# taz.de -- Chris Kraus' Buch „I love Dick“: Lernt, das weibliche Monster zu lieben
       
       > Bekenntnisliteratur einer neuen Art war Chris Kraus’ „I love Dick“, als
       > das Buch 1997 erschien. Ihre Thesen über kreative Frauen sind aktuell.
       
 (IMG) Bild: Versteckt ihr Begehren nicht: die Autorin Chris Kraus
       
       Es gibt so viele schöne, kluge Stellen über die Verhältnisse zwischen
       Frauen und Männern in Chris Kraus’ Buch „I love Dick“, dass es nicht leicht
       fällt, sich für einige wenige Zitate zu entscheiden. „Auch ich habe vor, zu
       einem weiblichen Monster zu werden“ ist jedenfalls sehr gut und verrät viel
       über das, was die 1955 geborene US-amerikanische Filmemacherin und Autorin
       in ihrem erstmals vor zwanzig Jahren erschienenen, alle Genregrenzen
       sprengenden Prosastück verhandelt.
       
       Als monströs erscheinen in den Augen ihrer männlichen Künstlerkollegen
       Frauen, die beanspruchen, in ihrer Kunst das Persönliche, inklusive
       körperlicher Erfahrungen, nicht nur nicht auszuschließen, sondern es zum
       Ausgangspunkt ihrer Kunst zu machen. Monströs erscheint es vielen Männern,
       wenn Frauen sie begehren und dabei nicht auf ihren Intellekt verzichten
       wollen.
       
       In diesen Erfahrungen erkennt Kraus Strukturen, ihnen will sie sich nicht
       länger unterwerfen, also geht sie schreibend in die Offensive. Aber da sind
       wir schon im zweiten Teil von „I love Dick“.
       
       Klar, dass es im Deutschen keinen anderen Titel geben kann, die dreifache
       Bedeutung von „dick“ – „blödes Arschloch“, „Schwanz“ und Name – passt
       einfach perfekt: Chris Kraus begehrt Männer und verliebt sich in einen
       namens Dick, und zwar in den Kulturtheoretiker Dick Hebdige, einen Kollegen
       ihres Mannes Sylvère Lotringer. Letzterer ist wesentlich älter als Chris,
       ein bekannter Literaturwissenschaftler und Verleger poststrukturalistischer
       Texte, was zu jener Zeit in der New Yorker Intellektuellen- und
       Künstlerszene absolut angesagt ist. Alle Personen sind real.
       
       ## Selbstentblößung ist keine Erniedrigung
       
       Ein paar Blicke von Dick während eines Abendessens reichen aus, um bei
       Chris eine auch sehr sexuelle Obsession auszulösen, die einseitig bleibt.
       „Szenen einer Ehe“ heißt der erste Teil des Buchs, in dem davon erzählt
       wird, und das ist insofern treffend, als Sylvère in die Amour fou seiner
       Frau einsteigt. Gemeinsam schreiben sie Dick Briefe, die sie zunächst nicht
       abschicken, oder interpretieren stundenlang einen kurzen Anruf von ihm. Es
       sind übergriffige Briefe, maßlose Projektionen. Anfangs belebt Chris’
       Begehren nach dem anderen die brachliegende Sexualität des Paars. Später
       wird sie sich von Sylvère trennen.
       
       „Bekenntnisliteratur“ hat Kraus ihr Schreiben genannt. Es ist radikal
       autobiografisch, zugleich aber sind selbst die Momente der Selbstentblößung
       reflexiv gebrochen. „Glaubst du nicht auch, dass es durchaus möglich ist,
       etwas zu tun und es zugleich zu erforschen?“, schreibt sie Dick. Da hat sie
       endlich mit ihm geschlafen, danach aber eine brutale Abfuhr erhalten.
       „Warum glauben eigentlich alle, dass Frauen sich erniedrigen, wenn wir die
       Bedingungen unserer eigenen Erniedrigung bloßstellen?“, heißt es an anderer
       Stelle.
       
       „I love Dick“ – eine damals ganz neuartige Mischung aus Briefen, Tagebuch,
       Essay – ist eine Art „Fallstudie“. Kraus erforscht sich selbst: die in
       ihren Augen gescheiterte Künstlerin in ihrer selbstverneinenden Sucht nach
       der Anerkennung (und Liebe) der Männer. Der herrliche Clou ist, dass sie
       sich genau darüber eine „Position“ als Frau, Künstlerin und Intellektuelle
       erschreibt.
       
       ## Künstlerinnen als Objekt männlicher Abwertung
       
       Die Briefe an das abwesende Liebesobjekt im zweiten Teil sind assoziative
       und zugleich genaue Betrachtungen über die Erwartungen an Frauen, ihre
       Rollen im Intellektuellen- und Kunstbetrieb und gehen über in kluge
       Analysen der unterschiedlichen Bewertungen von „weiblicher“ und
       „männlicher“ Kunst: „Wer darf sprechen und warum?“
       
       Viele Künstlerinnen verschiedener Sparten ruft Kraus auf. Besonders viel
       Aufmerksamkeit widmet sie Hannah Wilke, die ihren nackten Körper offensiv
       in ihre als feministisch verstandene Kunst einbrachte. Wie viele andere
       musste sie sich männliche Abwertungen gefallen lassen, ihre Kunst sei von
       Hass und Aggression erfüllt. Zu emotional. Zu persönlich. Kraus zeichnet
       das Funktionieren dieses patriarchalen Ausschluss- und Wertesystems nach.
       Wichtig ist dabei ihr Verständnis vom Persönlichen in der Kunst: „Ich will
       eine Welt gestalten, die interessanter ist als meine Probleme. Deshalb muss
       ich meine Probleme gesellschaftlich darstellen.“
       
       1997 interessierten sich für derlei Erkenntnisse nur wenige; bei der
       Neuauflage 2006 war das schon anders. Heute betonen Autorinnen wie Leslie
       Jamison und Sheila Heti oder „Girls“-Erfinderin Lena Dunham, wie
       inspirierend die Lektüre für sie gewesen sei. Ab Mai wird es gar eine auf
       dem Buch basierende Serie auf Amazon geben.
       
       Kraus’ Thesen sind heute gängig, aktuell sind sie in vielerlei Hinsicht
       immer noch. „Weibliche Monster“ in ihrem Sinne sind auch heute noch oft
       gefürchtet – es kann gar nicht genug von ihnen geben.
       
       9 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Carola Ebeling
       
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