# taz.de -- Flüchtlingshelfer gründet Gewerkschaft: Eine Lobby für die Ehrenamtlichen
       
       > Viele Flüchtlingshelfer sind unzufrieden mit der Asylpolitik. Raffael
       > Sonnenschein will jetzt Druck von unten machen.
       
 (IMG) Bild: Notfalls streiken die Flüchtlingshelfer
       
       Berlin taz | Von Angela Merkel ist er noch nicht enttäuscht. „Ich habe
       Verständnis für ihre Situation, sie kann ihre Stammwähler nicht vor den
       Kopf stoßen“, sagt Raffael Sonnenschein. „Aber sie hätte sich vielleicht
       von Horst Seehofer trennen müssen.“
       
       Ihr Satz vom Herbst 2015, dies sei „nicht mehr mein Land“, wenn man sich
       dafür entschuldigen müsse, dass man Flüchtlingen ein freundliches Gesicht
       zeige, beeindruckt ihn bis heute. „Mit dem Satz hat sie mich gewonnen“,
       sagt er. Kurz darauf gründete er in seiner Heimatstadt Landsberg am Lech in
       Oberbayern eine Flüchtlingsinitiative.
       
       Eineinhalb Jahre ist das her. In dieser Woche war Raffael Sonnenschein im
       Kanzleramt, wo er mit hochrangigen Mitarbeitern aus dem Koordinierungsstab
       von Merkels Flüchtlingsbeauftragtem Peter Altmaier gesprochen hat. Er trägt
       Jeans, schwarzes Hemd und gestreiftes Jackett und trinkt einen Milchkaffee,
       als er anschließend im Café davon erzählt.
       
       Er ist unzufrieden, wie es mit der Flüchtlingspolitik weitergeht. Deshalb
       hat er einen Verein gegründet, mit dem er Flüchtlingshelfer bundesweit
       organisieren will, er nennt sich Veto. Eine Art „Gewerkschaft“ soll das
       werden, die Druck auf die Politik machen soll, notfalls per Streik.
       
       ## Kein Pfennig Projektförderung
       
       Rund 2.000 Menschen, die sich in Helferkreisen organisieren, vertritt er
       bereits. 10.000 müssten es mindestens werden, findet er. Er selbst hat auf
       Facebook 18.000 Follower.
       
       „Es ist höchste Zeit dafür. Ich habe das Gefühl, viele Flüchtlingshelfer
       kapitulieren und ziehen sich zurück“, sagt Sonnenschein. In der Politik
       stünden nun Abschiebungen und Abschreckung an erster Stelle. Die Interessen
       der Flüchtlinge und ihrer Helfer kämen dabei unter die Räder. „Wir haben
       anderthalb Jahre mit diesen Menschen gearbeitet. Wir wollen, dass ihre
       Integration gelingt.“
       
       Von Haus aus ist Raffael Sonnenschein freiberuflicher Dozent und Künstler.
       Von Oktober 2014 arbeitete er ein Jahr lang beim Bundesamt für Migration
       und Flüchtlinge (Bamf) in Nürnberg und warf einen Blick hinter die
       Kulissen. Als Merkel ihren berühmten Satz sagte, kündigte er und gründete
       seinen Helferkreis. „Da habe ich die Seiten gewechselt“, sagt er.
       
       Mit knapp 40 Mitstreitern, darunter Ärzte, Richter und Pensionäre,
       organisierte er Deutschkurse und Sportveranstaltungen, ging mit den
       Flüchtlingen Eis laufen und kegeln. Aus dem losen Helferkreis wurde ein
       Verein: „Integrationshilfe Lläuft“, das zweite L steht für Landsberg. Man
       schmiedete Pläne für ein Nachhilfezentrum oder eine Jobbörse für
       Flüchtlinge. „Leider gab es keinen Pfennig an kommunaler Projektförderung
       dafür“, ärgert sich Sonnenschein.
       
       ## Warnstreik der Flüchtlingshelfer
       
       Dass nicht arbeiten kann, wer keine Bleibeperspektive hat – „und das trifft
       auf fast alle zu, außer Syrer, Eritreer und Iraker“ –, will Sonnenschein
       nicht in den Kopf. „Ich kenne viele Fälle von Leuten, die gerne arbeiten
       würden, aber nicht dürfen. Für die gäbe es freie Stellen, in Bäckereien,
       Altersheimen oder Kfz-Werkstätten. Aber das wird von den Behörden erschwert
       oder behindert, mit bürokratischen Schikanen.“
       
       Mit einer 24-stündigen Protestaktion sorgte seine Initiative im Oktober
       2016 für Aufsehen. In ganz Bayern schlossen sich Flüchtlingshelfer einem
       „Warnstreik“ an, um gegen die verschärfte Asylpolitik und die Rhetorik der
       regierenden CSU zu protestieren.
       
       „2016 ist die Stimmung gekippt, und das Wort Flüchtlingshelfer wurde ein
       Schimpfwort. Wir sind bedroht worden, von Rechten in der Region“, erzählt
       Sonnenschein. Zwei Strafanzeigen hat er gestellt, doch er lässt sich nicht
       einschüchtern und auch nicht hinhalten. Im Februar 2017 wurde er zum
       Gespräch ins Bayerische Staatsministerium eingeladen, aus 90 Minuten wurden
       zweieinhalb Stunden. Nun also war er im Kanzleramt.
       
       Ein 18-Punkte-Papier hat seine Initiative ausgearbeitet, das Vorschläge und
       Forderungen für eine deutlich großzügigere Asylpolitik macht. Dazu gehören
       der Ruf nach einer Sprachförderung für alle Asylbewerber, unabhängig von
       ihrer Bleibeperspektive, der Verzicht auf Abschiebungen, insbesondere von
       Kindern und in Kriegsgebiete, und mehr Maßnahmen zu ihrer Integration.
       
       ## Lange nicht als politische Akteure wahrgenommen
       
       Zentral ist der Ruf nach mehr Mitsprache für Flüchtlingshelfer, bis hin zu
       einem Vetorecht bei der Ausarbeitung von Gesetzen, und finanzieller
       Förderung. Außerdem schwebt Sonnenschein die Einrichtung einer zentralen
       Beschwerdestelle vor, um Missstände bei den Behörden zu melden, und ein
       Untersuchungsausschuss, der die Arbeit des Bamf beleuchten soll.
       
       Der Appell liest sich sehr idealistisch und ambitioniert, und Sonnenschein
       ist klar, dass diese Vorschläge in der gegenwärtigen Situation nicht auf
       allzu viel Gegenliebe stoßen. „Wir hätten gleich damit anfangen müssen, uns
       zu organisieren. Darum müssen wir es jetzt schaffen, ein politisches
       Gremium zu werden“, sagt er. Aber er ist überzeugt, dass es noch nicht zu
       spät ist, etwas zu ändern.
       
       „Wir wurden lange nicht als politische Akteure wahrgenommen. Das Image war:
       Bahnhofsklatscher, Gutmenschen, linke Spinner.“ Aber: „Eine halbe Million
       Flüchtlingshelfer sind auch Wähler. Die haben Freunde, Familie, Netzwerke,
       sie sind auch eine Macht.“ Mit einem bundesweiten Streik, so die Idee,
       könnten sie diesen Einfluss geltend machen.
       
       17 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Bax
       
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