarbeit geleistet:
       Denn ob die drogenabhängigen Geflüchteten im Tiergarten – auch diejenigen,
       die als Geflüchtete bereits anerkannt wurden – überhaupt Zugang zum
       Suchthilfesystem in Berlin haben, muss erst noch herausgefunden werden.
       „Wir hoffen, dass Behörden und Senat Vernunft walten lassen und den
       Menschen Zugang zur Methadon-Behandlung gewähren“, sagt Walid Chahrour vom
       Verein KommMit.
       
       ## Wenig Hilfe möglich
       
       Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) kündigte Mitte April an, sie wolle
       demnächst mit der Sozialsenatorin und dem zuständigen Bezirksamt über die
       jungen Geflüchteten im Tiergarten sprechen. Ralf Rötten von „Hilfe für
       Jungs“ ist skeptisch, dass den jungen Männern wirklich geholfen werden
       kann. Seiner Ansicht nach helfen Geld und weitere Sozialarbeiterstellen
       kaum. Solange Asylverfahren eine Bearbeitungsdauer von vielen Monaten
       hätten, solange es die Bundesregierung für vertretbar halte, Afghanen in
       ihr Herkunftsland zurückschicken, könne man als Sozialarbeiter für die
       jungen Geflüchteten wenig tun.
       
       Auch bei den sich im Tiergarten prostituierenden Rumänen und Bulgaren sieht
       er „politische und strukturelle“ Hintergründe: Blieben die Lebenschancen
       innerhalb der Europäischen Union so ungleich verteilt, kämen junge Menschen
       weiter nach Deutschland und erzielten ihre Einkünfte durch Prostitution, so
       der Streetworker: „Als Sozialarbeiter können wir in vielen Fällen dann nur
       karitativ tätig sein und eine warme Suppe anbieten.“
       
       24 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jutta Herms
       
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