# taz.de -- Die Wahrheit: Reparationsbedürftig
       
       > Vor der Frankreich-Wahl: Was bisher im seltsamsten Land der Welt geschah
       > und warum uns dieses Randgebiet der Weltgeschichte interessieren sollte.
       
 (IMG) Bild: Cherchez la femme: Typische Französin in ihrer Sonntagsburka
       
       In Frankreich wird in diesen Tagen ein neuer Häuptling gewählt – und
       vielleicht wird es diesmal kein Majestix, sondern eine Bösemine. Höchste
       Zeit, sich mal wieder gründlich umzusehen in der beschaulichen
       Fünftel-Republik.
       
       „Gallia omnia divisa est in partes tres“, beginnt Julius Baedecus Cäsars
       kleiner Frankreichführer von 50 v. Chr., und mit der Einschätzung „Ganz
       Gallien hat gerade mal genug Devisen, um sich drei geteilte Bäume zu
       kaufen“ lag Cäsar goldrichtig. Denn das kleine Ländchen am westlichen
       Rheinufer ist bis heute ziemlich klamm.
       
       Der wichtigste Politiker dort ist ein Fabelwesen namens Lafontaine, dessen
       wichtigste Mätressen wiederum Wagenknecht und Karrenbauer heißen und aus
       der Autoindustrie stammen. Diese ist laut einem geistreichen Diktum von
       Mehmet Scholl-Latour „der stotternde Motor der französischen
       Volkswirtschaft“: Die in Frankreich führenden, ursprünglich jedoch
       uckermärkischen Hersteller Rhenow, Püschow und Zitrow gingen 1680 als
       Reparationen an den Erbfeind und damit zielstrebig ihrem Niedergang
       entgegen.
       
       Heute sind sie gemäß einem bissigen Bonmot der stets mit Esprit
       vollgetankten Franzosen „selbst reparationsbedürftig“. Darauf einen „Café
       oh weh“, wie der Volksclochard launig anmerkt.
       
       ## Prachtvolle Historie
       
       Sein Selbstbewusstsein zieht das kleine Reich allein aus seiner
       prachtvollen Historie. Im 17. Jahrhundert regierte König Saarlouis XIV. mit
       absoluter Macht. Er war vom Stamme Nîmes und häufte Reichtümer wie Juwelen
       und seltene Playmobilfiguren an; zudem erfand er das Sonnenbad. Von der
       Pracht seiner Schlösser ist jedoch leider nichts geblieben außer einer
       kleinen Hütte in Völklingen.
       
       Auch im 20. Jahrhundert prägten Franzosen noch einmal – kurz, aber ruhmlos
       – die Weltgeschichte. Denn „Erisch Onecker“ war ursprünglich gelernter
       Franzose und schulte erst wesentlich später auf Dachdecker um.
       
       Aber heute? Das Tourismusministerium des abgeschiedenen Ländchens gibt sich
       alle Mühe, Frankreich in den Schlagzeilen zu halten. So hat man am Rande
       der Hauptstadt eine pittoreske Banlieue errichtet: La Baguette. Jeden
       Samstag führen hier „perspektivlose Jugendliche“ das Stück „La grande
       rébellion“ aus der Feder des Marquis de Sartre auf. Und auch für Gegner hat
       man gesorgt: Eine Gruppe besorgt dreinblickender, schnauzbärtiger
       Baskenmützenträger, die sich „Les Depardieux“ nennt, fordert die
       Abschiebung aller Fremden – jedenfalls, sofern sie nicht von hier sind.
       
       Die Depardieux fordern im übrigen auch die konsequente Einhaltung der
       nationalen Kulturquote: Mindestens 40 Prozent der in Frankreich
       synchronisierten Filme müssen einheimische Produktionen sein. Aber die
       sympathischen Rassisten mögen es eigentlich gemütlich: Wann immer eine
       hübsche Frau vorbeikommt, umringen sie sie, machen gemeinsam die
       La-o-là-là-Welle und reiben ihre Schnurrbärte an dem der Fille belle. Doch
       erst der Fußball selbst zeigt die ganze Widersprüchlichkeit Frankreichs:
       Der beliebteste Spieler ist ein narbengesichtiger Mohammedaner, der
       liebevoll „Franck National“ genannt wird.
       
       Aber ausgerechnet mit ihrem bekanntesten Wahrzeichen hadern die Franzosen:
       „La Tourette, dieser scheißverfickte Eisenturm!“, stöhnt unser Führer
       Armand, den wir an einer Fünf-Gänge-Bude treffen, die gerade ihren dritten
       Stern eingebüßt hat. „Mehr als die Hälfte unseres Sozialprodukts geht für
       Rostschutzfarbe drauf. Und der Rest für den Import von Rotwein, weil alle
       Welt glaubt, der gehöre zu unserer Kultur. Dieses Gesöff der feinen Pinkel
       passt doch gar nicht zu uns Kumpels. Wenn Deutschland uns nicht jedes Jahr
       hektoliterweise Wagon de Compiègne liefern würde, wären wir
       aufgeschmissen.“
       
       ## Sagenumwobenes Grenzland
       
       Tatsächlich wird es inzwischen als Fehler betrachtet, die
       Identitätsprobleme des agilen Grenzlandvolks ausgerechnet über den Mythos
       der sagenumwobenen „petite cousine française“ lösen zu wollen. Der Kleine
       Prinz hat das in seiner unnachahmlich kindischen Art auf den Punkt
       gebracht: „Auch wenn einem Froschschenkel in die Schuhe geschoben werden,
       kann man keine großen Sprünge machen.“
       
       Die kommenden Wahlen elektrisieren das ganze Land. Mit großer Furcht sehen
       die Franzosen gerade der Stichwahl am 7. Mai entgegen. Dem grausamen Ritual
       sind im Laufe der Geschichte immer wieder die Zweitbesten ihres Volkes zum
       Opfer gefallen. Dieser Blutzoll der Auserwählten zieht sich wie ein toter
       Faden durch die französische Geschichte.
       
       Aber es gibt auch Positives: In Südfrankreich dürfen endlich wieder alle
       drei Strophen der Bouillabaisse gesungen werden. So sah es zumindest die
       „Grande vision génerale nationale bombastique“ des ehemaligen
       Präsidentschaftskandidaten Narkozy vor. Darauf ein Service de Messieurs:
       eine Cervisia und einen Grain Double!
       
       21 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Oliver Domzalski
       
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