# taz.de -- Die Wahrheit: Bei allen heiligen Höllenhunden
       
       > Wenn Mütter ihren Goldkindern das Lesen von „Tim und Struppi“ verbieten –
       > wegen des beachtlichen Alkoholkonsums der Nebenhelden.
       
 (IMG) Bild: Die Autorin als Kind mit ihrer Mutter und den Großeltern
       
       Meine Peergroup in der ostdeutschen Provinz der siebziger Jahre spaltete
       sich mehrfach auf. Es gab die, die nur Ostfernsehen, und die, die nur
       Westfernsehen schauen durften. Es gab die, die lasen, und die, die es nie
       taten. Und neben allen Arten von Mischformen gab es die Pastorentochter
       ganz ohne TV.
       
       Ich las meistens. Wenn überhaupt, konsumierte ich zu Hause das Fernsehen
       der DDR und bei den Großmüttern ARD und ZDF. Es gehörte einige
       Konzentration dazu, sich in der Schule nicht zu verquatschen.
       
       Wenn ich heutzutage Männer aus dem Westen kennenlerne, fallen die ab einem
       bestimmten Stadium der Bekanntschaft vorgeschriebenen Gespräche über
       Kindheitshelden immer ähnlich aus. Ich kenne die amerikanische Serie
       „Unsere kleine Farm“ nur aus den Erzählungen von Mitschülerinnen. Sie
       kennen die sozialistische Alltagsserie „Aber Vati!“ selbstverständlich gar
       nicht und sehen meist auch nicht so aus, als würden sie da was nachholen
       wollen. Manchmal behaupte ich auch, reineweg geistig mit Büchern gefüttert
       worden zu sein, dann ist das Fernsehthema viel schneller durch.
       
       So ist das Leben in der Tat leichter, zumal bestimmte Teile der
       Weltliteratur auch im Osten erhältlich waren. Die Charaktere von Mark
       Twains Huck Finn und Kurt Kläbers roter Zora als meine frühen Vorbilder
       bieten kaum Stoff für deutsch-deutsche Konflikte. Sie sind witzig,
       anrührend, komplex. Da kann man sich drauf einigen und den Streit für
       andere Themen aufsparen.
       
       Nach dem Mauerfall habe ich durch die Aufzucht eigener Kinder voller Freude
       Bildungslücken geschlossen. An dem Gesamtwerk von Astrid Lindgren kommt
       sowieso keine Mutter vorbei, aber auch Hergés „Tim und Struppi“ –
       Geschichten wurden buchstäblich auswendig gelernt, um nur zwei Beispiele zu
       nennen. Genau wie die Kinder amüsierte ich mich prächtig.
       
       Kürzlich nun belauschte ich auf einer Party ein Gespräch zweier Mütter. Die
       Kindsväter waren nicht zu sehen, wahrscheinlich hielten sie Abstand, denn
       die Damen wirkten pädagogisch deutlich ambitioniert. Nachdem sie sich über
       den unbewussten Rassismus Otfried Preußlers einig geworden waren, wurde
       Hergé aufgerufen. Man neigte dazu, den berühmten Comic ihren Goldkindern
       doch lieber vorzuenthalten, und zwar wegen des beachtlichen Alkoholkonsums
       einiger Helden um Tim und Struppi.
       
       O ja, ich bin dafür! Wir indizieren am besten alle Werke, in denen der
       Nachwuchs mit der Realität einer süchtigen Erwachsenenwelt konfrontiert
       werden könnte. Mit Käpt’n Haddock fangen wir an, und mit dem Trinker im
       „Kleinen Prinzen“ oder dem Charakter des fleischklopsabhängigen Karlsson
       vom Dach hören wir noch lange nicht auf. Wir müssten uns aber darauf
       einigen, was die pro Altersgruppe gerade noch tolerierbare Höchstgrenze an
       Sündhaftigkeit ausmacht. Notfalls könnte man Warnaufkleber auf den
       Buchcovern anbringen: „Vorsicht, Szene auf Seite zehn könnte verstörend
       wirken: Heldin nimmt laktosehaltiges Eis zu sich.“
       
       17 Feb 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Stöhring
       
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