# taz.de -- Johanne Modder über Macht und Aufstieg: „Von allein kommt nichts“
       
       > Niedersachsens SPD-Landtagsfraktionschefin reflektiert darüber, wie sich
       > Geschlecht und soziale Herkunft auf die Karriere auswirken
       
 (IMG) Bild: Stellt Männer in den Schatten: Johanne Modder, hier als frisch gewählte SPD-Fraktionschefin im Januar 2013 im niedersächsischen Landtag in Hannover
       
       taz: Frau Modder, Sie sind eine der mächtigsten SozialdemokratInnen im
       Norden. Wie wird frau das? 
       
       Johanne Modder: Das ist nicht planbar. Ich bin nicht irgendwann morgens
       aufgestanden und habe gedacht, jetzt werde ich mal Politikerin. Aber ich
       glaube, dass ich mir meinen Platz in der Politik hart erarbeitet habe. Das
       wird einem nicht geschenkt.
       
       Sie sind Vorsitzende der SPD-Fraktion im niedersächsischen Landtag in
       Hannover – und nebenbei auch Fraktionschefin in Ihrem Heimatort Bunde. Dort
       amtieren Sie auch als stellvertretende Bürgermeisterin. Außerdem sitzen Sie
       im Kreistag in Leer, sind Vorsitzende des SPD-Bezirks Weser-Ems und
       Vize-Landesparteichefin. Ist das nicht alles wahnsinnig anstrengend? 
       
       Nötig ist jedenfalls eine sehr straffe Terminplanung. Mir ist ganz wichtig,
       auch in der Kommunalpolitik verwurzelt zu bleiben. Nur so verliere ich die
       Erdung nicht – und sehe, wie die Sachen, die wir in Hannover beschließen,
       auf Gemeinde- und Kreisebene ankommen. Ich bin auch deshalb gerne
       Kommunalpolitikerin, weil ich dadurch den Kontakt zu den Bürgerinnen und
       Bürgern nicht verliere.
       
       Leicht kann der Weg an die Spitze der Landtagsfraktion nicht gewesen sein:
       Außer Ihnen gibt es in den 16 Bundesländern nur noch eine weitere
       SPD-Landtagsfraktionschefin – Katja Pähle in Sachsen-Anhalt. Warum? 
       
       Für Frauen ist es offenbar noch immer schwierig, sich durchzusetzen. Ich
       bin jedenfalls stolz darauf, die erste Frau an der Spitze der SPD im
       niedersächsischen Landtag zu sein – das hat es vorher nicht gegeben. Ich
       komme aus einfachen Verhältnissen und habe von meiner Mutter gelernt, dass
       nichts von allein kommt. Wenn ich eine Aufgabe übernehme, versuche ich, sie
       zu 100 Prozent zu erfüllen. Als ich 2003 in den niedersächsischen Landtag
       einzog, war ich froh und glücklich. Wenn meine Mutter das hätte erleben
       können, hätte sie wahrscheinlich gesagt: Kind, was machst du da? Sie hätte
       sicher kaum für möglich gehalten, dass eines ihrer Kinder irgendwann als
       Abgeordnete in einem Parlament sitzt.
       
       Auch der Chef der SPD-Bundestagsfraktion ist ein Mann. Gibt es bei den
       Sozialdemokraten nicht doch die viel beschworene „gläserne Decke“, die
       Frauen daran hindert, in wirkliche Spitzenpositionen vorzurücken? 
       
       Wir haben hier im Kabinett in Niedersachsen, auch auf Staatssekretärsebene,
       ganz viele Frauen. Aber: Letztendlich überzeugt jede einzelne durch ihre
       Persönlichkeit und ihre Arbeit. Allerdings gibt es ein frauentypisches
       Problem …
       
       Welches? 
       
       Wir Frauen hinterfragen uns vielleicht viel zu sehr, viel zu oft. Davon bin
       ich auch selbst nicht frei. Uns wäre sicher in dieser Welt vieles erspart
       geblieben, wenn Männer sich auch hin und wieder mal mehr hinterfragen
       würden.
       
       Gerhard Schröder, Kanzler aus Hannover, hat Frauen- und
       Gleichstellungspolitik mal als … 
       
       … Gedöns!
       
       … ja, Gedöns, bezeichnet. Hat Sie das geärgert? 
       
       Sehr! Das war eine Abwertung unserer Arbeit für wirkliche
       Gleichberechtigung. Wir müssen auch heute, 2017, kurz nach dem
       Internationalen Frauentag, verstehen, dass wir noch längst nicht da sind,
       wo wir hinwollen. In der Politik sind wir gut unterwegs: Wir haben viele
       Bundesministerinnen, wir haben eine Bundeskanzlerin. Jetzt müssen wir dafür
       sorgen, dass Frauen auch in großen Wirtschaftsunternehmen verstärkt in
       Spitzenpositionen aufrücken.
       
       In Ihrer eigenen Fraktion sind von 49 Abgeordneten aber nur 16 Frauen.
       Wieso? 
       
       Auch heute machen sich Frauen mehr Gedanken über die Vereinbarkeit von
       Kindern, Familie und politischer Arbeit als Männer. Und tatsächlich fragen
       sich Frauen stärker: Kann ich das? Und will ich das überhaupt?
       
       Wie kommen Sie darauf? 
       
       Wenn Sie sich etwa die Arbeit einer Fraktionsvorsitzenden anschauen:
       Natürlich habe ich viele Abend- und Wochenendtermine. Da kann man sich ganz
       persönlich fragen: Will ich dieses Leben so führen? Und da werden
       sicherlich einige Frauen sagen: Nein, das möchte ich persönlich nicht. Ich
       hoffe aber, dass meine Arbeit an der Spitze der SPD-Landtagsfraktion
       anderen Frauen Mut macht, den Weg in die Politik zu gehen. Denn für mich
       war immer klar: Wenn du etwas verändern willst, dann musst du dich auch
       einbringen.
       
       Wenn Sie ihre wöchentliche Arbeitszeit zusammenrechnen: Sind es 80 Stunden
       – oder mehr? 
       
       Manchmal mehr, manchmal weniger. Ich will mich aber nicht beklagen. Ich
       habe mich sehr bewusst, auch in Absprache mit meiner Familie, für diesen
       Weg entschieden. Ich bin dankbar, dass ich dabei so viel Unterstützung
       erfahre. Meiner Familie und auch der Partei.
       
       War Ihr Mann eigentlich manchmal neidisch auf Ihre Karriere? 
       
       Nein, nie. Mein Mann hat mich immer unterstützt – etwa bei der Pflege
       meiner Mutter, die ich bis zum Tod begleitet habe, obwohl ich bereits
       begonnen hatte, mich vor Ort zu engagieren. Meine politische Arbeit habe
       ich nur leisten können, weil ich die Rückendeckung meines Mannes und meiner
       beiden Kinder hatte.
       
       Sie stammen aus einer kinderreichen Familie aus Bunderhee, das liegt
       südlich von Leer an der Grenze zu den Niederlanden. Einfache Verhältnisse,
       haben Sie selbst gesagt. Hat Sie das geprägt? 
       
       Ja. Viel Geld hatten wir wirklich nicht. Meine Mutter hat mir und meinen
       sechs Geschwistern einen Satz mitgegeben, der mich wirklich sehr geprägt
       hat: Vergesst nie, wo ihr herkommt! Als zweitjüngstes Kind habe ich in
       meiner Familie lernen müssen, mich auch durchzusetzen. Gleichzeitig hat
       meine Mutter versucht, uns den Wert von Bildung zu vermitteln: Lernt,
       lernt, lernt, hat sie immer gesagt – und bei jeder Gelegenheit mit uns
       geübt. Deshalb ist mir auch Bildungsgerechtigkeit so wichtig, deshalb
       kämpfe ich mit so viel Elan etwa für beitragsfreie Kitas.
       
       Und wie sind Sie in Kontakt zur Politik gekommen? 
       
       Ich habe eine Ausbildung zur Verwaltungsangestellten gemacht. Meine Mutter
       hätte mich auch zum Gymnasium geschickt, aber dafür war das Geld eben nicht
       da. Ich habe dann die Pflege meiner schwerkranken Mutter übernommen. Und
       nach ihrem Tod stand irgendwann der Bürgermeister meines Heimatortes Bunde
       vor der Tür und sagte: Hanne, das kann’s noch nicht gewesen sein! Willst du
       nicht in die Kommunalpolitik? Das war der Beginn. Später dann habe ich im
       Wahlkreisbüro des SPD-Landtagsabgeordneten Helmut Collmann gearbeitet. Und
       als er für sich entschieden hat, nicht mehr für den Landtag kandidieren zu
       wollen, ist die Partei an mich herangetreten und hat mich gefragt, ob ich
       mir das vorstellen könnte, als Landtagskandidatin anzutreten. Ich habe mich
       bei der ersten Nominierung zur Wahl 2003 dann gegen zwei Männer
       durchgesetzt und meinen Wahlkreis seitdem immer direkt gewonnen.
       
       Mittlerweile sind Sie selbst Großmutter. Glauben Sie, dass Ihre beiden
       Enkeltöchter die gleichen Chancen haben wie Ihr Enkelsohn? 
       
       Wie die ganze SPD arbeite ich für Chancengleichheit und Gleichberechtigung.
       Meine Enkelkinder zeigen mir, dass es richtig ist, sich politisch zu
       engagieren. Die SPD ist die richtige Partei dafür, weil Sozialdemokratinnen
       und Sozialdemokraten sich dafür seit mehr als 150 Jahren erfolgreich
       engagieren. Und ich wünsche mir, dass meine Enkelkinder als Erwachsene
       vielleicht sagen: Dafür, dass es gerecht zugeht, hat auch meine Oma
       gestritten.
       
       Mindert die soziale Herkunft die Zukunftschancen von Kindern aus
       bildungsfernen Schichten nicht wieder viel stärker als die Frage, ob sie
       männlich oder weiblich sind? 
       
       Natürlich hat die soziale Herkunft, der Zugang zu Bildung eine Bedeutung.
       Aber die Herkunft bedingt nicht zwingend Bildungsferne. Das hat nicht
       unbedingt etwas mit dem Beruf der Eltern zu tun. Wie gesagt, die
       Lebensverhältnisse in meiner Kindheit waren einfach. Trotzdem war es das
       größte Ziel meiner Mutter, dass aus allen ihren Kindern etwas wird. Das ist
       ihr gelungen. Denn sie hat uns den Wert von Bildung vermittelt. Dafür bin
       ich ihr bis heute dankbar.
       
       12 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Wyputta
       
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